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Filmkritik: Wir

Mit seinem Langfilm-Debüt räumte Comedian Jordan Peele richtig ab. Seine Horror-Satire „Get Out“ gewann den Oscar für das beste Drehbuch und war drei weitere Male nominiert. Keine Frage also, dass auf Peeles nächstem Projekt „Wir“ besonders viel Aufmerksamkeit ruhen würde. Hat der Regisseur und Autor dennoch einen weiteren innovativen Horrorfilm gedreht oder ist ihm unter der Last des Erfolgsdrucks die Kreativität verloren gegangen?

Das Doppelgänger-Motiv gehört zu den ältesten Ideen der Horror-Literatur. Schon 1815 nutzte E.T.A. Hoffmann sie in „Die Elixiere des Teufels“, auch Edgar Allan Poe griff sie in „William Wilson“ auf. Und schließlich findet sie sich leicht abgewandelt auch im Klassiker „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson. In der Stummfilmzeit war der Doppelgänger während des deutschen Expressionismus („Metropolis“) immer wieder ein Thema. Große Fußstapfen also, in denen Jordan Peele sich mit Wir bewegt. Kann er sich gegen die Riesen des Genres behaupten?

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Adelaide fährt nur ungern mit der Familie an die See, denn dort hatte sie als Kind ein traumatisches Erlebnis.

Wir: Die Handlung

Adelaide (Lupita Nyong’o) und Gabriel (Winston Duke) fahren mit ihren Kindern Zora (Shahadi Wright) und Jason (Evan Alex) in ein Strandhaus irgendwo im Großraum San Francisco, um sich mit Freunden zu treffen. Adelaide fährt mit gemischten Gefühlen dorthin, denn als Kind hatte sie dort ein schreckliches Erlebnis in einem Spiegelkabinett – ein Trauma, das sie bis jetzt nie ganz losgeworden ist. Doch der Tag am Strand mit Familie Tyler (u.a. Elizabeth Moss) verläuft harmonisch und entspannt, bis Jason kurzzeitig verschwunden scheint.

Nachts steht Jason dann plötzlich am Bett seiner Eltern und berichtet ihnen, dass eine fremde Familie in ihrer Einfahrt steht. Tatsächlich sind dort vier Leute zu sehen, zwei Erwachsene, zwei Kinder, in rote Overalls gehüllt. Sie lassen sich von Gabriels Drohungen nicht verscheuchen, sondern beginnen, die Familie zu attackieren. Offenbar schrecken die Neuankömmlinge auch vor Mord nicht zurück. Besonders schlimm daran ist die Tatsache, dass die vier Eindringlinge wie Spiegelbilder von Adelaide und ihrer Familie aussehen …

Wir: Viel gewollt

Schon mit Get Out bewies Peele, dass er, obwohl von der Comedy kommend, unheimliche Momente zu inszenieren weiß. Ob es der nachts durch den Garten rennende schwarze Gärtner war oder der Besucher, der aus der Nase blutet – Peele zeigte viel Talent für den richtigen Blickwinkel und das perfekte Tempo, um Unbehagen zu erzeugen. Allerdings war Get Out vor allem eine bitterböse Satire auf gängige Klischees und Sichtweisen von Schwarz und Weiß aufeinander, die den satten Einschlag schwarzen Humors daher sehr gut vertragen konnte.

Den Humor behält Peele auch in Wir bei, meist in Form des Ehemann Gabriel. Leider passt er zum ansonsten wenig satirischen Charme versprühenden zweiten Film überhaupt nicht. Stattdessen zerstört Peele damit häufiger die vorher toll aufgebaute Atmosphäre, die mit dem nötigen Ernst einfach besser funktioniert hätte. Denn die Doppelgänger, die ihre eigenen Originale töten und ersetzen wollen, gehört nicht von ungefähr zu den beliebtesten Horror-Themen und haben schon einige echte Klassiker hervorgebracht.

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Nachts stehen dann vier äußerst unheimliche Gestalten in der Hauseinfahrt.

 

Wir: Leider aufgelöst

Ob „Die Körperfresser kommen“ oder David Lynchs „Lost Highway“ – das Spiel mit der Identität ist eine feste Größe im Horror-Genre. Und wie Lynch gelingen Peele Szenen, die auch ohne Erklärungen ausgezeichnet funktionieren. Denn Peeles Kameramann Mike Gioulakis fängt den Terror nahezu perfekt ein, besonders Nyong’os Gesicht dient als Spiegel des Grauens zwischen zwei identisch aussehenden, aber nicht gleichen Figuren. Einen wichtigen Kniff David Lynchs hat sich Jordan Peele aber leider  nicht angeschaut – und darunter leidet Wir im Schlussakt deutlich.

Während der Altmeister in aller Regel auf eine Auflösung verzichtet und sich darauf verlässt, dass die erzeugten Emotionen beim Publikum ausreichen, um den Horror zu empfinden, versucht sich Peele an Erklärungen. Und die sind so dermaßen hohl, dass es den bis dorthin guten Gesamteinruck von Wir merklich verdirbt. Schon bei Get Out ist die Auflösung nicht das Highlight des Films, angesichts der eher intimen Story aber noch hinnehmbar. Was Peele dem Publikum aber in Wir als Erklärung des Geschehens verkaufen will, ist einfach unterirdisch.

Was umso schlimmer ist, weil seine Meta-Ebene der Gesellschaftskritik wie in seinem Erstling sitzt und unangenehme Wahrheiten durchblicken lässt. Das kann Peele sehr gut und beweist, dass er im Genre keine Eintagsfliege ist. Aber mit dem Druck, nach Get Out erneut ein Meisterstück aus hohem Gruselfaktor und moralischer Botschaft liefern zu müssen, konnte er offenbar nicht umgehen. Ein technisch nahezu perfekter Film, der sich aber inhaltlich übernimmt und sich damit selbst seiner mögliche Wirkung beraubt.

Fazit:

Zugegeben, Horrorfilme, die für ihr Geschehen gar keine Erklärung liefern, sind meist nicht das Gelbe vom Ei. Dennoch ist die Entscheidung, den Horror einfach wirken zu lassen, statt ihn mit seltsamen Auflösungen zu verwässern, manchmal richtig. Jordan Peele hatte die Einsicht bei Wir leider nicht. Und macht die bis dahin gelungene Story durch eine extrem unglaubwürdige und alberne Auflösung zunichte. Hätte er, wie beispielsweise David Lynch, einfach auf Erklärungen verzichtet, Wir wäre vielleicht ein moderner Klassiker geworden.

Wir startet am 21. März 2019 in den deutschen Kinos.

 

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Für Adelaide wird es eine absolute Horrornacht, die auch bei Licht kein Ende nimmt.