White Lines

Serienkritik: White Lines

Serien über Drogen laufen gut bei Netflix, was nicht zuletzt mehrere Staffeln „Narcos“ und die deutsche Überraschungsserie „How To Sell Drugs Online Fast“ bewiesen haben. Also kommt nun mit „White Lines“ die nächste Serie ins Programm, die sich, zumindest dem Namen nach, mit Drogen beschäftigt. Im Zentrum der Story steht allerdings ein lange zurückliegender Mord und seine hochaktuellen Folgen auf der Ferieninsel Ibiza. Ob die Serie einen Blick lohnt, klärt die Kritik.

Der Spanier Alex Pina hat Netflix einen der größten Hits weltweit beschert, den das Streamingportal überhaupt im Programm hat. Mit „Haus des Geldes“ hat Pina einen Mega-Hit auf spanisch produziert, der auch in Deutschland extrem beliebt ist und sogar in die fünfte Staffel gehen soll. Kein Wunder also, dass Netflix auch auch die neue Serien-Idee des Spaniers gesichert hat und nun ins Programm nimmt. Kann White Lines die hohen Erwartungen der Haus des Geldes-Fans erfüllen? Auch wenn die Storys nur wenig miteinander zu tun haben?

White Lines
Vor 20 Jahren kamen Axel (2.v.l.) und seine Freunde aus Manchester nach Ibiza, um ihren Traum zu leben.

White Lines: Die Handlung

Jahrelang war die Britin Zoe Walker (Laura Haddock) in psychiatrischer Behandlung, weil ihr großer Bruder Axel (Tom Rhys Harries) vor zwanzig Jahren angeblich irgendwo in Indien verschwand und bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Doch dann regnet es in der Wüste in Almeria in Spanien zum ersten Mal seit 20 Jahren – und das Wasser spült einen mumifizierten Körper frei – den von Axel Walker. Als Zoe mit ihrem Mann dort ankommt und die Leiche sieht, ist sie fassungslos. Umso mehr, als sie erfährt, dass die spanische Polizei Morde nach 20 Jahren nicht mehr untersucht.

Doch Zoe ist klar, dass Axel die Insel Ibiza, auf der er damals lebte, wohl nie verlassen hat, sondern dort ermordet und dann aufs Festland gebracht wurde – nur von wem? Die Britin beschließt, die Insel erst dann zu verlassen, wenn sie die Wahrheit kennt. Und so wendet sie sich an Axels damalige Freunde wie den DJ Marcus (Daniel Mays, „Fisherman’s Friend’s“), der noch immer dort lebt. Schnell wird aber klar, dass die reiche Familie Calafat, deren jüngste Tochter Kika sich damals in Axel verliebt hatte, möglicherweise etwas mit dem Tod von Zoes Bruder zu tun hat …

White Lines: Wenig glaubhafte Figuren

Viele Figuren, Rückblenden zu noch mehr Gesichtern und wenig Tempo. Wer bei White Lines ein an den Nerven zerrendes Kammerspiel wie Haus des Geldes erwartet, dürfte enttäuscht sein. Denn die ersten Folgen mäandern gemächlich über die Ferieninsel und verbreiten eher Urlaubsstimmung als Spannung. Denn Serienschöpfer Alex Pina hat es mit den Protagonisten und deren Problemen deutlich übertrieben. Das beginnt schon mit der spröden Heldin der Geschichte – Zoe Walker. Sie wirkt so konstruiert, dass man kaum Interesse an ihr entwickelt.

Laura Haddock gibt zwar ihr Bestes, um aus Zoe eine spannende Figur zu machen, doch die Autoren machen es ihr nicht leicht. Denn die Reaktion auf den Leichenfund wirkt nicht glaubhaft, ihre Entscheidung, Mann und Kind deswegen zu vernachlässigen, wenig nachvollziehbar. Und auch spätere Aktionen der jungen Frau, die andere Charaktere in große Schwierigkeiten bringen, machen keinen sonderlich durchdachten oder auch nur sinnvollen Eindruck. Das geht dem Zuschauer allerdings bei vielen anderen Figuren der Serie auch so.

White Lines
20 Jahre später finden die spanischen Behörden Axels Leiche in der spanischen Almeria-Wüste. Für Schwester Zoe beginnt die Suche nach seinem Mörder.

White Lines: Im Süden nichts Neues

So ist der Clan der Calafat ein Paradebeispiel für Krimi-Klischees. Vater Andreu macht sich Gedanken um seine Nachfolge. Sohn Oriol ist ein Muttersöhnchen und geht für die Belange der Familie über Leichen. Und Mutter Conchita zieht im Hintergrund die Fäden, um die wahre Macht im Clan zu behalten. Das ist alles ordentlich gespielt, hat man aber in ähnlichen Geschichten schon dutzende Male gesehen. Pina gelingt es nicht,  hier irgendetwas Neues oder Originelles zu erzählen. Dadurch sind die ersten Folgen der Serie wenig aufregend – trotz viel nackter Haut.

Denn fast wie eine HBO-Serie haut Pina gleich in der Auftaktfolge jede Menge Sex-Szenen raus. Die sind allerdings weder für die Handlung nötig, noch erfüllen sie sonst einen tieferen Sinn. Natürlich ist es immer nett, ästhetisch ansprechende, nackte Körper zu sehen, allerdings wäre es nicht schlimm gewesen, wenn sie mehr als diesen Zweck gehabt hätten. Doch die Orgie wirkt merkwürdig aufgesetzt und fügt sich kaum in den Rest der Folge ein. Zudem ist die Tonalität von White Lines unklar. Mal wirkt die Serie sehr ernst, dann führen sie wieder Comedy-Figuren wie Marcus ein.

Man sollte einer Serie immer zugestehen, dass die Spannung vielleicht in späteren Folgen noch anzieht oder sich die Handlung in originellere Gefilde entwickelt. nach einem knappen Drittel der Staffel wirkt White Lines aber wie eine sehr generische, klassische Krimi-Serie, in der keinerlei Überraschungen zu erwarten sind. Pina präsentiert viele Verdächtige, die es vermutlich alle nicht waren, und entsprechende Motive dazu, die ebenfalls nicht sonderlich einfallsreich ausfallen. Nach Haus des Geldes für die Fans sicherlich eine kleine Enttäuschung.

Fazit:

Zuschauer, die sich bei White Lines ein zweites Haus des Geldes erwartet haben, müssen umdenken. Die Krimi-Serie um den Tod eines jungen Rebellen vor 20 Jahren und die Nachforschungen nach seinem Mörder ist eine völlig konventionelle Krimi-Geschichte ohne irgendein Alleinstellungs-Merkmal. Fans des Genres haben so etwas garantiert schon sehr oft gesehen. Auffällig ist lediglich die große Zahl an Charakteren, die dafür sorgen, dass die Handlung in den ersten Folgen kaum vom Fleck kommt. Ein großer Wurf sieht anders aus.

White Lines startet am 15. Mai 2020 bei Netflix.

Gesehen: Drei von zehn Folgen.

White Lines
Marcus ging damals mit Axel nach Ibiza, heute ist der DJ und verkauft Kokain. Was weiß er über Axels Tod?