Agatha Christie ist zweifelsohne die Grande Dame der Kriminalliteratur. Viele ihrer Romane und Kurzgeschichten wurden verfilmt. Und obwohl in Deutschland ihre Hobbyermittlerin Miss Marple – auch dank der Schwarz-Weiß-Filme mit der wunderbar schrulligen Margaret Rutherford in der Hauptrolle – deutlich bekannter ist, war eigentlich der belgische Detektiv Hercule Poirot ihr Favorit. In „See How They Run“ kommen allerdings beide nicht vor, denn der Film ist keine Verfilmung eines Werkes von Christie, sondern eher eine Hommage an sie. Hier geht es um ein Theaterstück, dass die Autorin schrieb und das bis auf den heutigen Tag in London aufgeführt wird – seit 1952! Ob der Film auch so ein Klassiker werden könnte, verrät die Kritik.

Die Handlung
Im Jahr 1953 läuft Christies Stück Die Mausefalle bereits ein Jahr erfolgreich in einem Londoner Theater und Hollywood hat angeklopft, um das Werk zu verfilmen. Dazu hat der Produzent neben dem Drehbuchautor Mervyn (David Oyelowo) auch den umstrittenen Regisseur Leo Köpernick (Adrien Brody) eingestellt. Doch der ist mehr hinter Frauen und Drogen her als hinter einem guten Film und macht nicht nur dem Autoren das Leben zur Hölle. Als er dann auf der Bühne entdeckt wird, die Zunge wurde ihm posthum entfernt, wird die Londoner Polizei aktiv – in Form von Inspector Stoppard (Sam Rockwell) und der Streifenpolizistin Stalker (Saoirse Ronan).
Während Stoppard sich mehr für seinen nächsten Drink als den Mörder interessiert, ist Constable Stalker Feuer und Flamme für den Job und bemüht sich, sämtliche Spuren und Aussagen in ihrem Notizbuch festzuhalten. Gemeinsam dringt das Duo schließlich tiefer in die Gemengelage von Cast und Machern ein und stellt schnell fest, wie erstaunlich viele Mitwirkende an Die Mausefalle ein starkes Motiv aufweisen. Denn wie sich herausstellt, war Köpernick sogar ein noch schlimmerer Mensch als die meisten seiner Kollegen dachten. Und so wird der Fall für Stoppard und Stalker belad ein echter Dschungel aus Hinweisen und Gerüchten, in den sogar Agatha Christie persönlich noch involviert wird …
Sanfte Comedy mit Krimi-Kern
Was genau wollten Regisseur Tom George und Drehbuchautor Mark Chappell mit See How They Run eigentlich erzählen? Eine echte, spannende Mörderjagd? Eine Komödie über die Suche nach einem Killer? Oder doch eine Parodie auf das Krimi-Genre an sich? So ganz klar wird das auch beim Ansehen des Films nicht. Denn die meisten Figuren sind für einen ernsthaften Krimi deutlich zu überzeichnet, allerdings auch nicht so albern, dass man von einer Parodie ausgehen müsste. So kommt das Publikum vermutlich zu dem Urteil, hier einer komödiantischen Mörderjagd beizuwohnen. Und dagegen ist bei einer Qualität wie hier auch gar nichts einzuwenden. Denn die Schauspieler hatten offensichtlich großen Spaß an ihren Rollen.
Schon Mordopfer Adrien Brody überzeugt in seinem wenigen Szenen bis zum Tod mit wundervoll übersteigertem Ego und grandios schlechten Manieren. Den Vogel schießt aber das Ermittlerpaar Rockwell und Ronan ab. Während er als desillusioniertes und abgewracktes Scheidungsopfer ohne Antrieb durch den Tag mäandert, ist Ronan als Kollegin das Gegenteil. In einer exakt durchgeplanten und anvisierten Karriereplanung ist dieser Fall für sie das perfekte Sprungbrett für höhere Aufgaben. Leider hat Stalker neben großer Gewissenhaftigkeit und aufopfernder Pflichterfüllung auch einen fatalen Hang zu voreiligen Schlussfolgerungen. Aus diesen Figuren machen Rockwell und Ronan im Zusammenspiel ein Feuerwerk wundervoller kleine Momente und Gags.

Aus der Mitte entspringt ein wenig Langeweile
Das gilt für die Filmhandlung leider nur bedingt. Denn nach starkem Auftakt versinkt die Mordermittlung ein wenig im Mittelmaß. Das Abklappern eines Verdächtigen nach dem anderen ist wenig elegant erzählt und sorgt dafür, dass See How They Run in der Mitte seiner 100 Minuten Laufzeit ein wenig durchhängt. Erst im Finale findet der Film zur Anfangsstärke zurück, dazwischen sind es hauptsächlich die Schauspieler, die für Spaß sorgen und die mitunter wenig interessante Handlung ausgleichen können. Zudem sind manche Rollen auch derart klein, dass selbst Könner wie Ruth Wilson oder Harris Dickinson, der den großen Richard Attenborough in jungen Jahren spielt, nicht wirklich glänzen können.
Allerdings muss man dem Plot zugute halten, dass er trotz aller humoristischen Einlagen eine klassische Mördersuche zum Mitmachen anbietet. Die Ermittler wissen nie mehr als das Publikum, daher begegnen sich beide auf Augenhöhe. Ob man das Motiv des Killers am Ende überzeugend findet, das ist sicher Geschmackssache. Das Finale im haus der berühmten Autorin bietet jedenfalls beste Unterhaltung mit leicht morbidem britischen Humor und versöhnt mit der kreativen Pause im Mittelteil. Dazu kommt die jederzeit überzeugende Ausstattung des Films, die das Ambiente des Londons der 50er Jahre lebendig macht. Wer sich mit der Kombination aus Humor und Krimi anfreunden kann, ist in See How They Run jedenfalls gut aufgehoben, auch wenn es nicht der ganz große Wurf geworden ist.

Und noch ein interessanter Fakt zum Schluss. Obwohl Die Mausefalle das am längsten laufende Theaterstück der Welt ist, gab es, bis auf eine deutsche TV-Produktion in den 50er Jahren, tatsächlich nie eine Filmumsetzung des Stoffes. Ob das daran liegt, dass Hollywood warten muss, bis das Stück nicht mehr aufgeführt wird – so war es in den 40er Jahren bei „Arsen und Spitzenhäubchen“ – oder kein Interesse am Stoff besteht, ist allerdings nicht bekannt.
Fazit:
See How They Run bietet einen netten, wenn auch nicht übertragenden Krimiplot, glänzt aber durch seine Darsteller. Sowohl Sam Rockwell als auch Saoirse Ronan spielen wundervoll komische Polizeibeamte, die mit ihrem kauzigen Charme so manch Länge im Plot überspielen können, wenn auch nicht vollständig. Aber einen tollen Auftakt und ein gelungenes Finale halten den Film dann doch ordentlich zusammen. Das dürfte vor allem Zuschauern Spaß machen, die sich Hercule Poirot manchmal ein wenig humorvoller wünschen. Und mit einem klassischen Whodunit-Plot etwas anfangen können. Mitraten ist hier erlaubt, Spaß macht der Film aber auch ohne detektivische Anstrengungen. Dass man in 50 Jahren noch über den Film spricht, ist aber zweifelhaft.
See How They Run startet am 27. Oktober 2022 in den deutschen Kinos.
