Regisseur Charlie McDowell, Sohn des bekannten Schauspielers Malcolm McDowell, hat sich für für seinen neuen Film „Windfall“ eine illustre Besetzung geholt. Jason Segel, seit dem Ende von „How I Met Your Mother“ deutlich häufiger in ernsten Filmen zu sehen als in Komödien, ist einer von nur drei Schauspielern im Film. Mit Jesse Plemons spielt dazu noch ein weiterer Star mit, dessen Karriere nicht erst seit „The Power of the Dog“ auf der Überholspur ist. Und schließlich ist Lily Collins zu sehen, Tochter des großen Musikers Phil Collins, und seit September 2021 Charlie McDowells Ehefrau. Da klingt schon die Besetzungsliste spannend. Hat Netflix mit der Verfilmung eines Drehbuchs von Kevin Andrew Walker („Sieben“) einen Thriller-Hit neu im Programm? Das klärt die Kritik.
Die Handlung
Ein namenloser Einbrecher (Jason Segel) ist in die Wochenende-Villa eines reichen CEOs (Jesse Plemons) eingestiegen. Er hat in aller Ruhe Saft getrunken, eine Kleinigkeit gegessen und auch ein wenig Geld und Schmuck gefunden. Nun will er eigentlich das Grundstück verlassen, als der CEO mit seiner Frau (Lily Collins) ankommt und die beiden ins Haus stürmen. Zwar kann sich der Einbrecher verstecken und wird nicht entdeckt. Aber ausgerechnet, als er bereits fast aus der Tür geschlichen ist, läuft er der Frau in die Arme. Und nur Sekunden später steht auch ihr Mann im Zimmer.
Somit ist der eigentlich Fluchtplan des Einbrechers dahin und er muss sich dringend etwas Neues überlegen. Weil der CEO ihm anbietet, ihm das Versteck des Geldes im Büro zu zeigen, willigt der Einbrecher ein, dieses Geld noch mitzunehmen. Dann will er die beiden einsperren und verschwinden. Doch als er bereits im Fluchtwagen sitzt, ändern sich zwangsweise seine Pläne noch einmal und er kehrt zum Haus zurück, wo die beiden Bewohner bereits mit Fluchtgedanken beschäftigt sind. Er kann das Paar aufhalten, doch nun muss ein neuer Plan her. Schnell fällt dem CEO etwas ein, um die Situation zu retten, doch seine Idee braucht etwas Zeit, die Einbrecher und Hausbesitzer miteinander verbringen müssen …
Psycho-Duell statt Geballer
Schon zu Beginn des Films legt McDowell den Kurs fest. Denn er zeigt während des gesamten Vorspanns ein unbewegtes Bild der Veranda des Hauses, während im Hintergrund Musik läuft, die auch in einen Hitchcock- oder Highsmith-Film der 60er gepasste hätte. Action hat der Zuschauer nicht zu erwarten, das macht der Regisseur damit mehr als deutlich. Stattdessen geht es um ein Psychogramm der drei Menschen (ein vierter taucht kurz auf, spielt aber keine entscheidende Rolle), die so unerwartet aufeinander treffen und nun mit der Situation umgehen müssen, wie sie ist. Denn der namenlose Einbrecher will eigentlich niemandem etwas tun. Sondern nur mit heiler Haut und unverhofft viel Geld (der englische Ausdruck „Windfall“ steht genau für einen solchen Geldsegen) entkommen.
Segels Charakter bleibt dabei die spannendste Figur des Films, weil der Zuschauer über ihn am wenigsten erfährt und er auch am rationalsten handelt. Das geht auch dem Ehepaar in seiner Gewalt so. Immer wieder versuchen beide, aus dem schweigsamen Räuber Informationen herauszuholen, um einen Ansatz zu finden, das Geschehen zu ihren Gunsten zu verändern. Diese Psycho-Duelle in Form von Gesprächen, die der CEO mit dem Holzhammer und seine Frau mit einer sehr viel feineren Klinge führt, sind der Kern des Films. Und Zuschauer sollten an genau solchen Szenen tunlichst ihren Spaß haben, wenn sie sich Windfall ansehen wollen.
Wenn der Schurke der Gute ist …
Daraus bezieht das Script von Kevin Andrew Walker und Justin Lader auch die Spannung. Wird das Ehepaar darin erfolgreich sein, dem Einbrecher eine Falle zu stellen und ihn zu Fall zu bringen? Oder wird der grundsympathische Räuber dem nervtötenden Paar entkommen können und dabei genug Geld für einen neuen Anfang mitnehmen? Leider lässt die Story dabei recht wenige Klischees aus. Der CEO ist exakt der dynamische, aber unsympathische Macher, den man erwartet. Und Jesse Plemons kann dieser Figur auch keinerlei interessante Zwischentöne verleihen. Immerhin ist das Drehbuch aber gut genug, um ihn nachvollziehbare Dinge tun zu lassen. Und die Figur daher glaubhaft in der Realität zu verankern.
Segels Räuber, der namenlos bleibt und so letztlich als Jedermann durchgeht, dessen genaue Motive für den Raub gar nicht so wichtig sind, wirkt in seinem Kampf, sicher zu entkommen, ohne jemandem zu schaden, mit Abstand am sympathischsten und wird so schnell der eigentliche Held im Film. Auch ohne viele Kontakte zu anderen Menschen wird schnell klar, dass er als einziger Charakter die Bodenhaftung noch nicht verloren hat. Und schon deshalb als Identifikationsfigur am besten geeignet ist. Das Highlight des Films ist aber Lily Collins als stilles, aber möglicherweise umso tieferes Wasser. Denn die Gattin des CEO ist nicht nur in Hilfs-Organisationen tätig. Sondern verfolgt auch anderweitig Pläne, von denen ihr Mann nicht unbedingt etwas weiß.
Das Gespräch am nächtlichen Lagerfeuer zwischen dem Einbrecher und ihr wird so, abgesehen vom unerwarteten Finale, zum stärksten Moment des Films. Öffnet sich die junge Frau dem Fremden? Oder sind ihre Aussagen allesamt nur berechnendes Spurenlegen, um ihre Ziele zu erreichen? Das bleibt selbst nach dem Abspann noch als unbeantwortete Frage im Kopf des Zuschauers. Windfall ist somit sicher kein typischer Thriller von der Stange. Dazu bietet das Drehbuch von Walker und Lader und auch die zurückhaltende Inszenierung von McDowell zu viel gute Ideen inmitten vorhersehbarer Figuren. Aber er verlangt auch ein wenig Aufmerksamkeit und dürfte daher für gelegentliches Hinsehen, während die Hauptaufmerksamkeit dem Smartphone zukommt, eher nicht geeignet sein.
Fazit:
Mit Windfall gelingt Regisseur Charlie McDowell nach einem Script von Andre Kevin Walker und Justin Lader ein leiser Thriller, der lange offenhält, was er eigentlich sein will. Denn immer wieder driftet der Film auch ins Komisch ab, bevor er mit dem Finale seine wahre Absicht unmissverständlich offenbart. Die Mischung aus Spannung und Psychogramm dürfte für alle die Zuschauer gut funktionieren, die sich auf den subtilen Schlagabtausch der Figuren einlassen. Und für die nicht unterhaltsam sein, die am liebsten Filme nebenbei schauen. Denn Windfall lebt von Zwischentönen und scheinbar unspektakulären Momenten – und die gehen ohne Fokus auf den Film schnell verloren.
Windfall startet am 18. März 2022 bei Netflix.
Weitere Kritiken zu Netflix-Filmen gibt es hier.