Dancing Queens

Filmkritik: Dancing Queens

LGBTQ-Themen in Filmen und Serien liegen im Trend – nicht nur bei Netflix. Aber der Streaming-Dienst hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren durchaus hervorgetan, wenn es um Charaktere ging, die sich im LGBTQ-Bereich zuhause fühlten. Und das gilt nicht nur für die von Ryan Murphy produzierten Objekte wie „Halston“, „Hollywood“ oder „The Prom“. Serien wie „Sense 8“ oder „Alex Strangelove“ sind ebenfalls gute Beispiele. In Deutschland zeigt Netflix auch Formate wie „Queer Eye“ oder „Ru Paul’s Drag Race“ – und hier schließt der neue schwedische Film „Dancing Queens“ gut an. Kommen hier also Fans von LGBTQ-Themen und Freunde von Tanzfilmen gleichzeitig auf ihre Kosten?

Dancing Queens
Auch nach 18 Monaten trauert Dylan noch täglich um ihre Mutter und versteckt sich vor dem Leben.

Die Handlung

Seit die junge Dylan (Molly Nutley) ihre Mutter an den Krebs verlor, kümmert sie sich mit ihrem ebenso trauernden Vater um den Supermerkt auf einer kleinen schwedischen Insel, will von der großen weiten Welt und ihrem Traum, eine berühmte Tänzerin zu werden, aber nichts mehr wissen. Die Blondine, die nach dem Lieblingsmusiker ihres Vaters benannt ist, führt zwar noch die kleine Tanzschule für die Kids der Insel weiter, aber mit ganzem Herzen ist sie nicht dabei, zu sehr schmerzt die Erinnerung an früher. Ihre Großmutter (Marie Göranzon) beobachtet das Leiden ihrer Enkelin schon eine Weile und beschließt, Dylan ins Gewissen zu reden. Deshalb erzählt sie ihr von einem Termin zum Vortanzen in der nahegelegenen Stadt.

Erst will Dylan nichts davon hören, doch schließlich entscheidet sie sich doch, die Chance zu ergreifen und beim Casting einer internationalen Tanztruppe vorzutanzen. Doch leider hat sich Oma im Datum geirrt – die Veranstaltung ist bereits seit einem Monat vorbei. Als ihr jemand vorschlägt, in einem kleinen Theater für eine Woche den Job der Reinigungskraft zu übernehmen und so bei den Proben zusehen zu können, ist Dylan zunächst skeptisch. Doch dann lernt sie Choreograph Victor (Fredrik Quinones) kennen, der Probleme hat, mit ein paar jungen Tänzern und einer in die Jahre gekommenen, berühmten Drag Queen eine Show auf die Beine zu stellen. In Dylan reift eine verrückte Idee, die sie am nächsten Tag tatsächlich umsetzt: Sie gibt sich als Tänzer aus, der als Drag Queen arbeitet …

Kann Spuren von Melancholie enthalten

Geführt wird Dancing Queens bei Netflix unter der Sparte „Komödie“. Das trifft es aber nicht so ganz, denn wirklich brüllend lustig ist hier wenig. Ein besseres Etikett für den Film wäre sicher „Feel-Good-Movie“. Denn die charmante Regiearbeit von Helena Bergström macht beim Zusehen eher gute Laune als Spaß. Und dennoch durchzieht eine Spur von Melancholie den Film, wie es oft bei skandinavischen Produktionen der Fall ist. Denn Themen wie Trauer, Probleme mit dem Coming-Out, Anfeindungen gegen Minderheiten und verbotene Lieben finden hier durchaus statt, wenn auch oft nur als Andeutung oder in einer Szene. Nicht genug, um den Film zu einem Drama zu machen, aber doch prägend für die Grundstimmung von Dancing Queens, die auch ein paar dunklere Flecken mitbringt.

Bislang gibt es nur eine Handvoll Filme über Drag Queens (Priscilla, To Wong Foo). Und die waren auch deshalb so gut, weil sie aus ihren Charakteren keine Witzfiguren gemacht haben. Auch Bergström gelingt es in ihrem Film, die Drag Queens zwar als spleenig, aber ansonsten eben als die ganz normalen Laute zu zeigen, die sie sind. Allerdings bleiben sie trotz ihrer schillernden Outfits hier nur Nebenfiguren, das Drehbuch konzentriert sich sehr auf die Hauptfigur Dylan und erzählt andere Storys nur am Rande. Da ist die alternde Diva Tommy (Claes Malmberg), der den Tod seines langjährigen Lebensgefährten noch nicht überwunden hat. Oder der erfolgreiche Regisseur, der sein Herz vor Jahren an den jugendlichen Victor verloren hat und nun voller Angst ist, ihn bald nicht mehr halten zu können.

Dancing Queens
Doch auf Drängen ihrer Oma macht sich Dylan auf den Weg in die Stadt, um an einem Vortanzen teilzunehmen.

Klare Hauptfigur

All diese Geschichten erzählt Helena Bergström in ihrem Film, für den sie auch am Drehbuch mitschrieb, in nur wenigen Minuten, um Zeit für die Hauptstory zu haben. Doch sie bringt in diesem kurzen Zeitraum genug Linien aufs Papier, um ein präzises Bild der Figuren entstehen zu lassen. Und die geraten recht liebenswert, gerader weil sie alles andere als perfekt sind. Uneingeschränkter Star ist allerdings Molly Nutley. Die zierliche Schauspielerin überzeugt in ihrer Rolle von der ersten Szene an. Leider wirken die Tanzszenen oft gedoubelt, auch wenn Nutley bereits 2021 im schwedischen „Let’s Dance“ einen zweiten Platz holte, lässt sich ihr Gesicht kaum einmal deutlich erkennen. Wer nun tanzt, ist aber auch nicht wichtig, denn die Szenen sind überaus gelungen – und das ist ja die Hauptsache.

Aber auch wenn nicht getanzt wird – und das ist die meiste Zeit des Films, überzeugt Nutley mit ihrem Spiel. Der Zuschauer schließt Dylan schnell ins Herz, gerade weil sie sich aus ihrer Trauer kaum lösen kann. Und nur selten wirklich schöne Momente erleben darf. Wenn es dann aber soweit ist, dass Dylan auf der Bühne endlich loslassen kann und ganz im Moment versinkt, freut sich das Publikum mit ihr. Und dieses Gefühl bleibt auch für den Rest des Films bestehen. Was auch daran liegt, dass die Kamera sehr verliebt um die Hauptdarstellerin kreist und kaum eine Gelegenheit auslässt, die junge Frau in Nahaufnahme zu zeigen. Durchaus verständlich, ist Helena Bergström doch Molly Nutleys Mutter.

Dancing Queens
Das Vortanzen ist längst vorbei, als sie ankommt, dafür lernt sie den Choreographen Victor kennen, der dringend Hilfe braucht.

Musikalisch geht Dancing Queens nicht dorthin, wo man es vielleicht erwartet. Ein Abba-Feuerwerk gibt es hier nicht, möglicherweise waren der Produktion die Songrechte schlicht zu teuer. Entschädigt werden sie mit dem Disco-Klassiker „I Will Survive“ von Gloria Gaynor. Und der ist ja auch ganz schön.

Fazit:

An Dancing Queens werden sich die meisten Zuschauer sicher nicht über Gebühr lange erinnern. Aber für einen netten Abend vor dem Fernseher bietet der schwedische Feel-Good-Movie mit leicht melancholischem Einschlag mehr als genug. Die unaufdringliche Botschaft für mehr Toleranz, die sehenswerten Tanzdarbietungen und die durchgehend sympathischen Darsteller machen Dancing Queens auch zum passenden Familienfilm fürs Wochenende. Kein Film, den man sehen muss, aber einer den man sich gut ansehen kann.

Dancing Queens startet am 3. Juni 2021 bei Netflix. Der Film hat eine deutsche Fassung.

Molly Nutley
Suchbild: Eine dieser Drag Queens ist tatsächlich eine Frau!