Tigermilch

Filmkritik: Tigermilch

Nini und Jameelah leben im Berliner Brennpunkt und sind mit ihren 14 Jahren schon mächtig erwachsen – und doch noch Kinder. Der Roman „Tigermilch“ bekam durchweg gute Kritiken, kann die Verfilmung des Stoffes da mithalten?

Es ist nicht leicht, einen guten Coming-of-Age-Film zu machen, wie die Amerikaner Pubertätsdramen – oder Komödien nennen. Zahlreiche peinliche Versuche ziehen sich durch die Filmgeschichte und stehen nur wenigen, wirklich gelungenen Filmen gegenüber. Denn allzu schnell entfernen sich Drehbuchautoren und Regisseure von der Realität der Protagonisten und erzählen Storys, die wenig glaubhaft sind. Gerade lief der launig-klamaukige “ Das Pubertier“ in den Kinos, der aber wenig mit dem echten Leben zu tun hatte. Wie schneidet dagegen Tigermilch ab?

Tigermilch
Noch Kinder oder schon Frauen? Auf dem Straßenstrich fällt das Urteil eindeutig aus.

Tigermilch: Die Handlung

Die 14-jährigen Mädchen Nini (Flora Li Thiemann) und Jameelah (Emily Kusche) sind beste Freundinnen und teilen so gut wie alles. Neben ihrer täglichen Dosis Tigermilch, einem Gebräu aus Maracujasaft, Milch und Weinbrand, nehmen die beiden auch Weisheiten zu sich. Genauer gesagt, Jameelah verteilt sie und Nini saugt sie auf. Auch für die Sommerferien hat Jameelah schon einen Plan festgelegt.  Die Mädchen werden zum ersten Mal Sex haben, mit süßen Typen natürlich. Denn Jameelah weiß, man muss üben, für später – fürs echte Leben. Damit einem keiner was kann. Denn das tun viele im Umfeld der beiden: Jameelahs Mutter ist alleinerziehend und stammt aus dem Irak, hat ständig Angst vor der Abschiebung. Und Ninis Familie besteht aus dem sozialen Bodensatz der Gesellschaft, lebt von Stütze und Kindergeld.

Nini und Jameelah halten sich für mächtig abgebrüht. Doch als die beiden Freundinnen ein Verbrechen aus nächster Nähe mit ansehen müssen, bekommen sie nochmal einen ganz anderen Eindruck von Realität. Und damit ist die Portion Dreck, den die beiden abbekommen, für diesen Sommer noch lange nicht gedeckt …

Tigermilch: Der richtige Ton

Dieser Film wandelt auf schmalem Grat. Nicht nur, dass man den beiden Darstellerinnen ihr Alter und die damit verbundenen Schwankungen zwischen Kind und Frau abnehmen muss. Auch das Milieu aus Armut, Angst und Wut, indem Nini und Jameelah aufwachsen, wird mit wenigen falschen Worten und mäßigen Schauspielern schnell zum schlechten Witz, statt wirklich zu berühren. Aber Regisseurin Ute Wieland umschifft fast alle Klippen der Peinlichkeit sehr sicher und schafft so tatsächlich einen Film, der unter die Haut geht. Das Prädikat „Besonders wertvoll“ geht hier völlig in Ordnung.

Emily Kusche als gleichzeitig rotzige und verschreckte Jameelah ist ebenso sehenswert wie Flora Li Thiemann als scheinbar willenlose Partnerin an Jameelahs Seite, die aber über erstaunlich gute Instinkte verfügt, wenn es um richtig und falsch geht. Und die Geschichte zeigt die beiden glaubwürdig als junge Frauen, die überraschend bitter ihre Unschuld verlieren. Und als Kinder, die sich noch mit Liebeszaubern und Magie beschäftigen und nackt durch den Park tanzen. Allein für diesen gelungenen Spagat lohnt sich schon der Kinobesuch.

Tigermilch
Zuhause zeigt sich ein anderes Bild: Bei Mama ist Jameelah noch „die Kleine“.

Zum Bersten gefüllt

Wie das Leben seiner Heldinnen ist auch der Film zum Bersten gefüllt mit Themen. Daran wären sicher viele andere Storys erstickt, und auch Tigermilch steht mehrfach am Rand der Unübersichtlichkeit. Die erste Liebe, glücklich und unglücklich. Spannungen zwischen verschiedenen Ausländergruppen. Die ständige Angst vor Abschiebung. Fehlende Aufmerksamkeit der Eltern – und vieles mehr. Aber auch hier gelingt es Wieland, die Fänden beieinander zu halten und alles fiebrig, hektisch und sehr emotional zu erzählen, was das Buch ihr vorgibt. Und so wirkt ihre Geschichte nie überladen, denn sie verzichtet auf jegliche Wertung des Geschehens. Und so brauchen die einzelnen Erzählstränge nur wenig Zeit, um zu funktionieren.

Wieland und ihre Crew sind nicht vollkommen, nicht jede Rolle ist perfekt besetzt und mancher Dialog holpert mehr als er läuft. Aber die Regisseurin schafft es, den wichtigsten Zaubertrick des Kinos sauber zu präsentieren – die Wahrhaftigkeit. Auch wenn man dem Film sicher manche Übertreibung oder falsche Aussagen unterstellen kann: Nini und Jameelah nehmen die Zuschauer bereits nach wenigen Minuten mit auf eine Reise, die man ihnen glaubt. Und deshalb ist dieser Film auch noch nicht zu Ende, wenn man das Kino verlässt. Viel mehr kann Kino nicht erreichen.

Fazit:

Ein Film wie seine Heldinnen: Wild, authentisch, witzig, traurig, überdreht und sensibel. Und somit ein Erlebnis, dass einen mitreißt und berührt, gerade weil Nini und Jameelah sich so dagegen wehren, zu viel Emotionen zuzulassen. Die tollen Schauspielerinnen, der derb-realistische Plot und das konsequente Ignorieren von Happy-End-Phantasien machen aus Tigermilch einen der besten deutschen Filme der vergangenen Zeit. Hier ist es egal, ob es die Wirklichkeit widerspiegelt, denn der Film fühlt sich genauso an, als würde er es tun.

Tigermilch startet am 17. August in den deutschen Kinos.

Tigermilch
Eine Freundschaft durch dick und dünn: Nini und Jameelah.