Panic

Serienkritik: Panic

Die Marke „Young Adult“ hat in den vergangenen Jahren ziemlich gelitten. Nachdem mit „Die Tribute von Panem“ die Tür weit offen schien für Dystopien und düstere Storys im Hier und Jetzt, die mit jungen Darstellern besetzt und für junge Zuschauer gedacht waren, floppten geistige Nachfolger wie die „Divergent“-Reihe reihenweise an den Kinokassen. Inzwischen weichen solche Geschichten immer häufiger auf eine Serien-Adaption aus und finden dafür häufig ein Zuhause bei den Streaming-Diensten. Auch „Panic“ ist ein gutes Beispiel dafür: Die Story um ein unheimliches Spiel in einer Kleinstadt in Texas wäre vor zehn Jahren wohl noch fürs Kino umgesetzt worden, nun kommt die Story als zehnteilige Serie bei Amazon Prime. Wie gut ist sie?

Panic
Das Spiel beginnt! Panic startet mit einem Sprung in die Tiefe – wer ist mutig genug?

Die Handlung

Das Leben hat es mit Heather (Olivia Welch) bislang nicht sonderlich gut gemeint. Die clevere 17-jährige ist in einer kleinen Stadt in Texas aufgewachsen und gehört zum so genannten „White Trash“, den Ärmsten der Gesellschaft. Mit ihrer Mutter, einer Friseurin, die ständig Probleme mit Alkohol und Drogen hat, und ihrer kleinen Schwester Lily lebt sie in einem Trailer im Armenviertel der Stadt. Immerhin hat sie in Bishop (Camron Jones), Sohn des Richters, und Natalie (Jessica Sula), Tochter eines Cops, treue Freunde, die ihr Halt geben und sie nicht behandeln wie eine Aussätzige. Daher will Heather der düsteren Tradition der Highschool-Absolventen, ein unheimliches Spiels zu spielen, dessen Gewinner etliche tausend Dollar winken, eigentlich nicht folgen und sich nicht für Panic anmelden.

Doch dann stellt sie fest, dass ihre Mutter ihr gesamtes Erspartes gestohlen hat, um den Wagen reparieren zu lassen. Ihr Schulgeld, mit dem sie an ein College gehen wollte, ist weg! Und so bleibt ihr doch nichts anderes übrig, als bei Panic mitzumachen und den Jackpot von 50000 Dollar zu gewinnen. Dabei trifft sie schnell auf ernsthafte Konkurrenz. So ist der im vergangenen Jahr zugezogene Dodge Mason (Mike Faist) deutlich härter als er aussieht. Und auch der stadtbekannte Rüpel Ray (Ray Nicholson), der wie Heather aus ärmsten Verhältnissen stammt, ist scharf auf das Geld und lässt nichts unversucht, um unliebsame Mitbewerber auszutricksen. Erschwert wird Panic dadurch, dass im vergangenen Jahr zwei Teenager beim Spiel starben und nun die örtliche Polizei fieberhaft versucht, Panic zu sabotieren …

Romanautorin schreibt Drehbuch

Amazon Studios ging bei der Umsetzung von Lauren Olivers Roman Panic einen ebenso logischen wie relativ selten eingeschlagenen Weg: Sie engagierten die Autorin selbst, um ihre Story in Drehbücher für die Serie umzusetzen. Nicht immer ist das eine gute Idee, wie zuletzt „The Stand“ bewies, an der sowohl Stephen King selbst ein neues Ende als auch Sohn Owen an den Drehbüchern mitarbeiteten. Und die Ergebnisse bestenfalls durchschnittlich waren. Aber Amazon bewies ein besseren Händchen: Olivers eigene Umsetzung ihres Romans zur Serie funktioniert ausgezeichnet. Das lässt sich zwar an vielen verschiedenen Punkten festmachen, aber einer davon ist besonders entscheidend. Lauren Oliver versteht genau, worum es in ihrer Geschichte geht und setzt das in passende Dialoge und Szenen um.

So gelingt es der Autorin, mit wenigen Szenen ein zwar nicht gänzlich klischeefreies, aber doch sehr lebendiges Bild einer typischen Kleinstadt im Süden der USA zu zeichnen und ihre ebenfalls sehr lebendigen Figuren darin agieren zu lassen. Und gleichzeitig eine Menge verschiedener Storylines zu erzählen. Denn in Panic passiert wirklich viel zur gleichen Zeit. Und manches wirkt auf den ersten Blick gar nicht, als würde es zu irgendeiner anderen Handlung passen. Doch das gibt sich im Lauf der immer dichter werdenden Erzählung. Oliver versteht es, die typischen Teenager-Themen wie erste Liebe, Drogenerfahrungen und Betrug durch enge Freunde mit manchmal fast unheimlichen Spieleprüfungen und einer spannenden Krimi-Handlung zu verknüpfen.

Panic
Natalie muss sich mit unangenehmen Fragen auseinandersetzen, wenn sie im Spiel bleiben will.

Gelungenes Casting 

Die Spannung erreicht dabei zwar nie das Niveau eines echten Thrillers. Aber die verschiedenen Regisseure ziehen gekonnt immer wieder alle Register, um das Adrenalin bei Protagonisten und Zuschauern stetig ansteigen zu lassen. Unterbrochen wird das immer wieder von gelungenen Milieu-Studien der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten der Kleinstadt. Ob Bishops gefühlskalter Vater, Natalies übertrieben fürsorglicher Cop-Dad oder Heathers Mutter, die mit dem Lover eine Drogenparty feiert und sich dabei einen Dreck um ihre Töchter schert. Manche dieser Momente sind erschreckender als die härteste Prüfung im Panic-Spiel. Und diese Mischung macht Panic auch so sehenswert.

Ein besonderes Lob gilt in dieser Serie dem Casting-Team. Denn selten passten Schauspieler wie Olivia Welch oder Ray Nicholson so perfekt zu ihren Rollen wie hier. Auch hier gibt es zwar in Nebenrollen immer wieder die Model-Teenager, die man aus anderen Serien als ganz normale High School-Kids kennt, aber vor allem die Hauptrollen passen hier großartig. Welch wirkt in ihren abgeschnittenen Jeans und den billigen Tops exakt wie eine junge Frau aus der Unterschicht, die alles dafür tun würde, dieses Leben hinter sich zu lassen – und doch keine Chance hat. Und Nicholsons Ray glänzt nicht nur durch unfassbar geschmacklose Muscle-Shirts. Sondern auch durch das Wissen, wo er in der Hierarchie steht und dass er diesen Platz kaum je verlassen wird. Das erinnert an den jungen River Phoenix in „Stand By Me“.

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Heather und Ray kommen sich näher. Aber kann sie ihm wirklich trauen oder versucht er nur, sie aus dem Spiel zu drängen?

Allerdings hat die Serie auch Schwächen. So ist die späte Einführung einer Raubkatze in der Serie nicht nur tricktechnisch mäßig, sondern auch dramaturgisch sehr fragwürdig. Hier überspannt Oliver den Bogen deutlich. Ebenso wie mit einigen offenen Handlungsfäden, die wohl bei Erfolg für eine mögliche zweite Staffel gesponnen wurden. Wenn es allerdings eine Serie gibt, die wirklich keine zweite Staffel braucht, weil sie so gut zu Ende gebracht wurde, dann ist es Panic. Auch das Tempo lässt sich bemängeln, das ein wenig unter den verschiedenen Handlungen der Serie leidet. Sonst gibt es aber an diesem spannenden und überraschend tiefgründigen Teenie-Thriller wenig zu beanstanden.

Fazit:

Mit Panic präsentiert Amazon Prime der Streamingdienst-Kernzielgruppe der 14- 25-jährigen eine gelungene Serie, die aufgrund der breit gefächerten Themen aber auch älteren Zuschauern durchaus zu gefallen weiß. Mit einer gelungenen Mischung aus Thriller, Krimi und Drama, einer großartig passenden Besetzung und unvorhersehbaren Wendungen kann sich die Serie gegen vergleichbare Programme gut behaupten. Vermutlich wird Prime wie üblich wenig Werbung für diese Serie machen. Und sie hat allerhöchstens eine Chance durch Mund-zu-Mund-Propaganda auf eine ordentliche Zuschauerzahl zu kommen. Bei der Qualität wäre es ihr zu wünschen.

Panic startet am 28. Mai 2021 bei Amazon Prime.

Sheriff Cortez
Im vergangenen Jahr starben bei Panic zwei Teenager. Nun will Sheriff Cortez unbedingt verhindern, dass das Spiel erneut beginnt.