Die US-Produktionsfirma A24 gehört zu den Shootingstars der Filmszene im vergangenen Jahrzehnt. So verhalf sie dem Arthouse-Horror mit Filmen wie „The Witch“ und „Hereditary“ zu neuem Glanz, finanzierte Indie-Hits wie „The Lobster“ und schaffte mit dem Oscar-gesegneten „Moonlight“ den endgültigen Durchbruch als aufstrebender neuer Player in Hollywood. Mit „Waves“ präsentiert A24 den dritten Film von Trey Edward Shults („It Comes At Night“). Ob Arthouse auch bei Familiendrama funktioniert, verrät die Kritik.
Sterling K. Brown gehört in den USA momentan zu den beliebtesten Schauspielern, da er in der Hit-Serie „This Is Us“ eine Hauptrolle spielt. Doch das reicht dem 44-jährigen offenbar nicht, denn er probiert sich regelmäßig auch in anderen Genres fernab der gefühlsbetonten Serie aus. So war er 2018 unter der Regie von Jodie Foster im Gangsterdrama „Hotel Artemis“ zu sehen und übernahm im gleichen Jahr eine Rolle in „Predator – Upgrade“. Kann Brown auch als komplexe Vaterfigur in seinem neuen Film glänzen?
Waves: Die Handlung
Tyler (Kelvin Harrison Jr.) lebt in einem privilegierten schwarzen Haushalt in Süd-Florida. Sein Vater Ronald (Sterling K. Brown) betreibt ein erfolgreiches Bau-Unternehmen, Stiefmutter Catherine (Renee Elise Goldberry) hilft als Annwältin Bedürftigen und mit seiner jüngeren Schwester Emily ((Taylor Russell, „Lost in Space“) versteht sich der beliebte Schüler auch gut. Dazu läuft es mit Freundin Alexis (Alexa Demie) großartig und seine Karriere im Ringen ist ebenfalls auf steilem Weg nach oben. Bis sein Arzt ihm rät, eine Schulterverletzung monatelang auszukurieren.
Tyler nimmt stattdessen Schmerzmittel, die er seinem Vater stiehlt und regelmäßig Drogen gegen seine schlechte Laune. Denn der dominante Ronald duldet im Haus keine Versager oder Schwächlinge – zumindest nach Tyers Meinung. Und so driftet er immer mehr in Drogen und Painkiller ab, dazu wird seine Beziehung zu Alexis durch einen weiteren Vorfall belastet. In einer Nacht, in der Tyler seine Gefühle nicht mehr länger unter Kontrolle hat, kommt es zu einer Katastrophe, die seine Familie hart trifft, besonders Schwester Emily …
Waves: Starkes Drehbuch
Trey Edward Shults inszenierte Waves nicht nur, er schrieb auch das Drehbuch für seinen Film. Und das gelingt ihm, trotz leichter Überlange, sehr gut. Die Geschichte, die er seinem Publikum erzählt, ist dabei nicht besonders außergewöhnlich oder abgehoben. Genau das ist aber ein wichtiger Teil der Qualität. Das Drama, das Shults in seinem Film erzählt, ist für jeden nachvollziehbar, der sich den Film ansieht. Denn die Probleme, die diese Familie hat, sind in ihrer Beschaffenheit fast universal. Rebellion gegen die Eltern, Selbstfindung, Erwartungshaltung anderer.
Dabei flechtet Shults den alltäglichen Rassismus in den USA ebenso beiläufig ein wie die wachsende Gewalt, ohne eines von beidem zu bestimmenden Themen des Films zu machen. Das kulminiert in der Figur des Ronald, der seine Kinder einem gnadenlosen Drill unterzieht, um sie besser zu machen als die Weißen, die ihnen ansonsten alles wegnehmen und sie übervorteilen würden. Ronald, den seine Erlebnisse mit Rassismus bis ins Mark verändert haben, gibt diesen Druck an seinen Sohn weiter – mit geradezu zwingend absehbaren Folgen.
Waves: Zu künstlerisch inszeniert
Auch als Regisseur macht Shults in Waves eigentlich eine gute Figur – zumindest zu Beginn. So lässt er Tyler wie eine Hornisse von der Kamera umkreisen, zieht das Publikum so fast unmerklich in den hektischen und vollgestopften Alltag des Jungen hinein. Immer wieder blickt der Zuschauer so über Tylers Schulter, spürt den Druck, der auf diesen Schultern lastet, fast selbst. Hier überzeugt Shults mit guten Ideen, mit der er seine Story auskleidet. Doch im Lauf des Films entwickeln seine Ideen eine Art Eigenleben und übernehmen die Kontrolle über die Geschichte.
Wenn Shults anfängt, mit den Bildformaten zu experimentieren und mal im 4:3-Bild, mal mit schwarzen Balken oben und unten zu arbeiten, läuft Waves ein wenig aus dem Ruder. Denn diese letztlich als Spielerei enttarnten Kniffe lenken von der tragischen Geschichte eher ab, statt sie zu unterstützen. Hier wäre etwas weniger definitiv mehr gewesen. Das zweite Manko des Films ist das fast völlige Ignorieren von Shults‘ zweiter Hauptfigur. Denn neben Tyler wird Emily in der zweiten Hälfte zum wichtigsten Charakter. Das wirkt aber wie ein Bruch in der Story.
Weil Emily dem Publikum in der ersten Stunde des Films völlig fremd bleibt und überhaupt nicht in den Plot eingearbeitet ist, braucht Waves lange Zeit, bis die jüngere Schwester etabliert ist. Um erst dann zu beginnen, ihren Aspekt der Story zu erzählen. Das hätte ein erfahrener Regisseur möglicherweise eleganter lösen können. Dafür präsentiert Shults in dieser Hälfte des Films einige seiner stärksten Szenen, die kaum jemanden emotional kalt lassen dürften. weil sie sich unfassbar echt anfühlen. Hier ist Shults bereits ein Meister seines Fachs.
Fazit:
A24 in allen Ehren, aber Waves hätte etwas weniger Arthouse und etwas mehr Vertauen in die starke Geschichte durchaus gut getan. Denn diese Über-Inszenierung nimmt dem Film ein wenig von der emotionalen Wucht, die er zweifelsfrei besitzt. Regisseur und Autor Trey Edward Shults zeigt aber auch, dass er es besser kann. Einige der Dialoge packen den Zuschauer so unmittelbar, dass hier sicher bei manchen Tränen fließen werden. Waves ist die kluge Analyse einer Familie in Zeiten des wachsenden Wahnsinns der USA. Und doch ein universeller Film über die Schwierigkeit, erwachsen zu werden.
Waves startet am 16. Juli 2020 in den deutschen Kinos.