Alice Dwyer
Netflix

Filmkritik: Schwarze Insel

Deutschland ist Krimi-Land! Das dachten sich wohl auch die Verantwortlichen bei Netflix, als sie „Schwarze Insel“ in Auftrag gaben. Denn vor rauer Nordsee-Kulisse erzählt Regisseur und Drehbuch-Autor Miguel Alexandre seine Idee von einem düsteren Krimistoff. Ob er damit an die skandinavischen Vorbilder heranreicht und den guten Cast um Alice Dwyer und Hanns Zischler nutzen kann, verrät die Kritik.

Schwarze Insel
Jonas hat in seinem jungen Leben schon viel verloren, doch nun scheint er etwas zu bekommen.

Die Handlung

Inselkind Jonas (Philip Froissant) wird vom Leben hart getroffen. Erst wird seine Großmutter am Strand von einem streunenden Hund totgebissen. Und auf dem Heimweg nach deren Beerdigung sterben seine Eltern bei einem Autounfall. Nun lebt er bereits ein Jahr bei seinem Großvater Friedrich, einem ehemaligen Lehrer und Schuldirektor auf der Insel, den Jonas aber in seiner Kindheit kaum gesehen hat. Denn sein Vater und Opa Friedrich sprachen kein Wort miteinander. Doch weil die Alternativ der Umzug zu einer Tante nach Bayern gewesen wäre, nahm Jonas Friedrichs Angebot an, bei ihm zu leben, bis er volljährig wird. So konnte er auch bei seinen Freunden bleiben, vor allem bei Jugendfreundin Nina (Mercedes Müller), für die er mehr als nur Freundschaft empfindet.

Schon der erste Schultag des Abschlussjahres birgt eine Überraschung. Der Deutschlehrer hat sich im Urlaub auf Mallorca verletzt und fällt Monate aus. Als Ersatz für ihn ist nun Helena Jung (Alice Dwyer) da, die gerade auf die Insel gezogen ist. Währen die Mädchen schnell eine Abwehrhaltung einnehmen, finden viele der Jungs die neue, noch recht junge Lehrerin durchaus interessant. Doch während Frau Jung bei den anderen Jungs nur milde grinst, scheint sie an Jonas wirklich Gefallen zu finden. Sie bestärkt ihn in seinen Ambitionen, Schriftsteller zu werden – und beginnt schließlich eine Affäre mit dem 17-jährigen. Doch eigentlich verfolgt Helena Jung ein ganz anderes Ziel …

Ein Krimi von der Stange

Millionen Menschen in Deutschland sehen sich jeden Sonntag ihren Tatort an, andere schwören auf die ZDF-Serienkrimis, die seit Jahrzehnten laufen. Auch Schwarze Insel ist offenbar für diese Zielgruppe gedacht. Denn die wenig originelle Geschichte von der undurchsichtigen Frau mit möglicherweise üblen Plänen gibt sich wenig Mühe, auch nur ansatzweise so etwas wie Suspense oder Spannung aufkommen zu lassen. Schnell wird klar, dass Helena wirklich nichts Gutes im Schilde führt, nur ihr Motiv dafür spart sich Alexandre für den dritten Akt auf. Alexandre inszeniert sein Script solide, aber eben auch auf deutschen TV-Durchschnitts-Niveau. Von schönen Aufnahmen des Wattenmeeres und der tollen Natur der Nordseeinsel einmal abgesehen, sticht hier optisch nichts heraus.

Das ist zweckdienlich, weil es die Story transportiert, aber es fesselt oder beeindruckt nicht. Was man auch von der Story sagen muss. Zwar gelingt es Alexandre in ein paar Szenen, die Schraube etwas weiter zu drehen, als man das vielleicht erwartet hätte, ansonsten hält sich Schwarze Insel aber Punkt für Punkt an eine Checkliste der Vorhersehbarkeit. Wie eine junge Möwe am Strand hebt die Geschichte ab und zu ein wenig ab, gerät aber nie so richtig ins Fliegen. Möglicherweise war auch die Entscheidung, den Film auf eine Freigabe von 12 Jahren zu inszenieren, nicht die beste Idee. Denn dadurch beschneidet sich Schwarze Insel in einem der wichtigsten Punkte der Story – der Leidenschaft.

Alice Dwyer
Denn die neue Lehrerin Helena jung zeigt ihr Interesse an ihm bald recht deutlich.

Wenn gute Schauspieler nicht mehr helfen

Zwar nimmt man dem jungen Philip Froissant den zwischen zwei Frauen hin- und hergerissenen jungen Mann durchaus ab, aber die Sex- und Verführungsszenen fallen doch arg bieder aus und entfachen auf dem Bildschirm höchstens ein zur Umgebung passendes eher kühles Feuer. Mit ein wenig mehr Hitze wäre die Story vielleicht auch etwas fesselnder und emotional packender ausgefallen. Klar, manchmal ist weniger mehr – hier aber nicht.

Vor der ganz großen Langeweile rettet Schwarze Insel dann auch hauptsächlich das Ensemble vor der Kamera. Alice Dwyer, im ZDF schon seit einigen Jahren als „Frau Bulle“ im Einsatz, wechselt hier problemlos die Seiten und spielt die Femme Fatale zwar nicht gänzlich ohne Gewissen, aber doch mit genug krimineller Energie, um eine glaubwürdige Täterin zu sein. Mit welcher kalten Wut sie ihre Pläne verfolgt und welchen Preis sie für deren Erreichen zu zahlen bereit ist, das kann die Zuschauer durchaus abholen und überzeugen. Auch Philip Froissant und Mercedes Müller füllen ihre Rollen gut aus. Hanns Zischler hingegen hat in seinem Charakter leider kein großes Los gezogen und dementsprechend erst im Finale der Story die Chance, sein Können zu zeigen.

Aber gute Schauspieler allein reichen nicht, um dieses hochgradig durchschnittliche Krimistück mit viel zu wenig Ecken und Kanten zum ansehnlichen Thriller zu machen. Ein Film, von dem Gesichter hängenbleiben, die Story sicher nicht.

Schwarze Insel
Und bald bleibt es nicht mehr bei Blicken. Doch Helena handelt nicht aus Leidenschaft …

Fazit:

Plattes Land, platter Film! Obwohl sich die Schauspieler hier alle Mühe geben, ihren wenig spannenden Figuren halbwegs Charakter zu verleihen, können auch sie gegen das harmlose und biedere Drehbuch, das auch noch harmlos und bieder inszeniert wurde, nicht anspielen. Für einen spannenden Krimi bietet Schwarze Insel nicht genug Überraschungen, für eine Charakterstudie nicht genug Substanz. So bleibt letztlich beides unbefriedigend. Schade um die tolle Kulisse und den guten Cast. Aber diesen Krimi werden wohl nur eingefleischte Fans deutscher Dutzendware richtig gut finden.

Schwarze Insel startet am 18. August 2021 bei Netflix.

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