Crawl

Filmkritik: Crawl

Das Sub-Genre des Tier-Horrorfilms ist eines der undankbarsten überhaupt. Denn wer auch immer was auch immer dreht, es ist nach menschlichem Ermessen nicht möglich, den König des Genres zu schlagen, der seit 1975 fest auf seinem Thron sitzt: „Der Weiße Hai“. Steven Spielbergs Meisterwerk war nicht nur der erste Blockbuster der Filmgeschichte, sondern ist auch bis heute in vielen Belangen unerreicht. Nun hat sich Frankreichs Horror-Großmeister Alexandre Aja nach „Piranhas 3D“ mit „Crawl“ erneut auf dieses Genre eingelassen – mit Erfolg?

Alexandre Aja schockte die Kinowelt 2003 mit seinem Horror-Debüt „High Tension“, einem hochspannenden, aber auch extrem blutigen Slasher-Thriller. Als er drei Jahre später mit seiner ersten Hollywood-Produktion das beinharte Remake „The Hills Have Eyes“ (Originalfilm von Wes Craven) ablieferte, war für Horrorfans klar – das ist einer! Nach dem derben, aber lustigen Piranhas 3D erwarteten die Fans auch bei Crawl blutige Horror-Action mit Humor. Aber kriegen sie das auch? Lauterfilme verrät’s.

Crawl
Als Haley ihren verletzten Vater findet, ahnt sie nicht, dass sie schon längst in der Falle sitzt.

Crawl: Die Handlung

Haley (Kaya Scodelario) ist besorgt. Weil ihre Schwester Vater Dave (Barry Pepper) nicht erreicht, beschließt die junge Frau, zu ihrem Dad zu fahren, obwohl die Behörden einen Stufe-5-Sturm melden, der in ihrer alten Heimat sein Unwesen treibt. Mit viel Mühe erreicht sie das Haus ihres Vaters – doch außer dem Hund ist niemand da. Einer Eingebung folgend, fährt Haley zum ehemaligen Haus ihrer Eltern, das Dave schön längst hätte verkaufen wollen. Und dort macht sie einige unheimliche Entdeckungen. Es scheint, als wäre etwas im Keller.

Beim Nachsehen findet Haley tatsächlich ihren verletzten Vater – und auch gleich den Grund dafür. Ein großer Alligator hat sich durch das alte Abflussrohr in den Keller verirrt und ihn zu seinem neuen Schlafplatz umfunktioniert. Bei stetig steigendem Wasser muss Haley nun versuchen, ihren Dad und sich selbst vor dem gefräßigen Räuber zu schützen und den Keller lebend zu verlassen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn der Alligator denkt gar nicht daran, seine einmal verwundete Beute kampflos ziehen zu lassen …

Crawl: Effektiver Horror

Den Krokodilen in Horrorfilmen geht es wie den Haien. Es gibt unzählige Filme, aber kaum welche, die sehenswert sind. Neben dem trashigen „Der Horror-Alligator“ (1980) und dem humorvollen „Lake Placid“ (1999) konnte in diesem Jahrtausend der australische „Rogue“ (2007) überzeugen – viel mehr gibt es aber nicht. Bis jetzt. Denn mit Crawl darf sich Alexandre Aja auf die Fahnen schreiben, einen weiteren, richtig guten Kroko-Horror in die Kinos gebracht zu haben. Was auch daran liegt, dass der Franzose diesmal auf Humor verzichtet hat.

Stattdessen setzt er das meist recht clevere Drehbuch von Michael und Shawn Rasmussen (schrieben auch John Carpenters letzten Film „The Ward“) schnörkellos, aber mit viel Gespür für Spannung und Timing um. Und sorgt so dafür, dass sich die Spannung im Film dem Wasserspiegel anpasst – beides steigt im Film ständig weiter an. Die Rassmussens bedienten sich dabei eines sehr effizienten Stilmittels – die Story ist zwar durchaus unwahrscheinlich, aber in sich stimmig und eben nicht völlig unrealistisch. Das macht den Überlebenskampf von Vater und Tochter gleich eine Spur packender.

Crawl
Bald muss Haley mit allen Mitteln um ihr Leben kämpfen – und das ihres Vaters.

Crawl: Gesunde Härte

Zumal Aja in seiner typischen Art auch optisch keine Gefangenen macht. Zwar hat er schon deutlich blutigere Filme gedreht, aber auch für Crawl gilt: Wenn es blutig wird, dann wird es auch gezeigt. Für ein zartbesaitetes Publikum ist Crawl schon deshalb nicht sonderlich gut geeignet. Dazu kommen aber noch ausgezeichnet gesetzte Jump-Scares, die den Namen auch verdienen. Und eine gelungene Atmosphäre, die das Zusehen von Minute zu Minute unbehaglicher macht. Denn das Drehbuch schickt die Helden wieder Willen klug vom Regen in die Traufe.

Die Autoren waren zudem schlau genug, auf wie auch immer geartete Super-Ausgaben von Alligatoren zu verzichten und blieben stattdessen auch hier eng an der Realität. Die Raubtiere sind groß, aber nicht unglaubwürdig groß. Auch das verleiht Crawl eine Authentiztät, die der Spannung gut tut. Denn statt einem kühlen Zuschauerinteresse, wie es komplett unrealistische Plots oft auslösen, fiebert man hier unwillkürlich mit, weil der kleine Funken im Kopf, der ständig wiederholt, dass so etwas tatsächlich passieren könne, einfach nicht verstummen will.

Dennoch ist Crawl kein knochentrockener Horror. Mit gelegentlichen, absichtlich übertriebenen Szenen schafft Aja für den Zuschauer immer wieder eine befreiende Distanz – wenn auch nicht lange. Aber das unterscheidet den guten Crawl letztlich von seinen noch besseren Frühwerken, bei denen er sein Publikum keine Sekunde vom Haken ließ und die Spannung fast ins Unerträgliche steigerte. Da ist der Franzose offenbar doch etwas altersmilde geworden – oder das Studio wollte keinen derartig harten Film haben.

Fazit:

Nach längerer Horror-Pause meldet sich Alexandre Aja, Mitbegründer der neuen französischen Härte Anfang der 2000er, mit Crawl eindrucksvoll zurück. Der temporeiche, nie zu unglaubwürdige Tier-Horror besticht mit gut aufgebauter Spannungskurve, glaubhaftem Plot und genug unangenehmen Szenen, dass Horrorfans auf ihre Kosten kommen. Wer allerdings einen zweiten High Tension oder Hills Have Eyes erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein. Crawl ist deutlich mehr Mainstream als Ajas Frühwerke.

Crawl startet am 22. August 2019 in den deutschen Kinos.

Crawl
Und dazu nimmt sie unglaubliche Gefahren auf sich. Kann sie sich und ihren Dad tatsächlich retten?