Dunkirk

Filmkritik: Dunkirk

Bisher hat sich Regisseur Christopher Nolan in seinem Werk nicht durch eine besondere Vorliebe für realistische oder gar historische Themen hervorgetan. Das ändert sich nun mit „Dunkirk“: 400000 Soldaten warten im Frühjahr 1940 am Strand von Dünkirchen auf die Evakuierung nach England. Wie gelungen ist Nolans Drama?

Eigentlich sind ja große Visionen Christopher Nolans Ding: Ob die Traumwelt von „Inception“, das schwarze Loch in „Interstellar“ oder die sehenswerte „Batman“-Trilogie – Nolans Filme waren stets eher von Eskapismus und Phantasie geprägt als von beinhartem Realismus. Mit Dunkirk verfilmt er nun erstmals tatsächliche Geschichte – und bringt doch fast surreale Bilder auf die Leinwand.

Dunkirk
Was kommt zuerst? Ein eigenes Schiff oder ein feindlicher Bomber? Die Soldaten in Dunkirk zittern um ihr Überleben.

Dunkirk: Die Handlung

Nolan erzählt seinen gut 100 Minuten kurzen Film aus drei Perspektiven. Am Strand versuchen die Soldaten Tommy (Fionn Whitehead), Alex (Harry Styles) und Gibson (Aneurin Barnard) mit allen Tricks, auf ein rettendes Schiff in die Heimat zu gelangen, während die Offiziere Bolton (Kenneth Branagh) und Winnant (James D’Arcy) die Evakuierung koordinieren.

Der Bootsbesitzer Dawson (Mark Rylance) nimmt mit vielen anderen kleinen, zivilen Schiffen Kurs in Richtung Dünkirchen, um bei der Rückholung der britischen Soldaten zu helfen. Gemeinsam mit seinem Sohn Peter (Tom Glynn-Carney) fischt er den einzigen Überlebenden (Cillian Murphy) eines Schiffsuntergangs aus dem Ärmelkanal – und der gerät in Panik, als er das Ziel der Reise erfährt …

Pilot Farrier (Tom Hardy) fliegt mit zwei anderen Piloten Luftaufklärung über dem Ärmelkanal und muss sich irgendwann entscheiden, ob er nach einem Treffer ins Armaturenbrett nach Hause fliegt oder so lange wie möglich die britischen Schiffe vor deutschen Jagdfliegern und Bombern beschützt …

Dunkirk: Krieg für die Ohren

Schon in den ersten Sekunden lässt Nolan in seinem Film nach eigenem Drehbuch keinen Zweifel daran, wo wir uns befinden. Bei einem Überfall auf ein paar britische Soldaten im Dorf Dunkirk überlebt lediglich der junge Tommy mit viel Glück. Und schon dabei macht der Film einen Lärm, dass man unwillkürlich auf den Sitz neben sich blickt, ob dort gerade eine Kugel eingeschlagen ist. Die Bilder, die Kameramann Hoyte van Hoytema für Nolan einfängt, sind durchgehend stark, aber die Tonspur von Dunkirk setzt schlicht neue Maßstäbe. Wenn die deutschen Flugzeuge sich auf ihrem Weg vom Horizont an den Strand von Dunkirk von wütenden Hornissen zu schrill kreischenden Furien verwandeln, drückt nicht nur das Bild, sondern vor allem das Geräusch das Publikum in die Sitze.

Das soll aber die Optik des Films nicht schmälern: Nolan findet starke Bilder für das alltägliche Sterben am Strand und im Wasser von Dunkirk. Ob der übervolle Bootssteg, auf dem tausende Soldaten auf Schiffe warten und der von Granaten und Fliegerbomben zerfetzt wird. Oder das Maschinengewehr, das tödlich über den Strand bellt. Erschütternd ist dabei vor allem die Routine der Soldaten. Deckung suchen, dann aufstehen und wieder anstellen, als sei nichts geschehen. Und die ertrinkenden Männer im Stahlbauch eines von deutschen U-Booten per Torpedo versenkten Schiffes sind auch ohne große Mengen Blut oder aufgeplatzte Körper schlimm genug anzusehen. Die Altersfreigabe ab 12 Jahren ist da sicherlich überdenkenswert.

Dunkirk
Noch am ehesten der Held des Films: Tom Hardy als tollkühner Spitfire-Pilot.

Dunkirk: Krieg ohne Gegner

Dabei bleibt Nolan konsequent bei den britischen Soldaten, die den Feind samt und sonders nicht zu sehen kriegen. Flugzeuge am Himmel sind alles, was optisch auf den Gegner hinweist. Die Bomben und Torpedos sieht man erst, wenn sie explodieren. Am ehesten klassisches Kriegsgeschehen erleben die Zuschauer im Cockpit von Tom Hardy, aber auch hier beschränkt sich der Luftkampf auf wenige Szenen. Letztlich zeigt Nolan fast nur Flucht vor einer unsichtbaren, aber sehr realen Bedrohung. Und die Flüchtigen, die Nolan sich als Protagonisten sucht, haben weder Vergangenheit noch Zukunft. Sie existieren lediglich im Hier und jetzt und kämpfen mit allen Mitteln ums Überleben. 

Und das ist der einzige Vorwurf, den man Nolan bei Dunkirk machen kann: Er hält Abstand zu seinen Figuren und reduziert sie auf wenige Charaktereigenschaften – nicht viel Gelegenheit, mit ihnen richtig warm zu werden. Zumal Dialoge im gesamten Film kaum Platz finden – hier wird mehr gestorben als gesprochen. Dadurch hat Nolans Film trotz der einseitigen Sichtweise fast dokumentarischen Charakter, verweigert sich aber auch großen Emotionen. Das unterscheidet ihn von Meisterwerken wie Steven Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ oder Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“: Eine klare Botschaft oder Aussage zum Krieg hat Nolan nicht. Dennoch ist Christoper Nolans erster Ausflug in die Geschichte zweifelsfrei großes Kino, dass nicht nur wegen der Tonspur noch nachhallt. Aber: Eine Oscarnominierung für den besten Ton ist hier Pflicht!

Fazit:

 Großartige Bilder und ein unglaublich intensiver Ton – das sind die beiden Markenzeichen von Dunkirk. Die Kinomagie, die Nolan in seinen früheren Filmen entfesselte, verliert er auch bei diesem Ausflug in die jüngere Historie nicht. Er schafft Momente, die hängenbleiben, aufgrund seiner zerrissenen Erzählweise und den fremd bleibenden Charakteren ist der Film aber etwas kühler, als er hätte sein müssen. Trotzdem zeichnet Nolan ohne viel Blut und Gewalt ein beeindruckendes Gemälde vom Leben und Sterben im Krieg. Mit „Meisterwerk“ und „Bester Film des Jahres“ ist er aber vielleicht etwas zu hoch aufgehängt.

Dunkirk startet am 27. Juli in den deutschen Kinos.

Dunkirk
Viele der Soldaten, die am Strand von Dunkirk auf Rettung hoffen, sind noch halbe Kinder.