Barbarian

Filmkritik: Barbarian

Wenn ein Film an den US-Kassen das Zehnfache seiner Kosten einspielt, werden Verantwortliche in den großen Studios von Hollywood meist hellhörig. Und so dürfte Zach Cregger, Regisseur und Drehbuchautor von „Barbarian“, für mindestens einen weiteren Film ein ordentliches Budget zur Verfügung stehen. Denn sein Film kostete 4,5 Millionen Dollar und machte 45 Millionen Umsatz. Dennoch reichte es nicht, um auch in Deutschland einen Kinostart zu bekommen. Stattdessen wurde der Horror-Thriller für den 28. Dezember bei Disney+ angekündigt. Horrorfans haben daher vermutlich bereits andere Kanäle genutzt, um den Film zu sehen. Wer auf den offiziellen Release wartet, erfährt hier, ob sich das Warten lohnt.

Barbarian
Böse Überraschung für Tess. Das gemietete Airbnb-Haus ist schon belegt.

Die Handlung

Dokumentarfilmerin Tess (Georgina Campbell) hat ein Vorstellungsgespräch in Detroit, um einen neuen Film finanzieren zu können. Weil sie Geld sparen will, mietet sich sich in einem Airbnb ein. Doch als sie mit dem Code das Schließfach für den Haustierschlüssel öffnet, findet sie nur Leere vor. Gerade als sie wieder in den Wagen steigen will, um sich ein Hotel zu suchen, sieht sie Licht im Haus und klopft an die Tür. Ein ziemlich verschlafener junger Mann namens Keith (Bill Skarsgard) öffnet ihr. Und bald stellt sich heraus, dass beide für den gleichen Tag einen Mietvertrag für das Haus bekommen haben. Weil Keith herausfindet, dass in der Stadt ein großer Kongress stattfindet und kaum Zimmer zu bekommen sind, bietet er Tess an, ebenfalls im Haus zu übernachten.

Nach anfänglichem Zögern erklärt sich Tess einverstanden zu bleiben. Und die beiden verbringen einen launigen Abend bei einer Flasche Rotwein, ehe sich Tess in ihr Zimmer begibt, während Keith es sich auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich macht. In der Nacht wird Tess hat ein unheimliches Erlebnis, dem sie aber am nächsten Morgen nicht allzu viel Bedeutung beimisst. Am nächsten Morgen sieht sie erst, wie heruntergekommen das Viertel eigentlich ist, in dem sie die Nacht verbracht hat – niemand scheint noch hier zu wohnen. Als sie von ihrem erfolgreichen Gespräch in der Stadt zurückkehrt, bei dem ihre Gesprächspartnerin entsetzt von ihrem Airbnb-Standort war, entdeckt sie im Keller des Hauses einen Geheimgang …

Starker Start, wildes Ende

Alle Achtung, Zach Creeger! Eigentlich ist der 41-jährige hauptsächlich als Schauspieler unterwegs und setzt sich nur sehr gelegentlich auf den Regiestuhl. Umso mehr darf man vor dem Drehbuch aus seiner Feder und noch mehr vor der Inszenierung von Barbarian den Hut ziehen. Denn die Konstruktion des Plots ist absolut gelungen. Der Film ist deshalb so unheimlich und gruselig, weil er sehr virtuos mit Ängsten spielt, die sehr real sind. Zwar ist die Story für deutsche Verhältnisse nicht nachvollziehbar. Aber in den USA, wo es solche Geisterviertel tatsächlich in manchen Großstädten gibt, dürfte die Prämisse sehr gut funktioniert haben. Und auch für deutsche Disney+-Zuschauer wird schnell klar, warum die Situation von Tess und Keith durchaus realistische Bezüge hat.

Allerdings gibt es für Creggers Script Abzüge für das völlig vogelwilde Finale, in dem der Regisseur alle vorher sorgsam aufgebauten und durchaus vorstellbaren Handlungsfäden zugunsten einiger billiger Schockeffekte aufgibt. Und die Logik gleich noch hinterherwirft. Hier hätte eine ordentliche Überarbeitung sicher gut getan. Inszenatorisch bleibt Cregger aber den ganzen Film bei seiner Linie. Und nutzt clever bekannte Versatzstücke des Spannungskinos wie manche Ego-Perspektive oder Blickwinkel, die mehr verbergen als sie zeigen. Dabei kommt er auch noch weitgehend ohne Jump-Scares aus. Und setzt stattdessen auf eine unangenehme Atmosphäre, deren Bedrohlichkeit sich stetig steigert. Dennoch wird kaum jemand in den ersten 30 Minuten darauf kommen, worum es in der Story wirklich geht.

Bill Skarsgard
Doch der junge Keith erweist sich als freundlicher Zeitgenosse, der bereit ist, das Haus mit ihr zu teilen.

Spannungsaufbau vom Feinsten

Denn bereits der Trailer ist so geschickt zusammengeschnitten, dass von der eigentlichen Story kaum etwas enthüllt wird, die Neugier auf den Film aber spürbar steigt. Und das setzt Cregger auch in Langform nahtlos fort. Was sich tatsächlich hinter den Wänden des Hauses verbirgt wird erst in der Mitte des Films enthüllt. Um die Spannung dann durch einen abrupten Wechsel in der Story nochmals zu steigern. Erst dann lernt der Zuschauer den weiteren Protagonisten AJ (Justin Long) kennen. Long ist Horrorfans vor allem aus „Jeepers Creepers“ und „Tusk“ ein Begriff. Und spielt auch in Barbarian eine Rolle, die sich nicht so einfach zuordnen lässt. Cregger lässt das Publikum geschickt lange zappeln, bis er endlich die Story aus dem ersten Teil des Films weitererzählt.

Der eigentliche Star in Barbarian ist aber Georgina Campbell, die trotz bereits zwölfjähriger Karriere noch kein allgemein bekanntes Gesicht ist. Ihr Spiel trägt aber hauptsächlich dazu bei, dass der Film so unter die Haut geht und seine fiese Spannung lange hochhalten kann. Denn durch ihre Darstellung einer jungen und recht cleveren jungen Frau umschifft sie viele der Klippen, die Fans bei anderen Filmen zurecht beklagen: das dumme Verhalten der Protagonisten. Abgesehen davon, dass es sicher diskutierbar ist, ob der Gang in den Keller eine gute Idee war, überzeugt die weitere Geschichte von Tess mit klugen Entscheidungen. Eine Seltenheit in der heutigen Horrorfilm-Landschaft! Allerdings sind auch Skarsgard in einer ambivalenten Rolle sowie Long als Comedy-Charakter im Film durchaus sehenswert.

Barbarian
Was Tess am nächsten Tag im Keller entdeckt, verschlägt der jungen Frau die Sprache.

Hätte Zach Cregger noch etwas mehr Zeit in die Glaubwürdigkeit des dritten Akts investiert, sein Barbarian hätte einen ähnlichen Stellenwert wie Ti Wests „X“ erreichen und ein moderner Klassiker werden können. Leider sind die letzten 20 Minuten des Films auch die schwächsten. Das schmälert die Leistung der ersten 80 aber nicht so stark, dass Barbarian nicht unter dem Strich eine gute Note bekommen kann. Denn auch, wenn die Glaubwürdigkeit des Plots den Bach hinunter geht, so bleibt die Spannung trotzdem erhalten. Und das ist bei einem Horrorfilm sicher nicht  die schlechteste Nachricht. Manch einer wird sich jedenfalls nach Ansicht des Films eine Airbnb-Übernachtung in einer ihm völlig fremden Stadt zweimal überlegen.

Fazit:

Mit Barbarian landete Regisseur und Drehbuchautor Zach Cregger in den USA einen Überraschungshit – und das nicht ganz zu Unrecht. Denn auch wenn der finale Akt seines bösen Horror-Thrillers ein wenig zu stark über die Stränge schlägt und den durchaus glaubhaften Ansatz der ersten Stunde über den Haufen wirft, bleibt der Film echter Nervenkitzel mit ein paar derben Momenten und viel atmosphärischem Aufbau. Es bleibt nur zu hoffen, dass Cregger nicht der Versuchung (und dem sicheren Angebot) erliegt, zu seinem Film ein Prequel zu drehen. Und sich stattdessen auf eine andere Story stürzt. Wenn er diese Qualität der Inszenierung bestätigen kann, dürfte er jedenfalls bald als neuer Stern am Horrorhimmel gehandelt werden.

Barbarian startet am 28. Dezember 2022 bei Disney+.

Justin Long
Das geht eine Weile später dem Schauspieler AJ nicht anders.