Christian Bale

Filmkritik: Der denkwürdige Fall des Mr. Poe

Bereits 2017 arbeitete Regisseur Scott Cooper mit Christian Bale zusammen, heraus kam der großartige „Hostiles – Feinde„. Wenig überraschend also, dass Cooper nach seinem Ausflug ins Horror-Genre mit „Antlers“ nun bei seinem eiskalten Thriller erneut auf Bales Schauspielkunst setzt. Dabei tritt der Regisseur in diesem von Netflix in Auftrag gegebenen Film auch als Drehbuchautor und Produzent auf. Allerdings stammt die Idee nicht von Cooper selbst, der Film basiert auf dem Roman „The Pale Blue Eye“ von Louis Bayard. Der hat sich darauf spezialisiert, in seinen Romanen fiktive und echte historische Figuren zu verwenden. Im Fall von „Der denkwürdige Fall des Mr. Poe“ hat sich Bayard einen berühmten Schriftsteller vorgenommen. Wie gut die Verfilmung ausgefallen ist, verrät die Kritik.

Christian Bale
Der erfahrene Ermittler Augustus Landor soll für die Westpoint-Militärakademie einen brisanten Fall lösen.

Die Handlung

Winter 1830. Auf der Westpoint-Militärakademie im US-Bundesstaat New York kommt es zu einem Todesfall, dessen Bergleitumstände so ungewöhnlich sind, dass Kommandeur Player (Timothy Spall) den eigentlich im Ruhestand befindlichen, erfahrenen Detektiv Augustus Landor (Christian Bale) hinzuzieht. Der Leiche eines Kadetts, der sich vermutlich in der Nacht selbst tötete, wurde nach der Aufbahrung im Krankenzimmer von einem Unbekannten das Herz entfernt. Player und sein leitender Offizier Hitchcock (Simon McBurney) befürchten einen Skandal, der den guten Ruf zieht. Und so lassen sie dem grantigen Detektiv weitgehend freie Hand in seinen Ermittlungen, solange die nur schnell zum Ziel führen.

Bald fällt dem erfahrenen Ermittler ein junger Kadett auf, der offenbar großes Interesse an dem Fall hegt. Der junge Mann hört auf den Namen Edgar Allan Poe (Harry Melling), bezeichnet sich selbst ungewöhnlicherweise als Poeten und bietet Landor seine Hilfe an. Schnell bemerkt der, dass Poe über einen scharfen Verstand und eine gute Beobachtungsgabe verfügt und ihm tatsächlich nützlich sein könnte. Bald konzentriert Landor seine Ermittlungen auf die Familie des Akademie-Arztes Dr. Daniel Marquis (Toby Jones). Dessen Gattin Julia (Gillian Anderson) scheint merkwürdig nervös, während Sohn Artemus (Harry Lawtey) auffällig um das Wohl seiner Schwester Lea (Lucy Boynton) bemüht ist. Schließlich bringt sein alter Freund Jean-Pepe (Robert Duvall) Landor auf die Spur einer okkulten Sekte …

Thriller ohne Thrill

Die Erwartung an Der denkwürdige Fall des Mr. Poe war groß. Ein optisch interessantes Setting. Spannende Charaktere. Und dazu möglicherweise noch den makabren Einschlag der besten Poe-Kurzgeschichten wie „Das verräterische Herz“, an die Poe-Fans aufgrund der Film-Handlung vermutlich sofort denken müssen. Coopers neuer Film kann davon allerdings nicht alles einlösen. Das Gute zuerst: Optisch legt der Regisseur einen ähnlich furiosen Film hin wie in Hostiles und Antlers. Die Natur des winterlichen New York, die Kälte, die fast durch den Bildschirm auf den Zuschauer übergeht und sich mit den Charakteren der Story deckt, ist beeindruckend eingefangen und lohnt schon fast allein das Ansehen. Abgesehen davon wird die Luft aber schnell dünn.

Denn Cooper gelingt es kaum, aus der Vorlage einen spannenden Thriller zu inszenieren. Zu kühl bleiben viele der Figuren, zu wenige Verdächtige werden dem Zuschauer präsentiert. Und so plätschert die Handlung nach starkem Beginn schnell vor sich hin, ohne wirkliche Höhepunkte setzen zu können. Der Plot ergeht sich in vagen Hinweisen auf geheimnisvolle Kulte und fokussiert sich allzu schnell und auch eigentlich eher grundlos auf die Familie des Arztes. Und hier gelingt Cooper das zweifelhafte Kunststück, sonst vor Energie sprühende Schauspielerinnen wie Gillian Anderson und Lucy Boynton derart farblos und eindimensional in Szene zu setzen, dass man keinerlei Anteil an deren Schicksal nimmt.

Der denkwürdige Fall des Mr. Poe
Bald lernt Landor den Kadetten Edgar Allan Poe kennen und spannt ihn in seine Ermittlungen ein.

Sehenswert: Bale und Melling

Auch weitere Nebenrollen bleiben blass, ob Toby Jones oder Timothy Spall, ohne dass die Schauspieler sonderlich viel dafür könnten. Denn in den wenigen Momenten, in denen sie die Chance haben, zeigen sie ihr Können durchaus. Doch Coopers Script dreht sich so offenkundig nur um Landor und Poe, dass der Rest einfach keinen Platz bekommt um zu glänzen. Für Fans von Christian Bale und dessen mitunter minimalistischen Spiels ist Der denkwürdige Fall des Mr. Poe daher in jedem Fall zu empfehlen. Und auch Harry Potter-Fans, die an den Karrieren sämtlicher Schauspieler der Reihe interessiert sind, können sich hier ansehen, was aus Harrys Cousin Dudley geworden ist. Harry Melling bietet hier eine interessante Interpretation des jungen Dichters, der erst später zu Ruhm kommen sollte.

Die Szenen, in denen die beiden Schauspieler gemeinsam agieren, gehören daher auch zu den Höhepunkten des Films. Leider sind sie zu selten, um dem Film genug Spannung zu verleihen. Was auch darin liegt, dass Cooper schnell eine Richtung der Ermittlungen vorgibt, ohne dass das Publikum dabei mitgenommen wird. Es fehlt die innere Logik, mit der Landor seine Untersuchung betreibt und so wird bald schmerzlich ein roter Faden vermisst, der die verschiedenen Handlungsstränge zusammenhält. Viele Szenen finden keine Verbindung zu vorherigen und nachfolgenden, immer wieder verlieren sich Spuren im Schnee der Landschaft und kommen nicht wieder vor. Erst im Finale des Films wird einiges geklärt, bis dahin ist die Spannungskurve aber im Keller gelandet.

Gillian Anderson
Hat das Ehepaar Marquis etwas mit den verschwundenen Herzen zu tun?

Fazit

Ohne den Vergleich mit dem Roman zu haben, ist Der denkwürdige Fall des Mr. Poe einer der schwächeren Filme von Scott Cooper, der nach dem grandiosen Hostiles und dem guten Antlers hier weitgehend enttäuscht. Lediglich Bale und Melling bekommen die Chance zu glänzen, weitere Stars wie Gillian Anderson oder Robert Duvall haben zu eindimensionale Rollen dafür. Und die Handlung zerfasert nach starken Anfangsminuten bis zum Finale derart deutlich, dass so gut wie keine Spannung aufkommt. Cooper gelingen zwar viele starke Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Sein Versuch, den Roman in ein spannendes Script zu übertragen, bleiben aber in Ansätzen stecken. Fans von Christian Bale kommen auf ihre Kosten, wer einen spannenden, düsteren Thriller erwartet, geht hingegen weitgehend leer aus.

Der denkwürdige Fall des Mr. Poe startet am 23. Dezember 2022 limitiert in den deutschen Kinos und ist ab dem 6. Januar 2023 bei Netflix zu sehen. 

Der denkwürdige Fall des Mr. Poe
Oder weiß deren Tochter Lea mehr, zu der sich Poe sehr hingezogen fühlt?