Im Westen nichts neues

Filmkritik: Im Westen nichts Neues

Im Jahr 1928 erschien der Roman „Im Westen nichts Neues“, in dem der Autor Erich Maria Remarque seine Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs als Soldat an der Westfront festhielt. Er schuf damit nicht nur einen Klassiker der modernen Weltliteratur, sondern auch einen der ergreifendsten Antikriegs-Roman aller Zeiten. Bereits 1930 verfilmte der US-Regisseur Lewis Milestone das Buch und wurde damit seinem Nachnamen gerecht. Das Werk wurde nicht nur als bester Film mit dem Oscar gewürdigt, sondern gilt bis heute als einer der besten Filme aller Zeiten. Ein schweres Erbe, dem sich Regisseur Edward Berger mit seiner Neuverfilmung für Netflix da stellt. Wird er der Aufgabe gerecht? Das klärt die Kritik.

Im Westen nichts Neues
Von Lehrern und Medien heiß gemacht, freuen sich Paul und seine Mitschüler auf das Soldatenleben.

Die Handlung

Der Erste Weltkrieg tobt. Der Stellungskrieg zwischen Frankreich und Deutschland zermürbt beide Seiten. Dennoch werden die deutschen Lehrer nicht müde, ihre Schüler mit dumpfen Parolen von Ehre und Vaterland zum Militär zu treiben. Auch der erst 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) will, wie alle seine Freunde, unbedingt an die Front. Und er meldet sich ohne Einverständnis seiner Eltern zur Armee. Dass er eine Uniform erhält, in der das Namensetikett eines anderen Mannes eingenäht ist, macht ihn zwar stutzig, als der Offizier es einfach herausreißt und es einen Fehler nennt, ist Paul aber beruhigt.

Nur Tage später verschlägt es Paul und seine Klassenkameraden dann auch schon an die Front, wo sie ohne große Einweisung sofort mit dem schrecklichen Alltag der Grabenkämpfe konfrontiert werden. Granateneinschläge, Scharfschützen und eine alles durchdringende Kälte machen den Soldaten das Leben schwer und die kleine Gruppe muss schon früh erste Verluste hinnehmen. Die kampferfahrenen Soldaten Kat (Albrecht Schuch) und Tjaden (Edin Hasanovic) werden für die jungen Rekruten schon bald zu wichtigen Ratgebern, wie man überlebt. Währenddessen will der Politiker Matthias Erzberger (Daniel Brühl) mit den Franzosen über ein Ende des Krieges verhandeln. Doch die stellen harte Bedingungen …

Grandioser Start

Noch bevor das Publikum Im Westen nichts Neues auf der Leinwand sehen konnte – Ende September bekam der Film einen limitierten Kinoeinsatz – wurde Bergers Version des Romans als offizieller deutscher Beitrag ins Oscar-Rennen für den besten fremdsprachigen Film ausgewählt. Und so manches spricht auch dafür, dass dort etwas geht. Bereits der Anfang ist stark. Nachdem Berger gleich zu Beginn eine Fähe mit ihren Jungen in einer Höhle sieht – und damit funktionierende, intakte Natur – fliegt die Kamera nach draußen. Bis sie das Kriegsgebiet erreicht, wo nur noch verbrannte Baumstümpfe stehen und sich Männer gegenseitig umbringen – als Perversion der natürlichen Ordnung der Dinge.

Was dann folgt, ist die vielleicht beste Veranschaulichung des Unwortes Menschenmaterial. Und setzt eine Duftmarke, die der Film danach allerdings nur noch selten erreicht. Aber die ersten 15 Minuten sind sensationell gut. Berger, der auch am Drehbuch mitarbeitete, entschied sich gegen eine allzu genaue Umsetzung von Remarques Buch, in dem er wichtige Teile wie den Heimaturlaub Pauls einfach weglässt. Hier geht es nur im den unmittelbaren Krieg und das lange Sterben der Soldaten in ihm, für mehr fand der Regisseur in 150 Minuten Laufzeit keinen Platz. Dafür verpackt er genau dieses Sterben in zum Teil drastische Bilder von Menschen überrollenden Panzern und zerrissenen Körpern auf dem Schlachtfeld. Diese Bilder verfehlen ihre Wirkung nicht.

Im Westen nichts Neues
Doch schon am ersten Tag an der Front werden die Rekruten von der Realität eingeholt – und das Sterben beginnt.

Schwaches Finale

Zudem erzählt Berger eine Episode, die gar nicht im Buch steht: die Verhandlungen der deutschen Regierung mit den Franzosen über ein Kriegsende. Hier inszeniert der Regisseur ein Wettrennen Erzbergers um das Leben der deutschen Soldaten, auch das von Paul und seinen Freunden. Gelingt es dem Politiker, einen Frieden zu verhandeln, bevor auch noch der letzte Mann an der Front draufgeht? Aus dieser Prämisse zieht Im Westen nichts Neues ebenfalls viel Spannung. Dass der Film emotional so hart trifft, liegt allerdings hauptsächlich am großartigen Cast. Der junge Felix Kämmerer lässt in seinem Blick das ganze Grauen des Krieges sehen, der meist brillante Albrecht Schuch ist auch hier als gute Seele Kat großartig. Und Edin Hasanovic als Tagträumer Tjaden die vielleicht tragischste Gestalt des Films.

Da ist es umso schlimmer, dass Berger sich für seinen finalen Akt zu einer komplett falschen Entscheidung hinreißen lässt. Nicht nur, dass er mit Devid Striesow die fast schon alberne Karikatur eines deutschen Offiziers zeigt. Sein Schluss, der mit Im Westen nichts Neues so gar nicht zusammenpasst, nimmt dem Film die letzte Härte. Für eine letzte Actionsequenz und eine Holzhammerbotschaft verzichtet Berger auf genau die Szene, die zahllosen Zuschauern des 1930er-Films das Herz gebrochen hat und viel nachdrücklicher gezeigt hätte, worum es Remarque beim Schreiben seines Romans eigentlich ging. Bergers Finale ist in seiner Vorhersehbarkeit banal, der erneute Wettlauf mit der Zeit wirkt aufgesetzt, die Wiederholung bereits eindrücklich erzählter Botschaften unnötig.

Edin Hasanovic
Tjaden hat große Pläne nach dem Krieg, obwohl er auf einem Auge blind ist.

Und so verdirbt sich Edward Bergers Version des großen deutschen Romans den Gesamteindruck. Der zwar immer noch gut ist, mit einem besseren Finale aber weitaus stärker hätte ausfallen können. Das Buch hat keinen actionreichen, kampfbetonten Schluss, weil es den nicht braucht. Diese Sicherheit hatte Berger offensichtlich nicht. Und so ist sein Ende viel schwächer als sein Anfang. Ob es damit für die letzten fünf Nominierungen beim Oscar reicht, darf zumindest bezweifelt werden.

Fazit:

Selten hat ein Film einen derart starken Beginn und präsentiert dann ein so schwaches Finale wie die neue Adaption von Erich Maria Remarques Klassiker Im Westen nichts Neues. Leider hat Regisseur und Co-Autor Edward Berger nicht auf den niederschmetternden Schluss des Romans gesetzt, sondern sich einen eigenen ausgedacht. Und der fällt im Vergleich viel schwächer aus, so blutig und optisch aufwühlend er auch sein mag. Dass er dennoch einen starken Film abliefert, liegt zu einem guten Teil an den tollen Schauspielern, den blutigen Bildern und der auch hier transportierten, eindringlichen Botschaft von der Entmenschlichung im Krieg und des Verheizens von Menschenmaterial. An Lewis Milestones erste Verfilmung reicht die Netflix-Version aber aufgrund des Schlusses nicht heran.

Im Westen nichts Neues startet am 28. Oktober 2022 bei Netflix.

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Albrecht Schuch
Paul und Kat sehnen das Kriegsende herbei und versuchen, so lange am Leben zu bleiben.