West Side Story
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Filmkritik: West Side Story

Als „West Side Story“ 1957 erstmals am Broadway aufgeführt wurde, war das Musical von Leonard Bernstein und dem jüngst verstorbenen Stephen Sondheim sofort ein Riesenerfolg. So etwas ruft in der Regel Hollywood auf den Plan und das war auch diesmal so. 1961 kam die Verfilmung von Robert Wise und Jerome Robbins, der bereits das Stück aus für Bühne gebracht hatte, in die Kinos. 1962 sammelte der Film bei elf Nominierungen zehn Oscars ein und gehört damit zu den erfolgreichsten Filmen, die es je bei den Academy Awards gab. Große Fußstapfen also, in die die Neuverfilmung des Stoffes tritt. Wenn das jemand darf, dann eine Regie-Legende wie Steven Spielberg. Gelingt dem 74-jährigen eine angemessene Umsetzung? Das klärt die Kritik.

West Side Story
Tiny will den Streit der Gangs endlich beenden. Doch weder Riff noch Bernardo haben daran Interesse.

Die Handlung

Die Upper West Side von New York in den mittleren 50er Jahren. Das Arbeiterviertel wird von unterschiedlichsten Menschen bevölkert. Die Street-Gang der Jets, weiße Jungs mit polnischen oder irischen Wurzeln, legen sich immer wieder mit den Sharks an, einer Bande von Immigranten aus Puerto Rico. Jets-Chef Riff (Mike Faist) lässt dabei keine Chance aus, die Sharks zu provozieren, und Sharks-Boss Bernardo (David Alvarez) nimmt jede Gelegenheit gerne wahr, um zurückzuschlagen. Obwohl Polizisten wie Officer Krupke (Brian d’Arcy James) und Inspector Schrank (Corey Stoll) versuchen, die Jungs von Dummheiten abzuhalten, verabreden die Gangs einen Kampf für den übernächsten Abend, um das Revier ein für alle Mal dem Sieger zuzusprechen.

Vorher ist allerdings noch ein Tanzabend in der Nähe, auf dem beide Banden auftauchen. Bernardo nimmt seine kleine Schwester Maria (Rachel Zegler) mit, Riff bittet den Ex-Jet-Boss und Freund Tony (Ansel Elgort), dort aufzutauchen. Tony hat der Gewalt nach einem Jahr im Gefängnis zwar abgeschworen, lässt sich aber überreden, ein wenig harmlosen Spaß zu haben. Als er Maria sieht, ist es Liebe auf den ersten Blick – und der jungen Frau geht es genauso. Doch schon ein harmloser Tanz der beiden bringt Bernardo auf die Palme und Tony und Maria müssen einsehen, dass ihre Liebe unter keinem guten Stern steht. Dennoch wollen sie das Blutvergießen zwischen den Gangs verhindern, um so ihr eigenes Glück möglich zu machen …

Gute Gründe für eine Neuverfilmung?

Wem die Geschichte bekannt vorkommt, aber nicht so recht einordnen kann, warum: West Side Story beruht auf einem Roman von Arthur Laurents, der sich wiederum großzügig bei Shakespeares „Romeo und Julia“ bediente. Weil das eine Tragödie ist, hat auch die Story des Films für klassische Musicals ungewöhnlich düstere Momente. Und deckt so eine emotional größere Bandbreite ab, als der typische Hollywood-Musical-Film der früheren Jahre. Obwohl Spielberg seine Version nicht ins Hier und Jetzt transportiert, sondern im 50er Jahre-Setting belässt, fällt es nicht schwer, die Aktualität des Werks zu bemerken. Denn Hass zwischen verschiedene Ethnien (nicht nur) in den USA ist heute genauso ein Thema wie damals, wenn auch mit wechselnden Protagonisten.

Um einen derart großen Film neu zu drehen, braucht es gute Gründe. Spielberg, der bereits 2014 Interesse zeigte, den Film zu machen, damals noch mit FOX, hat einige Änderungen im Vergleich zum alten Film vorgenommen. So wurden für die neue Version von West Side Story nur Schauspieler gecastet, die ihre Songs selber singen konnten. Spielberg kopierte die herausragenden Choreographien von Jerome Robbins nicht, sondern ließ Josh Peck komplett neue Tanzszenen für den Film entwickeln. Zudem hält sich Tony Kushners Drehbuch enger an das Bühnenstück als die 1961er Version. Und Spielberg legte die Optik des Films in die Hände seines Haus- und Hof-Kameramannes Janusz Kaminski, der seine fast magischen Fähigkeiten hier einmal mehr unter Beweis stellt.

West Side Story
Die Puertoricaner lieben „America“, aber nicht die Art, wie sie empfangen wurden.

Grandiose Bilder, zeitlose Songs

Denn Kaminski findet so ausdrucksstarke Bilder für West Side Story, dass der Film schon ohne Ton ein Genuss wäre. Das gilt ebenso für die leisen Momente des Films wie für die von Leben durchfluteten Tanzszenen. Optisch ist der Film nicht weniger als ein weiteres Meisterstück des Polen. Das gelingt auch durch Aufstockung des Personals. Wo 1961 ein knappes Dutzend Tänzer und Sänger auf einem Hausdach „America“ schmetterten, so lässt Spielberg einen ganzen Straßenzug die Tatsache feiern, dass man in Amerika lebt. Es ist die wohl mitreißendste Musical-Szene des Films und strahlt eine Lebensfreude aus, die sich unmittelbar auf das Publikum überträgt. Und das ist nicht nur in dieser Szene so.

Der erfahrene Regisseur verlässt sich auch auf die Kraft der Musik. Denn Bernstein komponierte ein Musical, das gleich eine ganze Handvoll unvergesslicher Melodien und Songs hervorbrachte. Spielberg setzt ihnen allen mit seiner makellosen Regie ein Denkmal und Kaminski gelingen Bilder, die den Zuschauer in ihrer Kulissenhaftigkeit fast in ein Musical-Theater versetzen. Wenn Ansel Elgort sein „Maria“ in den Nachthimmel schmachtet, den wohl bekanntesten Song des Stückes, dann fühlt man mit ihm. Wenn Rachel Zegler „I Fell Pretty“ anstimmt und ihr Liebensglück hinaus in die Welt trällert, dann fühlt man mit ihr. Diesen emotionalen Kern, ohne den West Side Story nicht West Side Story wäre, hat Spielberg stets im Blick und er lässt sein Publikum in mehr als 150 Minuten mitlachen, mitfeiern und mittrauern.

Ein Film aus einem Guss

Ansel Elgort, Rache Zegler
Hat die Liebe von Tony und Maria angesichts des Hasses zwischen den Gangs wirklich eine Chance?

Und weil dieses Zentrum des Films so gut funktioniert, passt sich der Rest an. Gesang, Tanz, Schauspiel – hier gibt es nichts, dass gegenüber den anderen Faktoren abfällt. Das Niveau der Tänzer und Sänger ist atemberauben hoch und deshalb sieht auch alles so federleicht aus. Ansel Elgort ist als Tony absolut umwerfend und singt und tanzt, als ob sein Leben davon abhinge. Und Rachel Zegler ist eine winzige, aber kraftvolle Maria, die nicht nur die Songs in einer Intensität singt, die im Gedächtnis bleibt, sondern auch die Leinwand mit ihrer Ausstrahlung jedes Mal ein kleines bisschen heller macht. Ein Extra-Lob verdient sich auch Mike Faist als Riff, dessen tragische Figur in dieser Verfilmung jede Szene beherrscht. West Side Story ist ein zeitloses Meisterwerk – wie schon der Vorgänger.

Fazit:

Steven Spielberg inszeniert mit seiner Version von West Side Story einen großartigen Film. Ein spektakulär gutes Ensemble schmettert die zeitlosen Melodien Bernsteins mit einer Inbrunst von der Leinwand herunter, dass sich kaum ein Zuschauer dagegen wehren kann. Schnell hat der Regisseur das Publikum tief in die Story gezogen und lässt es mit den Protagonisten lachen und weinen. Die mitreißenden Choreographien von Josh Peck setzen dazu noch optische Glanzpunkte, ebenso wie Janusz Kaminskis traumhafte Bilder der Hinterhöfe, Straßenzüge und kleinen Geschäfte im New York der 50er. Spielberg legt seine gesamte Erfahrung von mehr als 50 Jahren in diesen Film – und das Ergebnis ist nichts anderes als ein weiteres Meisterwerk.

West Side Story startet am 9. Dezember 2021 in den deutschen Kinos.

Rita Moreno
Rita Moreno spielte 1961 die Anita. Spielberg konnte die fast 90-jährige überreden, in seinem Film als Valentina, Tonys Chefin, mitzuwirken.