Gary Oldman

Serienkritik: Slow Horses

Noch ist Apple TV+ keine echte Alternative zu den Massenangeboten von Netflix oder Amazon Prime Video. Denn die Auswahl ist nach wie vor überschaubar. Wer seinen Streamingdienst oft nutzt, wird bei diesem nach wenigen Wochen bereits die meisten guten Serien und Filme gesehen haben. Das liegt daran, dass Apple so gut wie nichts lizensiert, sondern ausschließlich selbst produzierte oder exklusive eingekaufte Inhalte zeigt. Und es dauert eben seine Zeit, bis genug zusammenkommt, um als üppiges Angebot zu gelten. Qualitativ ist es hingegen anders. Hier kann Apple TV+ mit Oscars (für „CODA„) und Emmys („Ted Lasso“) punkten. Ist die neue Spionage-Serie „Slow Horses“ auch ein Aspirant für Preise? Das klärt die Kritik.

Gary Oldman
Jackson Lamb und sein neuester Agent River Cartwright können sich nicht leiden.

Die Handlung

Niemand weiß genau, warum. Aber der ebenso brillante wie versoffene Jackson Lamb (Gary Oldman) leitet in London das Slough House, eine Unterabteilung des Geheimdienstes MI 5, in die wenig brauchbare oder nutzlose Agenten strafversetzt werden – die dann spöttisch als „Slow Horses“ geführt werden. Und Lamb lässt seine Leute auch regelmäßig spüren, wie wenig er von ihnen hält. Der neue im Team, der junge River Cartwright (Jack Lowdon) will sich allerdings nicht mit seiner Rolle abfinden. Denn er hält sich für einen guten Agenten und für zu Unrecht auf die Strafbank gesetzt. Als er sich mit dem rechtsgerichteten Journalisten Robert Hobdon (Paul Hilton) beschäftigen und sogar dessen Müll untersuchen soll, platzt Cartwright der Kragen – und er beginnt auf eigene Faust eine Ermittlung.

Die wird plötzlich mächtig heiß, als ein paar rechte Terroristen einen asiatisch-britischen Studenten entführen und damit drohen, ihm 24 Stunden später den Kopf abzuschlagen – live im Internet. Offenbar weiß Hobdon etwas darüber, denn Cartwright soll Informationen dazu in Den Park übermitteln, das Hauptbüro des MI 5, wo die fähigsten Leute arbeiten. Es gelingt ihm, selbst an die Infos zu kommen, bevor er sie abliefert und ist schon bald auf der Spur möglicher Täter. Das bringt ihm nicht nur den Respekt und die Begleitung seiner Kollegin Sid (Olivia Cooke) ein, sondern auch bald die Aufmerksamkeit seiner ehemaligen Chefin Diana (Kristin Scott-Thomas). Und die steckt tiefer in dem Fall, als sie zuzugeben bereit ist. Das bringt Jackson Lamb dazu, aus seiner Lethargie zu erwachen …

Fortsetzung schon bestellt

Die sechsteilige erste Staffel von Slow Horses basiert auf dem gleichnamigen Roman des britischen Autoren Mick Herron, der mittlerweile bereits neun Romane um Lamb und sein ungewöhnliches Team geschrieben hat. Band 2 namens „Dead Lions“ ist bereits als zweite Staffel der Serie in Arbeit. Danach soll aber, Stand heute, Schluss ein. Und das ist jetzt schon schade. Denn was Apple TV+ da in Großbritannien hat produzieren lassen, gehört zu den besten und ungewöhnlichsten Spionage-Serien der vergangenen Jahre. Dafür sind gleich mehrere Dinge verantwortlich. Ein Star ist hier sicherlich die Story, die nicht nur gut durchdacht und nachvollziehbar ist, sondern auch mit lebendigen und oft recht skurrilen Figuren aufwarten kann. Nachdem die beiden ersten Folgen im Aufbau noch eher gemütlich wirken, zieht die Spannung ab Episode 3 deutlich an.

Den Autoren gelingt dabei das Kunststück, die Story auf verschiedenen Ebenen zu erzählen, ohne in Widerspruch mit der Prämisse der Helden zu geraten. Denn von denen sind einige wirklich nicht sonderlich fähig. Besonders auffällig wird das in der fast tragischen Figur des Struan Loy. Der sucht verzweifelt im Slough House nach Anschluss, und wird doch von niemandem gemocht. Die Ausreden seiner Kollegen, warum sie mit ihm nicht auf ein Bier in den Pub gehen können, sind fast ein Running Gag der Serie. Ebenso wie der trotz der eigentlich ernsten Story immer wieder durchscheinende galligen Humor, der von der anderen großen Säule der Serie ausgeht: Gary Oldman.

Kristin Scott-Thomas
Vizedirektorin Diana hat den jungen Agenten nach einem Fehler bei einer Übung zu den Slow Horses degradiert.

Oldman ist eine Bank

Der mittlerweile 64-jährige Schauspieler legt seine Rolle des Jackson Lamb an wie eine träge alte Katze. Die zwar auf den ersten Blick völlig verwahrlost und lethargisch wirkt, im Kopf aber immer noch so schnell ist wie eh und je, wenn es darauf ankommt. Und damit mit jeder Folge gefährlicher und unberechenbarer wirkt als zuvor. Ohne seine Kotzbrocken-Attitüde dabei jemals auch nur für einen Moment abzulegen. Eine fieseren Helden als Jackson Lamb gab es lange nicht zu sehen. Auch weil die Figur weitaus mehr dunkle Ecken und unangenehme Eigenheiten hat als nur seine heftige Flatulenz. Oldman, der in seiner Karriere schon häufiger ambivalenten oder schurkische Figuren spielte, meistert auch diese Rolle mühelos und adelt jede Szene,  in der er vorkommt.

Besonders die wenigen Duelle mit Kristin Scott-Thomas als eiskalte Geheimdienstleiterin gehören zu den absoluten Highlights von Slow Horses. Hier sitzt jeder Satz, jede Geste, jeder Blick so präzise, als hätten beide seit Jahren nichts anderes getan, als sich auf diese Rolle vorzubereiten. Wie zwei Fechter belauern sich die Charaktere, um dann blitzschnell verbal zuzustoßen, wenn sie eine Lücke erkannt haben. Das lässt den Zuschauer beim Zusehen frösteln. Die stets mit einem gewissen Abstand inszenierte Story erinnert nicht nur deshalb an andere starke britische Serien wie „The Bodyguard“. Oder an Verfilmungen vom Spionage-Roman-Großmeister John le Carre. Denn nicht hinter jedem, aber doch hinter einigen Figuren der Serie verbirgt sich mehr, als der Zuschauer zunächst durchschaut.

Olivia Cooke
Als die Slow Horses von der Entführung eines Studenten erfahren, wollen sie helfen. Lamb allerdings nicht.

Dass neben dem spannenden Plot auch noch Zeit bleibt, die chaotischen Helden der Slow Horses auch als Charaktere zu entwickeln, ohne deshalb auch nur einen Moment langweilig zu werden, ist ebenfalls ein großes Plus der Serie. Denn das Gefühl, verstoßen worden zu sein, weckt in den meisten von Lambs Agenten auch ein Gefühl von Solidarität und Zugehörigkeitsgefühl. Und so lässt sich das Slough House auch als Alltag einer dysfunktionalen Familie lesen. Die irgendwie versucht, die Macken der einzelnen Mitglieder zu ertragen. Fans von gutem britischen Fernsehen kommen daher an Slow Horses eigentlich nicht vorbei.

Fazit:

Mit Slow Horses präsentiert Apple TV+ einen weiteren potenziellen Hit in ihrem Programm. Die einerseits typische, andererseits aber durch die sehr speziellen Helden auch frisch wirkende Spionage-Serie kann sich neben Gary Oldmans grandiosem Spiel auch auf Kristin Scott-Thomas verlassen. Und verfügt darüber hinaus auch über eine gute Story, die von Episode zu Episode spannender wird. Auch deshalb, weil der Zuschauer keiner Figur komplett vertrauen kann und ihm stets suggeriert wird, dass er weniger weiß als manche der Charaktere. Und so das Gefühl allgegenwärtig bleibt, einer der Helden könnte sich doch noch als Schurke entpuppen. Eine tolle Serie, von der man nur hoffen kann, dass die bereits bestellte zweite Staffel ähnlich gut wird.

Slow Horses ist komplett bei Apple TV+ zu sehen.

Jonathan Pryce
Rivers Großvater David ist ebenfalls ein Geheimdienst-Veteran. Was weiß er über Lamb und dessen Vergangenheit?