Die Kinderbücher von Erich Kästner gehören unbestritten zu den großen Klassikern des Genres. Geschichten wie „Das fliegende Klassenzimmer“ oder „Das doppelte Lottchen“ wurden mehrfach verfilmt und auch Jahrzehnte nach Erscheinen noch vielen Kindern bekannt. Weniger bekannt ist heute, dass Kästner auch Romane für Erwachsene schrieb. Das bekannteste davon ist der autobiographisch angehauchte „Fabian oder der Gang vor die Hunde“, in dem Kästner das Berlin der Weimarer Republik und das Aufkommen der Nationalsozialisten thematisiert. Der deutsche Regie-Altmeister Dominik Graf („Die Sieger“) verfilmte nun den Roman als dreistündiges Opus Magnum. Wie gut der Film geworden ist, verrät die Kritik.
Die Handlung
Berlin, Anfang der 30er Jahre. Der angehende Schriftsteller Jakob Fabian (Tom Schilling) genießt das Leben. Tagsüber verdingt er sich als Werbetexter für einen Zigarettenhersteller, die Nächte verbringt er mit seinem Kumpel Labude (Albrecht Schuch) in Bars und Kneipen der Metropole. Dabei begegnet er vielen seltsamen Gestalten, wie der reichen Gattin Irene (Meret Becker). Als überzeugter Hedonist genießt Fabian die Freuden der Großstadt und kümmert sich wenig um unerfreuliche Dinge wie Politik. Im Gegensatz zu Labude, der zwar aus reichem Hause stammt, aber an den Sozialismus als richtige Regierungsform glaubt. Doch Fabians Leben ändert sich, als seine Firma ihn auf die Straße setzt.
Bald hat der junge Mann ernsthafte Geldsorgen und muss seine Wirtin mit der Miete vertrösten. Dennoch bleibt das Nachtleben für ihn Lebensmittelpunkt. Bis ihm eines Nachts die junge angehende Schauspielerin Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) begegnet – und Fabian sich Hals über Kopf in die junge Frau verliebt. Aber hat diese Liebe angesichts der großen finanziellen Sorgen und Cornelias Karriereplänen überhaupt eine Chance?
Klare Aussagen – nicht nur zu Nazi-Deutschland
Erich Kästner schrieb zwar mit Fabian einen Roman, der sich mit Erwachsenen-Themen beschäftigt, seine Ansichten macht der Schriftsteller aber ebenso klar wie in seinen Kinderbüchern. Mit erstaunlicher Genauigkeit prognostiziert der Schriftsteller den Lauf der weiteren deutschen Geschichte und entlarvt die Nazis in seinem Buch als die große Gefahr für Deutschland, als die sich sich später auch erwiesen. Obwohl die Politik auch in Grafs Film keine zeitlich üppige Rolle einnimmt, so schwebt doch der dunkle Schatten der Nazis den gesamten Film über der Handlung und die braunen Gestalten tauchen hin und wieder bereits als Schreckgespenster für das liberale Bürgertum auf.
Es wäre aber nicht fair, Fabian auf diese weitsichtige Aussage Kästners zu reduzieren. Denn im Zentrum der Geschichte steht die Liebesgeschichte zwischen Fabian und Cornelia, bei der der Zuschauer durch die starke Regie Grafs schnell ahnt, dass sie unter keinem guten Stern steht. Währen der Schriftsteller Fabian bereit ist, die Armut in Würde zu ertragen und von Luft und Liebe zu leben, hat Cornelia andere Pläne. Und für die bringt die junge Frau auch Opfer, mit denen Fabian nicht umgehen kann. Graf zeigt nicht nur die auftauchende Gefahr des rechten Terrors, sondern verhandelt in seiner filmischen Umsetzung auch zeitlose Themen. Und das tut der fast 70-jährige Graf mit der Erfahrung einer langen Regie-Karriere.
Starke Story, spannend erzählt
Denn was Graf hier in seinem Spätwerk an Ideen auffährt, um die tragische Geschichte zu erzählen, kann sich mehr als sehen lassen. Spannende Kamerafahrten und Perspektiven und eine zwar chronologische, aber dennoch interessante Erzählstruktur zeigen Grafs ganzes Können. Auch das Drehbuch, das Graf gemeinsam mit Constantin Lieb schrieb, zeugt von großem Talent und Verständnis für die Vorlage. Wie aus dem Hedonisten Fabian angesichts der Schlechtigkeit der Welt ein Moralist wird, das erzählt Graf intensiv und packend, sodass der Zuschauer die drei Stunden Laufzeit kaum einmal negativ wahrnimmt.
Verlassen kann sich Graf dabei auf seinen Star Tom Schilling. Der Schauspieler, der bereits in „Werk ohne Autor“ eine große Rolle schulterte, schlüpft auch furchtlos in die Haut von Fabian. Und liefert eine große Vorstellung ab. Die Entwicklung seiner Figur macht Schilling beinahe schmerzhaft transparent, fiebert immer stärker mit dem zunehmend an der Welt verzweifelnden Schöngeist mit. Im Zusammenspiel mit Saskia Rosendahl verbreitet Schilling eine Melancholie, die von der Leinwand in den Kinosaal strömt. Denn auch Rosendahl, die mit Schilling schon für Werk ohne Autor vor der Kamera stand, ist als ebenso starke wie verletzliche Cornelia eine großartige Besetzung.
Eines kann Dominic Graf allerdings trotz seiner frischen, manchmal fast wilden Herangehensweise an den Stoff nicht verhindern: Fabian bleibt Bildungsbürger-Kino. Dass sich tatsächlich ein junges Publikum in den Film verirrt, scheint eher unwahrscheinlich. Auch wenn er eigentlich für genau diese Zielgruppe gedacht ist. Zu sehr haftet dem Film der Geruch von Deutsch-Leistungskurs an – zu Unrecht natürlich.
Fazit:
Mit Fabian oder der Gang vor die Hunde präsentiert der erfahrene Regisseur und Drehbuchautor Dominik Graf großes Kino. Die Adaption von Erich Kästners Roman ist mitreißende Liebesgeschichte, faszinierendes Zeit-Gemälde und deutlicher Kommentar zum Gedankengut der Nazis. Das wird von Tom Schilling, Saskia Rosendahl und Albrecht Schuch in den wichtigsten Rollen großartig verkörpert. Graf hüllt dieses starke Trio in viele kreative Ideen bei Kamera, Schnitt und Erzählweise. Ein Film, der mehr verdient hätte als Schulklassen und Literaturclubs.
Fabian oder der Gang vor die Hunde startet am 5. August 2021 in den deutschen Kinos.