Viele Schriftsteller antworten auf die Frage, ob sie aus ihrem Werk ihr Lieblingsbuch nennen können mit einem klaren Nein. Nicht so Stephen King, der erfolgreichste Horror-Autor der Welt. Er bezeichnet sein 2006 erschienenes Werk „Liseys Story“ (auf deutsch „Love“) als seinen Favoriten unter all den Büchern, die der inzwischen 73-jährige Autor bisher veröffentlicht hat. Apple kaufte die Filmrechte dafür und gab King die Gelegenheit, selbst die Drehbücher für eine Adaption als Mini-Serie zu schreiben – und der Schriftsteller nahm den Job an. Das Ergebnis hat der chilenische Regisseur Pablo Larrain („Jackie) nun mit Staraufgebot für Apple TV+ umgesetzt, produziert wurde die Serie von J.J. Abrams‘ Firma Bad Robot. Wie gut ist sie gelungen?
Die Handlung
Lisey (Julianne Moore) hat vor zwei Jahren ihren Mann Scott (Clive Owen) durch ein Attentat verloren. Der berühmte Schriftsteller war während einer Preisverleihung an einer Universität erschossen worden. Seitdem kämpft Lisey gleich an mehreren Fronten. Ihr ältere Schwester Amanda (Joan Allen) ist in eine Art Katatonie versunken und lebt in der Näher in einem Heim. Lisey wechselt sich mit ihrer Schwester Darla (Jennifer Jason Leigh) bei den Besuchen ab, eine Besserung scheint aber nicht mehr in Sicht. Dazu leidet die Witwe weiterhin unter ihrer nicht enden wollenden Trauer, in die sich in letzter Zeit auch immer wieder seltsame Flashbacks von Ereignissen mischen, an die sie sich nicht erinnern kann, aber real zu sein scheinen.
Und dann muss Lisey noch noch die zahlreichen Anrufer von Universitäten und Hochschulen des Landesabwehren, die nach unveröffentlichtem Material ihres Mannes fragen, um es auswerten zu können. Der hartnäckigste davon ist Professor Dashmiel (Ron Cephas Jones), der sogar so weit geht, einen glühenden Verehrer des Autors auf die Witwe anzusetzen, um sie zum Einlenken zu bewegen. Doch Jim Dooley (Dane DeHaan) ist nicht einfach nur ein Fan, er ist ein waschechter Psychopath. Und das bekommt Lisey bald sehr schmerzhaft zu spüren. In ihrer Not muss sich sich mit den Erinnerungen auseinandersetzen, die sie vielleicht retten können: die Reisen mit Scott an einen Ort namens Boo’ya Mond, der sich nicht auf der Erde befindet. Dort wartet möglicherweise Hilfe auf sie, vielleicht aber auch ein grauenvoller Tod …
Kings Liebling – kein Wunder!
Dass Liseys Story Kings Liebling ist, verwundert nur auf den ersten Blick. Denn er bearbeitet in diesem Roman gleich ein paar seiner Lieblingsthemen. Zwar ist die Hauptrolle diesmal kein Schriftsteller, aber dessen Witwe – und damit noch nah genug an Romanen wie „Stark – The Dark Half“, „Sara“ oder „Das geheime Fenster“. Dazu kommt der Bereich Wahnsinn, den er bereits in Werken wie „Shining“ oder „Duma Key“ behandelte. Auch die schwierige Kindheit, wie in „ES“, „Carrie“ oder „Feuerkind“ spielt in dem Roman eine wichtige Rolle. Und schließlich fehlt noch der unheimliche Fan, den er mit „Misery“ unsterblich machte. Nach Liseys Story beendete King auch für längere Zeit das Thema Schreiben. Erst in „Blutige Nachrichten“ aus dem Jahr 2020 lässt er erneut einen Schriftsteller als Hauptfigur agieren.
Liseys Story scheint für King also durchaus eine Art Essenz seiner Werke über Schriftsteller darzustellen und in der Tat ist der Roman für King-Verhältnisse überraschend mehrdeutig. Denn das Land Boo’ya Mond, das für die Phantasie und Kreativität eines Autors steht, aber eben auch für die Gefahren, sich darin zu verlieren, ist für den Horror-König, der seine Romane selbst einmal als „literarisches Pendant zu Burgern mit Pommes“ bezeichnete, eine Spielwiese, die er bewusst wenig erklärt und dem Leser Platz für die eigenen Vorstellungen lässt. Dass die Mini-Serie Schwächen aufweist, muss sich Stephen King auch auf die eigenen Fahnen schreiben, denn sie sind King-typisch.
Als Drehbuch-Autor kein Genie
In den frühen 2000ern, in denen auch Liseys Story entstand, begann King häufiger damit, Storys auf eine unfassbare Länge aufzupusten, die gar nicht die Substanz dazu hatten. Als Negativbeispiel mag hier „Der Buick“ gelten, der auf mehr als 500 Seiten so gut wie keine Handlung erzählt. Auch Liseys Story ist mit (auf deutsch) mehr als 700 Seiten schlicht zu lang geraten. Und King ist es nicht gelungen, das bei seinen acht Drehbüchern für die Episoden der Serie in den Griff zu bekommen. Liseys Story hätte sich in fünf oder sechs Folgen wunderbar ausführlich erzählen lassen – acht Episoden sind definitiv zu viele. King schrieb bislang 20 Drehbücher in seiner Karriere – aus keinem davon wurde ein Film oder eine Serie, die man mit dem Prädikat großartig versehen würde. Meist sind Kings Adaptionen für Leinwand oder TV bestenfalls solide.
So ist auch der neue Schluss der Mini-Serie „The Stand“, den er für das Projekt schrieb, keine Offenbarung. Der Meister kann vieles, Drehbücher sind allerdings nicht sein größtes Talent. Auch in Liseys Story füllt er die Überlänge immer wieder mit Dialogen und Monologen, die bereits offensichtliche Fakten nochmals erklären. In seinem Sachbuch „Das Leben und das Schreiben“ erzählt King, wie er selbst mit einem Roman-Manuskript umgeht, es immer wieder kürzt, bis er es für verdichtet genug hält, um es zu veröffentlichen. Das hat er im Fall des Drehbuchs für die Mini-Serie augenscheinlich nicht getan. Doch die Fans haben Glück: Die anderen kreativen Köpfe, die an diesem Projekt beteiligt waren, holen mit ihrer Arbeit etliche Kohlen für King aus dem Feuer.
Düstere, aber auch schöne Bilder
Das beginnt bei Kameramann Darius Khonji, der einst für David Fincher den Look von „Sieben“ schuf. In kühlen, fahlen Bildern fängt er die Gesichter der Protagonisten ein, entlockt ihnen ihre Emotionen ohne Text. Und sorgt so für einen der stärksten Aspekte der Mini-Serie: Liseys Story sieht großartig aus. Ohne große Tricks weiß der Zuschauer beispielsweise allein aufgrund der Optik, ob er sich gerade in der Erinnerung einer der Figuren, dem Hier und Jetzt oder dem Reich von Boo’ya Mond befindet. Zudem erschafft er mit dem Haus aus Scotts Kindheit eine echte Horror-Kulisse aus Dreck, Regen und Angst. Wozu auch die stringente Regie des Chilenen Pablo Lorrain beiträgt, die in den acht Folgen für einen einheitlichen, düsteren Look sorgt, wenn er auch dem Stoff nicht mehr Tempo zu geben vermag.
Den größten Beitrag zur Qualität von Liseys Story steuern aber die Schauspieler bei. Julianne Moore spielt die verletzliche Lisey, die weiß, dass mit ihrer fehlenden Erinnerung auch ihre Stärke kommen wird, in jeder Szene intensiv, überträgt ihre Trauer auf den Zuschauer. Ihre beiden Schwestern werden von Jennifer Jason Leigh und Joan Allen ebenfalls toll verkörpert. Und Clive Owen ist als genialer, aber innerlich tief verletzter Autor eine Idealbesetzung. Richtig erstaunlich ist aber Dane DeHaan, der einen wirklich beeindruckenden Psychopathen zum Leben erweckt. Liseys Angst vor diesem kranken Geist lässt sich daher mehr als nachvollziehen.
Fazit:
An Liseys Story ist vieles beeindruckend. Die Darsteller liefern eine starke Performance ab, die Kameraarbeit ist grandios und auch die Regie sorgt für eine stetig spannender werdende Story und einige denkwürdige Momente. Leider ist ausgerechnet der Meister selbst die Schwachstelle, denn Stephen Kings Drehbuch nach seinem eigenen Roman, den er auch noch als seinen besten bezeichnet, ist deutlich zu langatmig. Statt fünf oder sechs knackigen Folgen beschert King dem Publikum acht Episoden – und die füllt er nicht adäquat. Dennoch ist die Mini-Serie sehenswert, eine neue Referenz ist die Mischung aus tragischer Love-Story, düsterer Fantasy und ein paar harten Horror-Momenten aber nicht. Dazu fehlt ihr schlicht der Drive.
Liseys Story startet am 4. Juni 2021 mit einer Doppelfolge bei Apple TV+, weitere Folgen jeden Freitag.