Benedict Cumberabtch
Netflix

Filmkritik: The Power of the Dog

Benedict Cumberbatch gilt als einer der besten Schauspieler seiner Generation. Er fühlt sich in Blockbustern wie „Avengers: Endgame“ genauso zuhause wie in Arthouse-Dramen wie „12 Years a Slave“. Und macht auch in beiden Bereichen stets eine gute Figur. Auch wenn die Bilder einen Western suggerieren, so handelt es sich bei seinem neuesten Projekt „The Power of the Dog“ um ein Drama, das zwar im Westen der USA in den 20ern spielt, mit klassischen Themen des Western-Genres aber nichts zu tun hat. Das verwundert wenig, wenn man sich die Regisseurin ansieht. Denn Jane Campion (Oscar für das Drehbuch von „Das Piano“) führt eher die feine Klinge, wenn es ums Erzählen geht. Ob ihr das auch hier gelingt, klärt die Kritik.

The Power of the Dog
Der sanfte George und die zarte Rose werden ein Paar. Doch das freut nicht jeden.

Die Handlung

Montana 1925. Die Brüder Phil (Benedict Cumberbatch) und George Burbank (Jesse Plemons) bewirtschaften ihre gemeinsame Rinderfarm. Der harte und knurrige Phil reitet mit den Cowboys zur Arbeit, während George sich um die Finanzen kümmert. Eines Abends gehen die Brüder mit ihren Angestellten essen. Und Phil lästert dabei unentwegt über die weiche Art von Peter (Kodi Smit-McPhee), den Sohn der Witwe Rose (Kirsten Dunst), die das Restaurant betreibt. Das geht so weit, dass George als letzter Gast Rose in der Küche weinen hört und versucht sie zu trösten. Als er seinem Bruder davon erzählt, tut Phil das aber mit einer Geste ab. George macht Rose den Hof und schließlich nimmt sie seinen Heiratsantrag an.

Als erstes schickt sie Peter auf eine Schule in der Großstadt, um ihn aus dem rauen Leben auf der Farm herauszuholen. Doch sich selbst kann sie nicht vor den ständigen Gemeinheiten und Demütigungen durch Phil schützen. Als Peter schließlich für die Ferien zu seiner Mutter auf die Farm kommt, hat Rose bereits ein ernstes seelisches Problem. Und auch Peter sieht harte Zeiten auf sich zukommen, denn sein neuer Onkel Phil denkt gar nicht daran, freundlich mit ihm umzugehen. Doch nach ersten ruppigen Begegnungen wird Phil plötzlich viel zugewandter und versucht, sich mit Peter anzufreunden. Was Rose in noch größere Panik versetzt …

Kein Action-Kracher oder Männer-Western

Wer Benedict Cumberbatch bislang nur in seiner Rolle als Sherlock oder Doctor Strange kennt und sich deshalb auch The Power of the Dog ansehen will, sei gewarnt. Hier ist der Brite nicht als Actionheld oder brillanter Geist zu sehen. Sondern als grausamer Fiesling, der ein paar dunkle Geheinisse mit sich herumträgt. Jane Campion ist für Arthouse-Kino bekannt und genau das bekommt der Zuschauer auch mit ihrem neuen Film zu sehen. The Power of the Dog verlangt aufmerksames Zusehen und erklärt in seiner absichtlich langsam erzählten Geschichte nicht viel – zumindest nicht mit Worten. Campion, die auch das Drehbuch nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Savage verfasste, erzählt von der komplexen Beziehungen der Figuren untereinander in Gesten und Blicken.

Bereits das Dreiecks-Verhältnis zwischen dem kalten Phil, seiner ihm gegenüber hilflosen neuen Schwägerin Rose und seinem Bruder George, der zwischen zwei Stühlen sitzt und noch nie in der Lage war, sich gegen Phil durchzusetzen, ist in der ersten Stunde des Films sehenswert. Doch die Figuren geraten in der zweiten Hälfte durch die Ankunft Peters nochmals allesamt in Bewegung und finden sich bald in neuen Konstellationen wieder. Campion inszeniert die alltäglichen Demütigungen, die Phil sich für Rose ausdenkt, mit meisterhafter Genauigkeit. Und ihr herausragender Cast sorgt dafür, dass die feinen Töne, in denen Campion ihr Drama langsam und leise eskalieren lässt, für den Zuschauer wahrnehmbar sind, sich aber auch nicht aufdrängen.

The Power of the Dog
Georges Bruder Phil ist sicher, dass Rose der Heirat nur aus Geldgründen zugestimmt hat. Und begegnet seiner Schwägerin mit ständiger Verachtung.

Cumberbatch ist gewohnt großartig

Allein die Leistung von Cumberbatch ist Anlass genug, sich als Fan des Schauspielers diesen Film anzusehen. Denn in Allianz mit dem starken Drehbuch erweckt der Brite derart viele Emotionen beim Zuschauer, dass man manchmal kaum Worte findet. Und er oft nicht ein einziges dabei benutzt, sondern nur stumm in die Kamera schaut. Einen derart unsympathischen Charakter, für den man doch irgendwann tiefes Mitleid empfindet, gibt es nicht oft zu sehen. Weil Campion dabei nie versucht, die starken Auftritte ihrer Stars mit inszenatorischen Kniffen noch emotionaler zu machen, treffen sie das Publikum oft völlig unvermittelt. Und dadurch nur umso härter.

Denn neben Cumberbatch glänzt auch Kirsten Dunst als verzweifelte Mutter, die ihren Sohn nicht vor den Bosheiten und Erniedrigungen seines neuen Onkels schützen kann, von der unerwarteten Entwicklung aber noch viel mehr in Panik versetzt wird. Und Kodi Smit-McPhee ist mit seinem minimalistischen Spiel, mit dem er fast autistisch wirkt, fast die gesamte Laufzeit des Films auf einem schmalen Grat zwischen Schutzbedürftigkeit und einer latent gefährlichen Ausstrahlung unterwegs. Und das ist für Freunde guter Schauspieler ebenfalls sehr sehenswert. Jesse Plemons spielt hingegen den Charakter, den er bereits viele Male verkörperte, eine ruhigen, freundlichen Mann, der von der Gemeinheit der Welt schnell überfordert ist. Aber das macht er gewohnt gut.

Kodi Smit-McPhee
Als Sohn Peter in den Ferien zur Ranch kommt, fürchtet Rose um ihren weichen und schöngeistigen Sohn. Doch die Beziehung zwischen ihm und seinem Onkel Phil entwickelt sich anders.

Jane Campion dreht mit The Power of the Dog einen Film, in dem fast alle inhaltlich relevanten Themen mit keiner Silbe erwähnt werden. Manches zeigt die neuseeländische Regisseurin zwar, aber vieles bleibt auch nur angedeutet – und ist durch die Handlung doch sonnenklar – wenn man gut hinsieht. Und das Hinsehen lohnt sich auch in Bezug auf die Bilder, mit denen Campion nicht nur das Innere ihrer Figuren reflektiert, sondern die raue Landschaft Montanas auch in herber Schönheit erstrahlen lässt. Zu empfehlen ist der Film deshalb auch ausschließlich Zuschauern, die sich auf einen solchen Film einlassen wollen und können. Wer hier nur hin und wieder mal hinschaut, wird den Film vermutlich sehr langweilig finden.

Fazit:

The Power of the Dog sieht zwar auf den ersten Blick aus wie ein Western, ist aber ein vielschichtiges und komplexes Drama, dass vieles im Unklaren lässt und mit seinen komplexen Figuren auftrumpft. Denn die sind von Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Jesse Plemons und einigen anderen großartig gespielt. Und tragen damit eine Story, die sich nicht dadurch erschließt, dass die Figuren dem Zuschauer alles erklären. Genau das tun sie hier nicht. Stattdessen ist hier hohe Schauspielkunst zu sehen. Blicke, Gesten, Mimik – das genügt den Stars, um eine komplexe Geschichte mit einigen klaren und vielen nicht so klaren Themen zu erzählen, die nicht nur aufgrund des Finales noch nachhallt.

The Power of the Dog startet am 1. Dezember 2021 bei Netflix.

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Benedict Cumberbatch
Der sonst so ruppige Phil scheint zu seinem neuen Neffen eine Freundschaft aufbauen zu wollen. Oder ist das nur eine weitere seiner Demütigungen für Rose?