1917

Filmkritik: 1917

Über den Zweiten Weltkrieg hat das Kino-Publikum so gut wie alles gesehen. Der Erste Weltkrieg hingegen fristete als Hintergrund für Kinofilme bislang eher ein Schattendasein. Das ändert nun der britische Oscar-Regisseur Sam Mendes mit seinem Film „1917“. Der in Echtzeit erzählte Einsatz zweier britischer Soldaten und Freunde hat bereits zehn Oscar-Nominierungen eingesammelt und gilt für die nächsten Academy Awards Ende Februar als großer Favorit in mehr als einer Kategorie. Ist der Film wirklich so gut?

Sam Mendes ist für Kinokenner wahrlich kein Unbekannter. Der 54-jährige Brite gewann bereits 1999 den Regie-Oscar für den Film „American Beauty“. Für sein neues Werk schrieb er sogar erstmalig das Drehbuch selbst. Die fiktive Story in einem historischen Kontext ist aber nicht das Besondere an 1917. Vielmehr erweist sich Mendes als Virtuose im Führen seines Stabes. Denn was er aus Kameramann Roger Deakins (Oscar für „Balde Runner 2049“) und anderen Kreativen, wie den Set-Bauern, hinter der Kamera herausholt, ist die wahre Sensation.

1917: Die Handlung

April 1917 in Frankreich. Der junge Soldat Tom Blake (Dean-Charles Chapman, „Game of Thrones“) und sein Freund Will Schofield (George MacKay) werden zu General Erinmore (Colin Firth) gerufen. Eine englische Einheit, die am morgigen Tag eine große Offensive gegen die Deutschen führen soll, ist laut Spionageabwehr in eine Falle gelockt worden. Sollten die Männer nicht rechtzeitig gewarnt werden und ihren Angriff abbrechen, droht die Auslöschung von 1600 britischen Soldaten. Einer davon ist Tom Blakes Bruder.

Weil der General meint, dass ein kleiner Trupp bessere Chancen hat, sich durch ein Gebiet zu schlagen, das von keiner Kriegspartei wirklich kontrolliert wird, fragt er Tom, ob er bereit ist, den Auftrag anzunehmen. Gemeinsam mit Will macht sich der junge Mann auf den Weg. Doch schon beim ersten Zwischenstopp an der vermeintlichen Front treffen die beiden auf Lieutenant Leslie (Andrew Scott, „Sherlock“), der ein ganz anderes Bild von der Situation zeichnet, als das der General getan hat. Laufen die beiden jungen Soldaten ebenfalls in eine Falle?

1917: Technisches Meisterwerk

Regisseur und Autor Sam Mendes hatte für seinen Film zwei Ziele. Er wollte die Geschichte in Echtzeit erzählen. Und es sollte kein sichtbarer Schnitt im Film zu sehen sein. Beides ist dem Briten virtuos gelungen. Wer in diesem Jahr den Kamera-Oscar gewinnen will, muss diesen Roger Deakins schlagen, der mal hinter den jungen Soldaten her rennt, sie mal seitlich überholt und dann wieder vor ihnen ist – ohne dass dabei jemals eine Unterbrechung zu erkennen wäre. Eine derart dynamische und hochemotionale Kamera-Arbeit gab es lange nicht zu sehen.

Mendes lässt die Kamera dabei konsequent als Begleiter erscheinen, selten weiß der Zuschauer daher mehr als die beiden Protagonisten, die immer wieder ihr Leben riskieren, um ihrerseits 1600 Männer zu retten. Diese höchst subjektive Art des Erzählens, stets dicht an den Figuren, verleiht 1917 einen besonderen Reiz und eine Intensität, die das Publikum so nur selten im Kino erleben kann. Tatsächlich ist die formale Brillanz des Films so groß, dass der Zuschauer problemlos leichter Stolperer im Drehbuch verzeiht. Denn das kann mit der Regie nicht ganz mithalten.

[ngg src=“galleries“ ids=“7″ display=“basic_imagebrowser“]

1917: Ein Hauch zu viel Apocalypse Now

Zwar ist Mendes‘ Intention, den langsamen Abstieg in den Wahnsinn des Krieges auf die Leinwand zu beringen, durchaus erkennbar. Aber er nutzt dabei ähnliche Mittel wie Francis Ford Coppolas Meisterwerk „Apocalypse Now“. Und diesen Vergleich gewinnt 1917 nicht. In einigen Momenten geht Mendes‘ Film der Gaul durch und wechselt von der fast dokumentarischen Erzählweise in eine Storyline, die so unglaubwürdig ist, dass sie wie ein surrealer Traum wirkt. Leider wird klar, dass dem nicht so ist.

Zwar ist die Szene, die nachts in den Ruinen einer Stadt spielt, optisch ebenso großartig wie weite Teil des Films, aber inhaltlich passt sie nicht zum Rest. Und reißt das Publikum damit auch ein wenig aus dem Trip heraus, den die Soldaten da erleben müssen. Hier wie auch im Finale des Films scheint Mendes ein wenig der Glaube an die Stärke seiner Bilder und Geschehnisse verlassen zu haben. Denn die unnötige Übertreibung raubt dem Film ein wenig von seiner immensen Wucht. Das ist aber auch schon alles, was man 1917 vorwerfen kann.

Dass Mendes solche Hochkaräter wie Benedict Cumberbatch, Colin Firth, Mark Strong oder Richard Madden für zum Teil winzige Rollen bekommen hat, sagt viel über den Stellenwert aus, den Mendes – und sein Projekt – in England offenbar schon im Vorfeld genossen. Und jeder dieser Auftritte ist ein Erlebnis. Allerdings gilt für 1917 wie für kaum einen zweiten Film in letzter Zeit: Dieses Werk sollte jeder auf der großen Leinwand sehen, wo es hingehört. Hier sind die Bilder mehr als nur die halbe Miete.

Fazit:

Hart, meist glaubwürdig und technisch brillant. So präsentiert sich Sam Mendes‘ erster Film nach seinen Ausflügen zu 007. Mit 1917 hat der Regisseur, der auch das Drehbuch schrieb, nicht nur den grausamen Kämpfen des Ersten Weltkrieges ein würdiges, düsteres Denkmal gesetzt, sondern auch die Möglichkeiten einer dynamischen Kamera fulminant erweitert. Ein Film wie ein Sog, dem man deshalb seine kleinen Holperer in der Handlung auch problemlos verzeihen kann. Regie- und Kamera-Oscar könnten wohl hier landen.

1917 startet am 16. Januar 2020 in den deutschen Kinos.

1917
Wenn die Mission wichtiger wird als das eigenen Leben: Will rennt quer über das Schlachtfeld.