Cruella

Filmkritik: Cruella

Lag es an „Maleficent“? Der Film über die vermeintlich böse Fee aus Disneys Zeichentrick-Klassiker „Dornröschen“ spielte mehr als 700 Millionen Dollar ein und zog eine Fortsetzung nach sich. Möglicherweise ein Grund, dass Disney mit „Cruella“ eine weitere ikonische Schurkin (diesmal aus „101 Dalmatiner“) als Heldin ihres eigenen Films plante. Der erscheint nun coronabedingt sowohl in den Kinos, wo bereits geöffnet, als auch bei Disney+ im VIP-Zugang. Darin duellieren sich mit Emma Stone und Emma Thompson zwei großartige Schauspielerinnen um den Titel der größten Schurkin. Reichen die beiden bereits, um aus Cruella einen guten Film zu machen? Das klärt die Kritik.

Cruella
Als Estella einen Job als Designerin bei der Baroness erhält, glaubt sie sich am Ziel ihrer Träume.

Die Handlung

Schon als kleines Kind hat Estella (Emma Stone) ihre seltsamen Haare, die auf der einen Seite schwarz und auf der anderen weiß sind. Das macht ihre ohnehin schwere Kindheit nicht leichter. Denn ihre Mutter Catherine (Emily Beecham) muss ihre Tochter allein aufziehen und das Geld ist ständig knapp. Als Estella in der Schule zu viele Probleme macht, will Catherine mit ihr nach London ziehen und hält auf dem Weg bei einem geheimnisvollen Herrenhaus. Dort will sie sich finanzielle Hilfe holen. Estella soll zwar im Wagen warten, doch die Kleine ist einfach zu neugierig. Und so schleicht sie sich während einer gerade stattfindenden Modenschau ins Haus. Hier wird sie zwar vom Bediensteten John (Mark Strong) erwischt, erkennt aber vorher ihr Talent zur Designerin.

Doch als sie im Garten des Hauses Zeugin einer Tragödie wird, liegt ihr Leben in Scherben. Nachdem sie ihren Weg bis nach London gefunden hat, lächelt ihr aber auch das Glück einmal zu: Sie lernt Horace und Jasper kennen! Die beiden Jungs sind ebenfalls allein und bilden Estella in den kommenden Jahren zur begnadeten Diebin und Trickbetrügerin aus. Und erfüllen ihr eines Tages ihren größten Wunsch: einen Job in der Modebranche. Dort kommt sie bald mit der berühmten Baroness (Emma Thompson) in Kontakt, die Estellas Talent für sich ausbeuten will. Doch die junge Frau merkt schnell, welche Ziele ihre fiese Chefin verfolgt. Und legt sich eine neue Identität zu, um sich dagegen zur Wehr zu setzen – Cruella de Vil ist geboren …

Im Rausch der Sinne

Cruella ist kein Film, sondern ein Schauspiel! Und das meint nicht nur die beiden weiblichen Stars. Hier ist einfach alles vom Feinsten. Regisseur Craig Gillespie war vor Beginn seiner Karriere bei Film und TV Werbefilmer – und das sieht man Cruella auch an. Hier wird nichts dem Zufall überlassen, jedes Kostüm, jede Kulisse ist ein Augenschmaus. Wie hier die Set-Designer und Kostümbildner die wilden 70er Jahre in London wieder zum Leben erwecken, ist fast schon allein Grund genug, sich den Film anzusehen. Unterstützt wird das von einem grandios zusammengestellten Soundtrack, der in der ersten Hälfte des Films fast pausenlos Hits der späten 60er und 70er Jahre über die Szenerie streut und so die Atmosphäre und den Style dieser Zeit nochmals deutlich verstärkt.

Diese Kollektion braucht sich hinter den beiden „Guardians of the Galaxy„-Filmen definitiv nicht zu verstecken und gibt mit der Songauswahl oft die Grundstimmung in einer Szene bereits vor. Wenn Estella als Cruella zu den Klängen von „I wanna be your dog“ von den Stooges auf dem Laufsteg ihre Fans böse anfunkelt, ist das ein bleibender Moment des Films. Erst im Finale des 130 Minuten langen Films setzt sich der eigens für den Film komponierte Score durch und der Pop und Rock tritt in den Hintergrund. Bis dahin haben Davie Bowie, die Rolling Stones oder die Zombies allerdings schon ganz Arbeit geleistet. Auch weil Kameramann Nicolas Karakatsanis die Songs mit einigen wundervollen und sehr sehenswerten Plansequenzen verknüpft.

Cruella
Doch die gefeierte Top-Modeschöpferin erweist sich als rücksichtsloses und gemeines Miststück.

Duell auf Augenhöhe

Im Kern des Films stehen dennoch die zwei Emmas. Und beweisen einmal mehr, dass sie zurecht als großartige Schauspielerinnen gelten. Was Emma Thompson gänzlich ohne Text, nur durch das kurze Anheben einer Augenbraue oder das Runzeln der Nase an Angst und Bösartigkeit auf der Leinwand verbreiten kann, muss man gesehen haben. Die Britin, die meist etwas nettere Rollen spielt als die der Baroness, tobt sich in Cruella so richtig aus. Und präsentiert dem Publikum ein bemerkenswertes, eiskaltes Biest. Emma Stone, wie Kollegin Thompson bereits mit einem Schauspiel-Oscar geehrt, ist ihr stets ebenbürtig und spielt Estella/Cruella mit genau der richtigen Mischung, um die eine zu mögen und die andere zu fürchten.

Dabei zeigen beide Schauspielerinnen auch, wie traumhaft sicher sie sich zwischen den Genres Komödie und Drama bewegen können. Denn das Drehbuch von Comedy-Spezialistin Dana Fox und Drama-Experte Tony McNamara („The Favourite„) deckt beide Bereiche ab und ist für einen Disney-Film ungewohnt düster und schwarzhumorig. Hin und wieder liefert Cruella Szenen, die auch aus einer Roald Dahl-Story, verfilmt von Tim Burton, stammen könnten. Die FSK-Freigabe ab sechs Jahren scheint da grenzwertig. Denn sogar in den sonst eher lockeren USA bekam der Film eine PG-13, vergleichbar mit der deutschen Freigabe ab 12 Jahren. Immerhin mildern die hinreißenden, wenn auch computergenerierten Hunde in der Story die größten Schocks mit ihren zuckersüßen Auftritten ein wenig ab. Vor allem der winzige Chihuahua mir der Augenklappe reißt jede Szene an sich, in der er vorkommt.

Cruella
Um sich an ihr zu rächen, erschafft Estella ihr Alter Ego Cruella, eine ebenso brillante wie bösartige Fashion-Ikone.

Schwachpunkte zeigt der Film einzig und allein bei der Charakterentwicklung. Denn so spaßig es ist, sich Estellas Entwicklung hin zu Cruella anzusehen, so richtig schlüssig erzählt das Script dem Zuschauer nicht, warum die Heldin des Films sich zu der Frau entwickelt, die später unschuldige Dalmatiner-Welpen töten lassen will. Auch wenn der Film am Ende noch eine Szene präsentiert, die als Anschluss an den Zeichentrickfilm passt. Dazu agieren einige der Nebenfiguren für das Publikum wenig nachvollziehbar. Hier hätte der Film noch die eine oder andere Szene der Erklärung gut vertragen können.

Fazit:

Inhaltlich ist der neue Disneyfilm Cruella nicht ganz frei von Schwächen, vor allem bei der Charakterentwicklung bleiben Fragen offen. Doch das wird überstrahlt vom grandiosen Look des Films und der tollen Musik. Und natürlich vom spektakulären und oftmals funkensprühenden Duell zwischen Emma Stone und Emma Thompson, die sich mit diebischer Freude zumindest im übertragenen Sinne an die Gurgel gehen. Als reiner Kinderfilm geht Cruella allerdings nicht durch, dazu ist die Story zu düster und der Humor mitunter etwas zu schwarz. Wer nicht unter eine Mode-Allergie leidet oder mit Design so gar nichts anfangen kann, sollte sich diesen Film aber nicht entgehen lassen.

Cruella startet, wo es möglich ist, am 27. Mai 2021 in den Kinos und am 28. Mai 2021 mit VIP-Zugang bei Disney+.

 Emma Stone
Gemeinsam mit ihren Freunden Horace und Jasper plant Estella weiter Schritte, um zurückzubekommen, was ihr gehört.