Seit Thomas Manns „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ erfolgreich verfilmt wurde, weiß man auch in Deutschland, dass charmante Gangster durchaus als Helden ihres eigenen Films funktionieren können. Netflix lässt daher David Cross und Frederick Lau als Betrüger im großen Stil auf das Publikum los. Regisseur Cüneyt Kaya hat bereits Erfahrung mit Filmen im Milieu gesammelt, zuletzt als Co-Autor von „Asphaltgorillas“. Was kann seine Hochfinanz-Satire mit Anleihen bei Martin Scorsese?
Schon in der Dramedy „Simpel“ agierten David Kross und Frederick Lau gemeinsam vor der Kamera, damals als Brüderpaar. Da stimmte die Chemie zwischen den beiden Schauspielern, die von Emilia Schüle noch unterstützt wurde. Für ihr neues gemeinsames Projekt haben sich Lau und Cross Janina Uhse dazugeholt. Können sie auch diesmal als abgezockte Gauner überzeugen? Und ist Betonrausch, der sich deutlich sichtbar Inspiration bei Martin Scorseses „Wolf of Wall Street“ geholt hat, ähnlich sehenswert? Die Antwort liefert die Kritik.

Betonrausch: Die Handlung
Als Viktor Stein (David Kross) mit ein paar Euros in der Tasche aus der Provinz nach Berlin kommt, merkt er schnell, dass mit harter Arbeit wenig von dem zu holen ist, was der junge Mann sich erträumt. Und so dreht er bald seinen ersten Coup. Statt auf dem Bau zu malochen, mietet er Luxus-Appartments mit falschen Papieren an – und vermietet die an die Schwarzarbeiter aus Bulgarien weiter, die er auf dem Bau kennengelernt hat. Das geht zwar nur ein paar Wochen gut, aber sein Startkapital für weitere Pläne hat sich Viktor da schon ergaunert.
Und dabei auch die Bekanntschaft von Gerry (Frederick Lau) gemacht, der in Viktor ein Naturtalent für Blendung und Austricksen sieht. Die beiden werden Partner und ziehen sich bald darauf einen dicken Immobilienfisch an Land – ein Haus mit 20 Wohnungen im Berliner Osten. Doch den Deal können die beiden nicht allein stemmen und so holen sie sich Gerry Schulfreundin Nicole (Janina Uhse) mit ins Boot, die bei einer Bank arbeitet und den potenziellen Käufern die notwendigen Kredite verschafft. Und schon rollt das ganz große Geld …
Betonrausch: Satire oder nicht?
Koks und Nutten in Zeitlupe. Mehr als einmal greift Regisseur und Drehbuchautor Cüneyt Kaya zu diesem Bild, um dem Zuschauer die dekadente Welt der beiden Betrüger vor Augen zu führen. Leider nicht das einzige Klischee, an dem Betonrausch krankt. Ob Nobelkarossen, Mega-Villa oder fette Klunker – Kaya lässt kaum ein Vorurteil aus, das der kleine Mann über die große, böse Gangsterwelt kennt. Und verzichtet damit auf jegliche Zwischentöne, die er durchaus in seiner Story vorgesehen hatte, die aber gegen die geballten Stereotypen nicht ankommen.
So gibt er zumindest seinem Helden Viktor eine Back-Story, die dessen Verhalten erklärt. Und räumt seiner Vergangenheitsbewältigung sogar reichlich Platz in seinem 90-Minüter ein. Das passt allerdings nicht sonderlich gut zu seinem Satire-Ansatz, der ansonsten davon lebt, möglichst eindimensionale Figuren zu zeigen. Für den Protagonisten Verständnis oder gar Mitleid aufzubauen, verwässert den schwarzhumorigen Ansatz des Films denn auch deutlich. Nicht das einzige Mal, dass Kaya Probleme mit der Tonalität des Films bekommt.

Betonrausch: Sympathische Gangster
Was auch an den Darstellern liegt. Denn während Janina Uhse das gierige Biest durchaus glaubhaft verkörpert, sind Cross und Lau derart sympathisch, dass man den beiden trotz nachgewiesener Gemeinheiten eigentlich gar nichts Schlechtes wünscht. Das ist von einem DiCaprio, dem man gern abstoßend fand, doch weit entfernt. Die Männerfreundschaft, die wohltuend offen bleibt, ist denn auch eines der Highlights in Betonrausch. Es macht einfach Spaß dabei zuzusehen, wie sich Gerry und Viktor beim Betrügen die Bälle zuspielen.
Denn hier bringt Kaya auch ein paar Spitzen gegen die Gesellschaft unter, die den beiden ihr Geschäft mitunter allzu leicht macht. Bis es dann wieder in Sophia Thomallas Puff geht und die Gangster sich aufführen, wie sich das wohl ein Zwölfjähriger nach Sichtung einiger Gangster-Rap-Videos vorstellt. Oder Viktor mit Familie in ein Haus zieht, das Al Pacino in „Scarface“ zur Ehre gereicht hätte. Wäre es Kaya gelungen, diese Marschrichtung durchzuziehen, er hätte einen herrlich galligen Kommentar zur Nachwendezeit abgeben können.
Doch offenbar lag ihm mehr an seinen Figuren, als es für eine Satire gut ist. Seinen kriminellen Helden Herz und Seele zu geben, ist mitunter schön anzusehen, macht Betonrausch aber auch zu melodramatisch für eine schwarze Komödie. Und das letzte Drittel des Films gehört dann ganz David Kross als mehr oder weniger geläuterter Verbrecher, dem plötzlich ganz andere Werte wichtig sind. Das ist gut gespielt, passt aber nicht so recht zum Rest der Story. Ganz ansehnlich und durchaus unterhaltsam ist Betonrausch geworden, richtig gut leider nicht.
Fazit:
Regisseur und Autor Cüneyt Kaya bietet in seinem Betonrausch durchaus gute Ansätze und Ideen für eine böse Satire über die Natur des Menschen, kann sich aber nicht entscheiden, welchen Film er eigentlich drehen will. Und so verliert seine Satire durch zunehmend melodramatische Momente ebenso an Biss wie durch ausgelutschte Klischees von „Fuffis im Club“ und ähnlich ärgerliche Szenen. Wegen der tadellos aufspielenden Stars David Kross und Frederick Lau ist die zweite deutsche Netflix-Produktion durchaus sehenswert, hätte aber noch besser sein können.
Betonrausch startet am 17. April 2020 bei Netflix.
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