Reminiscence

Filmkritik: Reminiscence

Lisa Joy hat nicht nur einen bekannten Ehemann und Schwager – Jonathan Nolan und seinen Bruder Christopher – sondern auch einen ausgezeichneten Ruf in Hollywood als innovative Drehbuch-Autorin. Mit Serien wie „Pushing Daisies“ und „Burn Notice“ sammelte sie erste Lorbeeren, bevor sie mit Gatte Jonathan Nolan für HBO die Erfolgsserie „Westworld“ entwickelte, deren vierte Staffel gerade gedreht wird. Für Amazon wird das Ehepaar auch die Spiele-Reihe „Fallout“ zu einer Serie machen. Zuvor kommt nun aber mit „Reminiscence“ Lisa Joys erste Regiearbeit in die Kinos. Ein Projekt, bei dem sie auch das Drehbuch schrieb und produzierte. Und der Beweis, dass sie trotz Sci-Fi-Schwerpunkten auch eine Ader für vergangene Film-Genres hat. Welches, das verrät die Kritik.

Hugh Jackman
Nick Bannister betreibt mit Kriegskameradin Watts einen Erinnerungs-Service.

Die Handlung

Miami, irgendwann in der Zukunft. Der Ex-Soldat Nick Bannister (Hugh Jackman) betreibt in der von der weltweiten Flut in weiten Teilen überspülten Stadt einen Erinnerungs-Service. Kunden können hier Erinnerungen, die ihnen besonders wertvoll oder wichtig sind, noch einmal in alter Intensität erleben. Gemeinsam mit seiner Kameradin Watts (Thandiwe Newton, kein Tippfehler!) hilft er auch bei Ermittlungen der Polizei, wenn es um Überprüfungen von Aussagen durch die Erinnerungs-Technik geht. Eines Abends taucht die junge Mae (Rebecca Ferguson) bei Bannister auf und bittet ihn, ihre Erinnerungen nach ihrem Schlüssel zu durchforsten, den sie verloren hat. Dabei wird offenbar, dass Mae als Club-Sängerin arbeitet und ihr Auftrag beeindruckt Bannister zutiefst.

Und so besucht er einige Tage später die Bar, in der Mae arbeitet. Nach einer langen Nacht voller tiefgründiger Gespräche landen die beiden schließlich im Bett – und werden wenig später ein Paar. Das läuft ein paar Monate gut, doch eines Tages ist Mae plötzlich spurlos verschwunden. Als Bannister Nachforschungen anstellt, findet er schnell heraus, dass Mae möglicherweise nicht die war, für die er sie gehalten hat. Und dass ihre Beziehung von Anfang an von ihrer Seite aus nur Mittel zum Zweck gewesen sin könnte. Offenbar war Mae bereits in einige Verbrechen verstrickt. Doch der emotional tief getroffene Bannister will noch nicht aufgeben und versucht, seine geliebte zu finden. Das gefällt nicht jedem in der Stadt …

Film Noir im Sci-Fi-Kleid

Auf den ersten Blick wirkt Lisa Joys Regie-Debüt wie ein Science Fiction-Film. Das Setting dazu wirkt überzeugend. Schon in der ersten Einstellung zeigt Joy die hohen Mauern, die die Reste von Miami vor dem Meeresspiegel schützen. Die Straßen sind von regelmäßigen, überschwappenden Wellen stets nass und einige der Wege sind nur mit dem Boot zu befahren. Die Zukunftsvision einer Erde in 50 oder 100 Jahren, die so glaubwürdig bislang noch nicht in Szene gesetzt wurde. Und doch spielt diese Kulisse im Film nur eine geringe Rolle. Denn das untergehende Miami ist nichts anderes als eine Sci-Fi-Verkleidung für das Genre, aus dem Joys Film eigentlich stammt: dem Film Noir.

Denn Joys Film vereint gleich einige typische Merkmale dieses Typs Film. Da wären die erklärenden Kommentare der Hauptfigur aus dem Off. In den Vorbildern aus den 40er Jahren waren es Schauspieler wie Humphrey Bogart oder Robert Montgomery, die mit knarzigen Stimmen ihre zutiefst pessimistische Weltsicht über ebensolche Bilder legten, hier ist es nun Hugh Jackman, dessen Charakter allerdings trotz seines Kriegshintergrundes für einen echten Film Noir fast ein wenig zu hell ist. Passend ist wiederum, dass fast alle Charakter im Film schlechter sind, als sie zunächst scheinen, mit Ausnahme des typischen Kumpels, der es mit dem Protagonisten wirklich gut gemeint – und dafür keinen Dank erntet.

Rebecca Ferguson
Eine späte Kundin namens Mae verdreht Nick gehörig den Kopf und Tage später sind die beiden ein Paar.

Nicht neu, aber hübsch

Diese Figur hat einen ebenso festen Platz  in einem klassischen Film Noir wie die Femme Fatale, der korrupte Cop und der stinkreiche Geschäftsmann mit Dreck am Stecken – und sie alle findet man in Reminiscence. Im Zentrum steht allerdings immer der Detektiv, auch wenn er nicht zwingend tatsächlich Privatdetektiv oder Cop sein muss. Das ist auch hier so, der Charakter des Nick Bannister ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Und so ist es nicht wirklich eine Überraschung, dass der Film trotz seines dystopischen Hintergrunds ausgeprägte Retro-Vibes aufweist. Reminiscence hat viel mehr von einem klassischen Krimi der 40er Jahre Hollywoods als von einem Sci-Fi-Film.

Daher sollten sich Zuschauer auch sehr bewusst dafür entscheiden, so einen Film sehen zu wollen. Denn alles, was im Trailer nach Sci-Fi aussieht, bleibt Fassade. Hier unterscheidet sich Reminiscence von einem Film wie „Blade Runner“, der ebenfalls mit vielen Elementen des Film Noir spielt, letztlich aber ganz andere Fragen stellt und daher einen Sci-Fi-Klassiker reinsten Wassers darstellt. Das gelingt Lisa Joy in ihrem Debüt nicht. Wer aber auf düstere Krimis im Stil der alten Hollywood-Schinken steht, wird dafür gut bedient. Die Story ist zwar ein wenig vorhersehbar für Fans des Genres, aber dennoch stets spannend. Dazu sieht der Film in jeder Szene gut aus und lohnt schon deshalb den Kinobesuch.

Reminiscence
Als Mae Monate später plötzlich verschwindet, sucht Nick die ganze Stadt nach ihr ab – oder das, was von Miami noch da ist.

Auch die Schauspieler sind stark, allen voran natürlich Hugh Jackman als wichtigster Charakter des Films. Von enttäuschter Liebe getrieben auf der Suche nach der Wahrheit, diese Besessenheit spielt Jackman in jeder Szene nachfühlbar. Rebecca Ferguson  kann sich nach Heldin und Schurkin nun auch die Rolle der Femme Fatale als abgehakt anstreichen, die man ihr jederzeit abnimmt. Denn viele Zuschauer werden hoffen, das vielleicht doch alles ganz anders ist und sie sich als Heldin entpuppt, so anziehend und verletzlich legt sie die Rolle der Mae an. Thandiwe Newton ist als Schutzengel mit egoistischen Motiven ebenfalls gut besetzt. Die Rolle war wohl ein kleines Dankeschön von Joy an die Hauptdarstellerin aus Westworld.

Fazit:

Auch wenn der Trailer anderes vermuten lässt, Reminiscence ist kein Sci-Fi-Thriller, sondern ein klassischer Film Noir mit allen dazu nötigen Versatzstücken. Darüber sollte sich jeder Kinogänger im Klaren sein, bevor er sich eine Karte kauft. Wer aber den alten Schwarz-Weiß-Krimis mit Bogart und Co. etwas abgewinnen kann, für den ist der Theaterbesuch ausdrücklich empfohlen. denn Lisa Joys Regiedebüt bringt alles mit, was dieses Genre so sehenswert macht. Hugh Jackman und Rebeca Ferguson überzeugen in ihrer zweiten Zusammenarbeit nach „The Greatest Showman“ erneut als tragisches Paar. Und optisch gelingt Joy ein ganz edles Stück Film, stylisher sah der nahende Untergang der Zivilisation lange nicht aus.

Reminiscence startet am 26. August 2021 in den deutschen Kinos.

Reminiscence
Die Spur führt Nick sogar bis nach New Orleans, zu einem schmierigen Gangster namens Saint Joe.