Vera Farmiga

Serienkritik: Five Days at Memorial

Abonnenten von Apple TV+ wissen, dass die Menge an Serien und Filmen, die monatlich ins Programm kommen, eher überschaubar ausfällt. Dafür ist aber vieles, was der Streamingdienst dann anbietet, optisch und inhaltlich vom Feinsten. So hat Apple bereits einige Preise gewonnen, darunter etliche für „Ted Lasso“ und sogar einen Oscar für „CODA„. Auch die neue Mini-Serie „Five Days at Memorial“ ist nach Ansicht der US-Kritik ein heißer Anwärter auf einige Emmys. Worum es in der achtteiligen Mini-Serie mit „Conjuring„-Star Vera Farmiga geht und ob die Serie die hohen Erwartungen erfüllen kann, verrät die Kritik.

Five days at memorial
Der Sturm Katrina trifft New Orleans mit voller Wucht – auch das Memorial Hospital.

Die Handlung

Der Orkan Katrina fegt im August 2005 mit voller Wucht über New Orleans. Auch die Ärzte und Schwestern des Memorial Hospitals sowie des im gleichen Gebäude gelegenen Life-Care-Krankenhauses rechnen mit dem Schlimmsten und haben deshalb hunderte von Anwohnern ins vermeintlich sichere Gebäude gelassen, wo sie den Sturm abwarten können. Tatsächlich entgeht das Krankenhaus nur knapp einer Überschwemmung – vorerst. Denn Susan Mulderick (Cherry Jones), die Katastrophen-Verantwortliche im Memorial, muss mit Schrecken feststellen, dass es für eine Evakuierung des Krankenhauses im Fall einer Flut keinerlei Pläne gibt. Und das in einer Stadt, deren Viertel zum Teil unterhalb des Meeresspiegels liegen!

Am nächsten Tag ist der Sturm vorüber und die Stadt atmet auf – allerdings nur kurz. Denn fast gänzlich unbemerkt von Helfern und Medien bricht in der Nähe von New Orleans ein für die Stadt lebenswichtiger Damm. Und so strömen Wassermassen völlig ungehindert in die Armenviertel und die Innenstadt. Viel zu spät hören die Ärzte und Schwestern im Memorial davon und wenige Stunden danach läuft der Keller voller Wasser und vernichtet nicht nur die Stromversorgung, sondern auch die Notgeneratoren. Doch ohne medizinisches Gerät geraten etliche Patienten schnell in Lebensgefahr. Und so müssen Ärztinnen wie Anna (Vera Farmiga) unmenschliche Entscheidungen treffen …

Chronik angekündigter Tode

Five Days at Memorial ist eine Serie, die wütend macht. Denn sie basiert auf Tatsachen und zeigt sehr eindrücklich die Folgen des Totalversagens der Behörden während der Katastrophe im Jahr 2005.  Dadurch starben allein in Louisiana mehr als 1500 Menschen. Und einigen davon sieht der Zuschauer dabei zu, denn sie sind Patienten des Memorial. Die Hauptfiguren der Serie sind aber die Ärzte und Ärztinnen sowie Pfleger, die in diesen fünf Tagen versuchen, Leben zu retten und die Patienten so gut wie möglich zu versorgen. Um diese wahre Geschichte so gut wie möglich zu erzählen, holte sich Apple zwei erfahrene Autoren an Bord. Carlton Cuse schrieb unter anderem die Netflix-Serie „Locke & Key„, John Ridley gewann den Drehbuch-Oscar für „12 Years a Slave“. Und die beiden liefern ab.

Denn sie verdammen den Zuschauer dazu, ohnmächtig einem Drama zuzusehen, das von Folge zu Folge schlimmer wird. Bis es sich in der fünften Episode zu einem absoluten Alptraum auswächst. Die drei Folgen danach beschäftigen sich dann mit den Reaktionen von Staat und Behörden auf die Vorfälle im Memorial und den juristischen Folgen der Tragödie. Hier ist die Intensität der Bilder nicht mehr so drastisch, die Wut über eine Regierung, die erst bei der Hilfe versagt und dann noch einzelne Leute dafür opfern will, lässt aber nicht nach. Dabei gelingt ihnen das Kunststück, aus vorher heldenhaften Figuren zutiefst zweifelhafte Charaktere zu machen, deren Motive und Aussagen plötzlich in einem gänzlich anderen Licht erscheinen.

Cherry Jones
Krisenstabsleiterin Susan merkt viel zu spät, welche Katastrophe nach der Katastrophe droht.

Emotional belastend

Damit so eine Wende glaubhaft gelingt, braucht es neben einem starken Drehbuch aus erstklassige Schauspieler. Und die haben Ridley und Cuse bekommen. Vera Farmiga gelingt es, ihre Figur der Dr. Anne Pou in den ersten fünf Episoden als echte Heldin zu präsentieren, umso sie danach ebenso glaubhaft in eine deutlich dunklere Ecke zu stellen. Cherry Jones ist als Krisenmanagerin Susan mehrfach am Ende jeglicher Kräfte und spielt diese Momente so intensiv, dass der Zuschauer kaum den Blick vom Bildschirm abwenden kann. Zu fesselnd ist das, was die Schauspielerin bietet. Obwohl die beiden ein wenig herausragen, ist es aber letztlich der gesamte Cast, bis in die kleinste Nebenrolle, der für die emotionale Achterbahnfahrt von Five Days in Memorial sorgt.

Dazu kommen immer wieder Original-Fernsehausschnitte der damaligen Ereignisse. Die sind in ihrer Härte fast noch schlimmer als das, was die Autoren geschrieben haben. Und halten die Serie stets so nah an der Realität, dass die Formal „ist ja nur ein Film“ diesmal einfach nicht funktionieren will. Daher dürfte Five Days at Memorial vor allem für Fans von Serien wie „Chernobyl“ eine Empfehlung sein. Zwar geht es um eine andere Katastrophe, aber hier wie dort sind das Zusammenspiel guter Schauspieler und Autoren sowie das Grauen der tatsächlich passierten Geschehnisse die Faktoren, die aus der Serie etwas ganz Besonderes gemacht haben. Zudem können sich auch die Spezial-Effekte der Serie absolut sehen lassen.

Five Days at memorial
Es dauert Tage, bis endlich erste Patienten aus dem Krankenhaus evakuiert werden können.

Und so ist Five Days at Memorial hauptsächlich etwas für Zuschauer, die kein Problem damit haben, sich emotionalen Schlägen auszusetzen. Wer auch nur über ein wenig Empathie verfügt, wird in vielem Szenen der Serie zumindest schlucken müssen. Und wer lieber herzerwärmende Serien sieht, ist hier komplett falsch. Five Days at Memorial führt nicht nur drastisch vor Augen, wie abhängig die moderne Zivilisation davon ist, dass im Fall einer großen Katastrophe das Rettungssystem funktioniert. Sondern entlässt das Publikum auch mit niederschmetternden Nachrichten über einen möglichen zukünftigen Umgang mit solchen Horror-Szenarien.

Fazit:

Leichte Kost ist so ziemlich das letzte Prädikat, das auf die neue Apple TV+-Serie Five Days at Memorial zutrifft. Denn was die beiden Autoren John Ridley und Carlton Cuse hier an wahren Ereignissen zusammentragen, geht nicht nur sensiblen Zuschauern an die Nieren. Das sinnlose Sterben, der vergebliche Kampf des Krankenhauspersonals gegen Windmühlen und das völlige Fehlen von Koordination angesichts einer furchtbaren Katastrophe entlässt das Publikum weitgehend sprachlos. Dass Ridley und Cuse daraus in den abschließenden drei Folgen noch ein weiteres moralisches Dilemma aufzeigen, adelt die Serie zu einem der besten Dramen seit Jahren. Wer sich eine Serie zumuten will, die emotionale Schläge fast im Minutentakt austeilt, wird hier fündig. Und das Erlebnis so bald nicht vergessen. So sieht großes Fernsehen aus!

Five Days at Memorial startet am 12. August 2022 mit drei Folgen bei Apple TV+, weitere fünf Episoden jeweils freitags.

Five Days at memorial
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