Deutschland kann in Sachen Film nur Komödien? Zumindest bei internationalen Auszeichnungen ist diese These nicht haltbar. Zwar kommen immer wieder Komödien auch im Oscar-Rennen weit und gewinnen (wie „Tony Erdmann“) sogar den Preis. Aber auch Dramen wie „Das Leben der anderen“ kamen bei den Juroren so gut an, dass es den Goldjungen dafür gab. Dennoch: Schaut man sich den heimischen Kinomarkt an, überwiegen die Filme, die mehr oder weniger harmlosen Spaß verbreiten sollen. Warum also sollte nicht auch Amazon Prime mit der ersten deutschen Eigenproduktionen einen sicheren Weg gehen und eine Komödie präsentieren? Gesagt, getan, das Ergebnis ist da und heißt „One Night Off“. Wie gut ist es geworden? Das klärt die Kritik.
Die Handlung
Noah (Emilio Sakraya, „Kalte Füße„) und seine große Liebe Marie (Milena Tscharntke) haben sich nicht nur beim Feiern im legendären „Tube“ kennengelernt, sogar der Nachwuchs kommt auf einem Festival zur Welt, bei dem gerade „Deichkind“ gespielt hat. Umso härter trifft es Noah, dass er zwar alles versucht, um mit seinem kleinen Sohn Ben zurecht zu kommen, er seine Vergangenheit als Feierbiest aber dennoch nicht vergessen kann. Und Marias Schwester Sarah (Carol Schuler) hält wenig von ihrem Schwager. Und wartet nur darauf, dass Noah mit Ben einen Fehler macht und sie als zweifache Mutter einspringen kann, um als Ersatzvater zu fungieren.
Doch ausgerechnet als Marie erstmals beruflich die Stadt verlassen muss und Noah in der Verantwortung steht, ruft Kumpel Baumi (Andreas Helgi Schmied) an. Er teilt Noah mit, dass das Tube seine Pforten für immer schließt und heute Nacht das letzte Konzert dort steigt. Trotz schwerer Bedenken siegt Noahs Partylaune und er willigt ein, mit Baumi zumindest kurz vorbeizuschauen. Weil aber Marie im anschließenden Telefonat misstrauisch wird, tritt Sarah auf den Plan. Die riecht den Braten sofort und begibt sich in bester Privatdetektiv-Manier auf die Fährte der beiden Kumpels mit Baby. Die Nacht droht für Noah zum absoluten Debakel zu werden, was seine Rolle als Ehemann und Vater betrifft …
Interessante Köpfe hinter der Kamera
Die kreativen Köpfe hinter One Night Off machen Hoffnung. Regisseur Martin Schreier ließ vor gut zwei Jahren mit „Traumfabrik“ aufhorchen, der immerhin kontrovers diskutiert wurde. Und die Drehbuchautoren Doron Wisotzky und Murmel Clausen sind ebenfalls keine Unbekannten. Wisotzky schrieb Komödien wie „What a Man“ oder „Contra“, Clausen zeichnet für die meisten der großartigen Weimar-Tatorte mit Christian Ulmen und Nora Tschirner als Autor (und bei einigen als Regisseur) verantwortlich. Bis hierhin lässt sich Amazon Prime also kein Vorwurf machen. Das Projekt scheint auf durchaus geeigneten Füßen zu stehen, um zumindest einen ansehnlichen Film zu produzieren.
Auch gegen die Besetzung lässt sich wenig sagen. Emilio Sakraya, der nicht zum ersten Mal einen solchen Charakter spielt, ist also Chaot mit dem Wunsch, das Richtige zu tun, durchaus eine gute Wahl. Sein Kumpel Baumi wird von Andreas Helgi Schmied stark verkörpert. Weswegen der Schauspieler auch für viele der besten Szenen im Film verantwortlich ist. Sein Timing sorgt in Verbindung mit dem passenden Gesichtsausdruck für ein paar gute Lacher. Etwa wenn sich die beiden aus dem Auto ausgesperrt haben und Baby Ben noch drinsitzt. Heimlicher Star ist allerdings Carol Schuler, die als Mischung aus Furie und Bluthund die mit Abstand besten Szenen im Film hat.
Alpha-Mutter auf Speed
Schuler wirft sich geradezu mit Anlauf in ihre Rolle als verbitterte Doppelmutter ohne Mann, deren einziges Lebensziel daraus zu bestehen scheint, Männer als verantwortungslose Schweine bloßzustellen – und in Noah dabei ein prädestiniertes Opfer sieht. Wenn sie mit ihren Horrorgeschichten von der Belastung durch Kinder eine Party sprengt, gehört das zu den Highlights von One Night Off. Und auch später legt Schuler noch beeindruckend überdrehte Momente hin, die im Kontext das Films einfach gut funktionieren. Ohne die Schauspielerin wäre der Film deutlich schwächer als er ist.
Dass er dennoch nicht komplett überzeugt, liegt an deutlich zu vielen Klischees, die das Drehbuch nicht immer als solche bloßstellt und damit als Gag nutzt. Die Partys samt Drogenmissbrauch, der zickigen pubertierenden Tochter von Sarah und ihren Drogenfreund, das sind die Schwachpunkte des Scripts, während das Autoren-Duo bei einer an sich peinlichen Schlägervisagen-Nummer mit türkischem Kiosk gerade noch die Kurve kriegt. Vermutlich ist One Night Off auch lustiger, wenn man sich vorher nicht ansieht, wer dahintersteckt. Denn gerade von Murmel Clausen erwarten Fans staubtrockenen, teilweise abgründigen Humor jenseits des Mainstreams. Und den bedient One Night Off leider zu selten.
Man hätte sich gewünscht, zwei wie Wisotzky und Clausen hätten sich tatsächlich in ihren Ideen treiben lassen. Und sich auch ein paar radikalere Dinge getraut, statt von vornherein auf ein festes Ziel hinzuarbeiten, das möglichst viele Zuschauer da abholt, wo sie es gewohnt sind, auf den Bus der vorhersehbaren Filme zu warten. Dennoch unterhält One Night Off ganz ordentlich und ist als deutsches Filmdebüt von Amazon Prime Video durchaus akzeptabel. Bei den Autoren, insbesondere bei Clausen, wäre aber so viel mehr möglich gewesen, als am Ende im Film enthalten ist.
Fazit:
One Night Off liefert wohl genau das, was die meisten Zuschauer auch von einem solchen Film erwarten: ein wenig harmlosen Spaß, ein paar ganz gute Gags, ein flottes Tempo und witzige oder zumindest sympathische Figuren. Wer sich aber anschaut, welche kreativen Köpfe hinter dem Projekt stecken, darf man schon ein wenig enttäuscht sein. Denn Regisseur Martin Schreier, der seiner Traumfabrik immerhin einen unverwechselbaren Stempel aufdrückte, den man mochte oder nicht, bleibt hier deutlich beliebiger. Und von Drehbuch-Autor Murmel Clausen haben vor allem Fans des Tatorts aus Weimar schon sehr viel abgründigere und lustigere Momente gesehen, als hier im Film. So ist One Night Off ein ordentliches Debüt für Prime, das aber das Gefühl umgibt, einen noch besseren Film verschenkt zu haben.
One Night Off startet am 29. Dezember 2021 bei Amazon Prime.