Manchmal hat das Warten auch einen Vorteil. Denn in einigen Ländern, unter anderem in den USA, lief „Promising Young Woman“ bereits 2020 in den Kinos. Und keiner wusste so recht, was ihn da erwartete. In Deutschland startet der Film erst jetzt. Monate nachdem der Film bei den Oscars fünf Nominierungen bekam und den Goldjungen für das beste Original-Drehbuch einheimste. Und gewinnen hätte er auch in den Kategorien Beste Hauptdarstellerin, beste Regie und bester Film. Schwere Kaliber also. Kann der Film das auch bestätigen? Oder ist hier der Hype größer als das Ergebnis? Das verrät die Kritik.
Die Handlung
Cassie (Carey Mulligan) ist fast 30, hat ihr Medizinstudium geschmissen und arbeitet als Bedienung in einem Coffee-Shop. Nachts treibt sich sich in den Clubs der Stadt herum und lässt sich scheinbar so hemmungslos volllaufen, dass manche Männer Mitleid mit der fast bewusstlosen Blondine haben und sie nach Hause bringen wollen. Einige von ihnen haben aber dann doch nicht so ehrenhafte Absichten, wie sie angeben. Und leiten das Taxi stattdessen zu sich nach Hause um, damit sie mit Cassie noch ein wenig Spaß haben können. Was sie nicht wissen: Cassie hat keinen Tropfen getrunken und spielt nur den Lockvogel, um genau solche Kerle zu identifizieren und ihnen einen ordentlichen Schrecken einzujagen.
Als sie nach Jahren den ehemaligen Kommilitonen Ryan (Bo Burnham) wieder trifft, der offensichtliches Interesse an ihr zeigt, enthüllt sich langsam der Grund für Cassies Verhalten. Ihre beste Freundin Nina war auf der Universität auf einer Party abgefüllt und halb bewusstlos von einer Horde Männer um den reichen Al (Chris Lowell) vergewaltigt worden. Weder Ninas Anwälte, noch die Dekanin (Connie Britton) hatten damals etwas für Ninas getan – und das hatte schlimme Konsequenzen. Deshalb verfolgt Cassie schon lange einen Plan, die Männer von damals zu erwischen. Doch ihre Gefühle zu Ryan, der es ernst mit ihr zu meinen scheint, bringen sie dazu, die Sache zu überdenken. Kann sie von ihrer Rache ablassen und endlich wieder ihr eigenes Leben führen?
Viel Lärm um – viel
Die Regisseurin, Autorin und Nebendarstellerin Emerald Fennell hat mit Promising Young Woman einen Film geschaffen, an dem sich die Geister scheiden werden. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen dürfte es sicher Leute geben, die den Film als reines Männerbashing wahrnehmen, da es hier wirklich nur eine männliche Figur gibt, die nicht unangenehm ist – Cassies Vater (Clancy Brown). Zum anderen werden sich Leute auch an der Radikalität der Geschichte stören. Denn es gibt immer jemanden, der sich Sorgen macht, eine gezeigte Filmhandlung könnte irgendwen dazu bringen, das Gesehene zu wiederholen – und das wünschen sich beim Sehen des Films wohl die wenigsten.
Gegen eine dieser Meinungen zu argumentieren, ist müßig, denn natürlich lässt Promising Young Woman so eine Interpretation zu. Andererseits stellt sich bei all den durchaus radikalen Dingen, die Cassie hier erlebt und tut, auch immer die Frage, ob das Ganze aus einer neutralen Sicht erzählt wird – oder nicht. Ist es Cassies Sicht, und an einigen Szenen im Film könnte man auf diesen Gedanken kommen? Dann stellt sich durchaus die Frage, wie sie mit ihrem Hintergrund etwas wahrnimmt – und wie es tatsächlich ist. Denn dass sie alle Männer als Dreckschweine erkennt, lässt sich damit durchaus als subjektive Wahrnehmung verbuchen. Natürlich kann man den Film auch einfach ganz anders wahrnehmen: als einen von schwarzem Humor durchsetzten Thriller, der möglicherweise gar keine weltenschwere Botschaft vermitteln will.
Mulligan ist pures Gold
Denn Promising Young Woman ist in erster Linie mal unterhaltsam. Carey Mulligan spielt ihre Rolle großartig und ist allein den Eintritt wert. Als ebenso scharfsinnige wie emotional durch den Wolf gedrehte Rächerin darf sie nicht nur auf den Punkt geschriebene Monologe vortragen, sondern auch mit vollem Körpereinsatz die Sturztrunkene spielen. In den besten Momenten des Films kann man ihr dabei zusehen, wie sie fast die Beherrschung verliert. Aber eben nur fast. Dass Mulligan für den Oscar nominiert war, dürfte nach Ansicht des Films also niemanden überraschen. Doch obwohl sie viel von der Qualität des Films ausmacht, gibt es doch noch andere erwähnenswerte Dinge an Promising Young Woman.
Beispielsweise die Kulissen und Farbgebung. Fennell erschlägt ihre düstere Heldin fast in Pastelltönen, die ihre Harmlosigkeit unterstreichen sollen. Und im Lauf des Films schließlich das genaue Gegenteil tun. Und weil das noch nicht reicht, setzt die Regisseurin Cassie oft in Kulissen, die aussehen wie Kitschpostkarten und in denen sie wie eine Prinzessin thront. Hier bedient Fennell gleichzeitig das Klischee der dummen und harmlosen Blondine und führt es durch die Filmhandlung ad absurdum. Denn nett oder harmlos ist an der bis in die Grundfesten ihres Seins tief verletzten Cassie gar nichts. Das zeigt sich auch im radikalen Finale, das im Vergleich zu Cassies bisherigen Taten auch eine Zäsur darstellt. Und klarmacht, wie ernst es ihr wirklich damit ist, ihre Sicht der Dinge zu belegen.
Aus Spoilergründen verbieten sich hier Vergleiche mit Figuren aus der Weltliteratur. Doch allein auf weiter Flur ist Cassie mit ihren Aktionen kulturell gesehen wahrlich nicht. Und Fennell gelingt mit ihrem Drehbuch und ihrer Regie eben nicht nur eine klare (subjektive) Aussage zum Verhältnis zwischen Männern und Frauen, sie bietet auch die Charakterstudie einer ebenso kämpferischen wie tragischen Figur, die auch dann nicht von ihrer Wut ablassen kann, wenn es längst ratsam wäre.
Fazit:
Mit Promising Young Woman legt Drehbuchautoren und Regisseurin Emerald Fennell bei ihrem Regiedebüt einen ebenso kontroversen wie unterhaltsamen Film vor. Der von galligem Humor durchzogene Thriller, der sich aus einer sehr subjektiven Sichtweise mit dem Verhältnis von Männern und Frauen beschäftigt und zu radikalen Antworten kommt, ist nicht nur glänzend gespielt, sondern auch gut geschrieben (Drehbuch-Oscar!) und inszeniert. Und deshalb unterhält der Film auch dann richtig gut, wenn man als Zuschauer auf die großen Fragen, wie viel feministische Botschaft und Kritik an Männern im Allgemeinen hier nun drinsteckt, gar keine Lust hat.
Promising Young Woman startet am 19. August 2021 in den deutschen Kinos.