Mit großen Vorschusslorbeeren, der gruseligste Film seit „Der Exorzist“ zu sein, bedachten die Kritiker schon im Vorfeld Ari Asters Regiedebüt „Hereditary“. Auch Vergleiche mit „The Witch“, der wie Hereditary von der Avantgarde-Produktionsfirma „A24“ ermöglicht wurde, waren zu lesen. Hat der Film dieses Urteil verdient? Ist Hereditary das Nonplusultra des Horrors im neuen Jahrtausend, wie manche behaupten?
A24 ist eine Produktionsfirma, an der sich die Geister scheiden. Zwar gelingt ihnen auch immer wieder ein Achtungserfolg an den Kinokassen, an denen ein Film aus ihrer Produktion mit einem Budget von 2-3 Millionen das Zehnfache einspielt, wie „Lady Bird“ oder „The Desaster Artist“. Aber meist bleiben ihre Filme eher Kritikerlieblinge wie „A Ghost Story“ oder „The Killing of a Sacred Deer“, die nur wenig mehr als ihre Kosten erwirtschaftet haben. Kann Hereditary Kritiker und Publikum überzeugen?
Hereditary: Die Handlung
Künstlerin Annie (Toni Collette) muss ihre Mutter begraben, zu der sie stets ein eher schwieriges Verhältnis hatte. Um ihre Trauer zu verarbeiten, besucht Annie eine Selbsthilfegruppe, in der sie die freundliche Joan (Ann Dowd) kennenlernt. Mir ihr spricht sie über andere Schwierigkeiten in ihrem Leben. Die 13-jährige Charlie (Milly Shapiro), die missgestaltet zur Welt kam, aber auch psychische Probleme hat. Den Sohn Peter (Alex Wolff), der fast erwachsen ist und Ärger mit Drogen hat. Und ihren Mann Steve, von dem sie sich langsam entfremdet.
Beim Aufräumen im Haus findet Annie alte Sachen ihrer Mutter, aus denen hervorgeht, dass die in einer Art Kult aktiv war. Und bald beginnen seltsame und erschreckende Dinge im Haus, die nicht nur Annie erschrecken, sondern auch Peter nicht kalt lassen. Als dann ein schreckliches Ereignis die Familie in ihrem Grundfesten erschüttert, werden diese Vorfälle immer schlimmer, bis sich eine dunkle Macht offenbart, die das alles eingefädelt hat. Oder ist das alles doch nur in Annies Kopf passiert?
Hereditary: Großartig inszeniert …
Dass wir von Regisseur Ari Aster von viel hören werden, steht nach diesem Regiedebüt eigentlich außer Frage. Eine derart virtuose und durchdachte Inszenierung muss man von einem Debütanten lange suchen. Das beginnt schon bei der ersten Einstellung, in der die Kamera langsam auf eines der Puppenhäuser von Annie zufährt, mit denen sie ihr Geld verdient, bis wir uns plötzlich in Peters Zimmer befinden – scheinbar ganz ohne Schnitt.
Das Puppenhaus-Thema ist denn auch eines von mehreren, die Aster in seinem Film immer wieder aufnimmt. Manche Kameraeinstellungen im dunklen Haus der Familie machen es schwer zu beurteilen, ob wir in einem realen oder in einem Puppenhaus sind. Damit greift Aster die Frage, ob die Familie noch ihr eigener Herr ist oder schon längst wie Marionetten an den Fäden anderer Mächte hängen, gekonnt auch optisch immer wieder auf, ohne damit eine Antwort zu geben. Und auch der Wahnsinn, der offenbar immer wieder ein Teil von Annies Familie war, wird von Aster als wiederkehrender Faktor der Geschichte in Form diffuser Bilder und Gestalten in der Ecke von Zimmern aufgegriffen.
Wie Annie und Peter muss sich der Zuschauer fragen, was er jetzt wirklich gesehen und was vielleicht nur seine Phantasie erschaffen hat. Das gelingt Aster in einer Qualität, von der man wirklich nur den Hut ziehen kann. Aber die Bilder sind eben nicht alles.
Hereditary: …aber nicht großartig geschrieben
Ari Aster ist mit Sicherheit ein toller Regisseur. Ein toller Autor ist er aber nicht. Und so leidet der Film an zwei grundlegenden Dingen, die für einen guten Film wichtig sind. Die Handlung ergibt nicht wirklich Sinn, widerspricht sich an manchen Punkten sogar oder ist schlicht nicht glaubwürdig. Und das zerstört viel von dem Horror, den der Film eigentlich heraufbeschwören will. So deutet Aster schon sehr früh an, dass die Familie möglicherweise von dunklen Mächten in ihrem Haus attackiert wird. Genauso deutet er allerdings an, dass Annie schlicht den Verstand verliert.
Und diese beiden unterschiedlichen Ansätze verfolgt der Film viel zu lange, ohne dass er sie je richtig zusammenbringt. Bis dann die letzte Viertelstunde des mit zwei Stunden auch zu langen Films zwar schockiert, aber der Geschichte auch einen ordentlichen Ruck vom Arthouse-Horror zum B-Movie-Script verpasst. Das erinnert in guten Momenten an den Okkultklassiker „Rosemary’s Baby“, in weniger guten aber an Gurken wie „A Cure for Wellness“, der ebenfalls Meta-Ebenen antäuscht, um dann in einem B-Movie-Finale zu enden, das Roger Corman in den 60ern nicht flacher hätte schreiben können. Ganz so schlimm ist es in Hereditary zwar nicht, aber ein wenig albern wirkt das Ende angesichts der vorher gezeigten realen Gräuel dann doch.
Und so ist Hereditary weit weniger oft richtig gruselig, als er hätte sein können. Sensiblen Feingeistern mag der Film Angst einjagen, bodenständigere Horrorfans dürften hier aber kaum aus den Sesseln springen. Dazu kommen die unterschiedlichen Schauspieler-Leistungen. Während sich Toni Collette bis an die Grenze zur Karikatur verausgabt, zeigt Alex Wolff kaum eine Regung im ganzen Film. Das passt nicht wirklich gut zusammen.
Fazit:
Leicht überschätzter Arthouse-Horror mit B-Movie-Ende, der zwar herausragend inszeniert ist und deshalb viel fürs Auge bietet, als echter Horrorschocker aber durchfällt. Als Drama hätte er voll überzeugen können, hätte Regisseur Ari Aster sich in seinem Debüt darauf beschränkt. Als Horror-Drama-Mix funktioniert Hereditary aber nur mäßig. So ist das eher ein Film für Cineasten als einer für Horrorliebhaber.
Hereditary – Das Vermächtnis startet am 14. Juni 2018 in den deutschen Kinos.