Daisy Edgar-Jones

Filmkritik: Der Gesang der Flusskrebse

Die mittlerweile 72-jährige Delia Owens war ihr ganzes erwachsenes Leben als Zoologin für die Forschung unterwegs, lebte mit ihrem Mann in unwirtlichen Gebieten wie der Kalahari-Wüste. Erst 2018 brachte Owens ihren Debüt-Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ heraus. Und begann damit einen beispiellosen Siegeszug in etlichen Ländern der Welt, in denen der Roman die Bestseller-Listen stürmte und Wochen oder sogar Monate dort blieb. Da ist es keine große Überraschung, dass sich die Filmstudios um den Stoff bemühten. Als Sieger ging Sony hervor und bringt nun die Verfilmung des Romans in die deutschen Kinos. Worum es geht und wem der Film gefallen könnte, klärt die Kritik.

Der Gesang der Flusskrebse
Die kleine Kya wäscht allein in der unberührten Natur der Sümpfe North Carolinas auf.

Die Handlung

North Carolina im Jahr 1970. Als eine Leiche in den Sümpfen gefunden wird, haben die Einwohner der Kleinstadt Barklay Cove schnell die Schuldige ausgemacht. Das Marschmädchen Kya (Daisy Edgar-Jones) muss es gewesen sein. Denn die junge Frau, die seit frühester Kindheit allein in den Sümpfen vor der Stadt lebt, hatte einst eine Beziehung zu dem Toten und wurde von ihm verlassen. Zudem gelten die Bewohner des Sumpfes bei den Städtern ohnehin als Gesindel, dem man nicht trauen darf. Und so findet sich Kya nach einem erfolglosen Fluchtversuch, der sie noch schuldiger aussehen lässt, schnell im der Gefängniszelle des Sheriffs wieder. Dort erhält sie Besuch von Tom Milton (David Strathairn), einem Anwalt, der Kya immer wieder geholfen hatte, seit sie ein Kind war.

Im Gespräch mit dem Anwalt erzählt Kya von ihrer Kindheit. Vom saufenden, aggressiven Vater. Von ihrer Mutter, die irgendwann die Gewalt ihres Mannes nicht mehr aushielt. Von ihren Schwestern und ihrem Bruder, die sie schließlich mit dem Vater allein ließen. Bis der nach einem Brief der Mutter und heftigem Saufgelage eines Tages ebenfalls nicht mehr nach Hause kommt. Kya muss nun, kaum sechs Jahre alt, für sich allein sorgen. Hilfe bekommt sie nur von einem schwarzen Kaufmanns-Ehepaar, dass dem jungen Mädchen regelmäßig Muscheln abkauft und sie dafür mit dem Nötigsten versorgt. Jahre später tritt dann mit Fischersohn Tate (Taylor John Smith) und dem reichen Chase (Harris Dickinson) die Liebe in Kyas Leben – und der erneute Schmerz …

Werkgetreue Umsetzung

Mit dem Roman landete Delia Owens aus dem Nichts einen weltweiten Erfolg. Diese Überraschung dürfte es bei Der Gesang der Flusskrebse nicht geben, denn das Studio überließ hier wenig dem Zufall. Als Regisseurin holte Sony die TV-erfahrene Olivia Newman ins Projekt, das Drehbuch schrieb mit Lucy Alibar die Autorin von „Beasts of the Southern Wild“. Und mit Daisy Edgar-Jones wurde eine der aufstrebenden Jung-Schauspielerinnen engagiert, die mit „Fresh“ und der Serie „Normal People“ bereits auf sich aufmerksam machte. Das Trio sollte den Film so massentauglich machen, dass dem Bucherfolg auch ein Kinohit folgen soll. Und dieses Unterfangen dürfte aller Voraussicht nach aufgehen.

Denn Newman und Alibar beherzigten eine wichtige Regel bei der Verfilmung eines Beststellers. Und veränderten nur marginale Dinge am Inhalt der Geschichte. So hält sich das Drehbuch nicht nur weitgehend an die Erzählstruktur des Romans, sondern setzt auch ganz ähnliche Schwerpunkte im emotionalen Bereich. Sogar die gleichen Fragen zu Kyas Kindheit bleiben in Film und Buch unbeantwortet. Deutliche Unterschiede zwischen Roman und Umsetzung gibt es lediglich bei den Naturbeschreibungen. Während die Zoologin Owens hier besonders faszinierende Teile ihres Romans schuf, spielen Flora und Fauna der Marschen nur eine untergeordnete Rolle im Kinofilm, auch wenn Kya sogar Sachbücher darüber verfasst.

Der Gesang der Flusskrebse
In der nahen Stadt bleibt das Marschmädchen, wie sie genannt wird, eine Außenseiterin.

Etwas zu viel Kitsch

Auch der Krimiplot versinkt nach starkem Beginn für längere Zeit im Sumpf und spielt keine größere Rolle mehr. Bis die Rückblicke endlich Kyas verhängnisvolle Beziehung mit Chase erreichen und der Fokus des Films sich langsam wieder auf den Todesfall richtet. Dennoch ist Der Gesang der Flusskrebse nicht unbedingt ein Tipp für Krimi- oder Thrillerfans. Denn im Zentrum des Films steht die Charakterisierung Kyas – und damit lastet das Gewicht auf den schmalen Schultern von Daisy Edgar-Jones. Das schien der 24-jährigen allerdings überhaupt nichts auszumachen, denn sie hält die Story mit ihrer Präsenz mühelos zusammen.

An ihr liegt es denn auch nicht, dass Der Gesang der Flusskrebse nicht durchgehend überzeugt. Die Schwächen des Films muss man vielmehr der Regisseurin anlasten. Denn Olivia Newman traute der Natur am Drehort offenbar nicht zu, das Publikum angemessen zu beeindrucken und auf die Seite Kyas zu ziehen, die sich über ihre Liebe zu eben jener Natur definiert. Stattdessen überhöht Newman diese Natur künstlich mit computergenerierten Wirbeln aus Blättern und ähnlichen, völlig überflüssigen Maßnahmen, die den Film immer wieder gefährlich nahe an den Edelkitsch bringen. Und das hat die eigentlich gute Story um ein ganz besonderes Waisenmädchen weder nötig noch verdient.

Harris Dickinson
Als sich der reiche Chase für Kya interessiert, nimmt das Unheil seinen Lauf.

Den zweiten Vorwurf muss sich die Drehbuchschreiberin gefallen lassen, der es nicht gelingt, neben Kya noch weitere interessante Figuren zu schreiben. Die Ambivalenz, die sie Kya verleiht, hätten auch andere Charaktere gut vertragen können, bekommen sie aber nicht. So sind beide Love-Interests Kyas letztlich auf ihre Art flach und wenig spannend geraten. Auch hier lässt sich den Schauspielern wenig ankreiden, flache Dialoge werden durch gutes Vortragen eben nur minimal besser. Und ein wenig mehr als Märchenprinz und Schurke hätte die ohnehin leicht klischeehafte Geschichte vom wilden Mädchen schon gebrauchen können.

Fazit:

Der Gesang der Flusskrebse ist eine weitgehend gelungene Adaption des Bestsellers von Delia Owens, weicht aber in einigen wichtigen Punkten doch von der Vorlage ab. So bekommt außer der Hauptfigur Kya kein Charakter wirklich Profil, was auch die durchgehend guten Schauspieler nicht ändern können. Zudem ist ausgerechnet die ungebändigte Natur der Sümpfe, im Roman nicht nur Sinnbild für Kyas Leben, sondern auch besonders intensiv beschrieben und erklärt, im Film eher Kulisse als Thema. Und diese Kulisse ist bisweilen leider etwas kitschig ausgefallen. Dennoch werden wohl vor allem Leser des Romans auch viel Freude an der weitgehend werkgetreuen Umsetzung der Story haben. Und Daisy Edgar-Jones ist absolut sehenswert.

Der Gesang der Flusskrebse startet am 18. August 2022 in den deutschen Kinos.

Daisy Edgar-Jones
Kann der erfahrene Anwalt Tom die Unschuld von Kya beweisen?