Der bald 84-jährige Ridley Scott ist eine Legende unter den Regisseuren. Bereits mit seinem zweiten („Alien“) und dritten Film („Blade Runner“) schrieb er Geschichte, um seitdem alle zehn bis 15 Jahre einen weiteren Meilenstein zu schaffen. Ob „Thelma und Louise“, „Black Rain“, „Gladiator“ oder „Der Marsianer“: Nach mäßigen Filmen wie seinen Alien-Prequels kehrt der Brite immer wieder mit Glanzlichtern zurück, die im Oscar-Rennen ein gewichtiges Wort mitsprechen. Das dürfte auch für „The Last Duel“ gelten, seinem ersten Film seit vier Jahren. Warum der trotz seines Settings im Mittelalter hochaktuell ist und was er mit Japans Regie-Legende Akira Kurosawa zu tun hat, verrät die Kritik.

Die Handlung
Frankreich im späten 14. Jahrhundert. Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon) ist einer der besten Kämpfer des Landes, gewinnt für seinen König so manche Schlacht. Weil Carrouges aber wenig von den höfischen Gebräuchen hält und daher bei Graf Pierre (Ben Affleck), seinem Lehnsherren, wenig beliebt ist, kann sein Freund Jacques Le Gris (Adam Driver) häufig Vorteile für sich herausschlagen, die meist auf Carrouges‘ Kosten gehen. So werden die beiden ehemaligen Kampfgefährten über die Jahre zu Feinden. Carrouges‘ Beschwerden über ungerechte Behandlungen verhallen bei Pierre ungehört und der wenig beachtete Ritter wird immer stärker von Wut beherrscht.
Als er schließlich mit Marguerite (Jodie Comer) die Tochter eines ehemaligen Verräters zur Frau nimmt, erweckt deren Schönheit erneut das Interesse von Le Gris. Während Carrouges in Paris weilt, um sich seinen verdienten Lohn für einen Feldzug der Krone abzuholen, dringt Le Gris mit einem Trick in Carrouges Burg ein und vergewaltigt Marguerite. Doch die junge Frau schweigt nicht und erzählt ihrem Gatten, was ihr in seiner Abwesenheit widerfahren ist. Außer sich vor Zorn klagt Carrouges Le Gris an und verlangt ein Gottesurteil: einen Kampf zwischen ihm und Le Gris auf Leben und Tod. Dabei nimmt der Ritter auch den Feuertod seiner Frau in Kauf, sollte er verlieren …
Aktuelle Themen in alter Zeit
1950 brachte Japans großer Regisseur Akira Kurosawa mit „Rashomon“ einen Film in die Kinos, der sich explizit mit verschiedenen Sichtweisen und unzuverlässigen Erzählern beschäftigte. Anhand eines Verbrechens und dessen Verhandlung vor Gericht ließ zeigte Kurosawa die gleiche Tat aus unterschiedlichen Perspektiven. Und setzte so langsam ein Bild zusammen, auf das sich der Zuschauer seinen Reim machen sollte. Kurosawas Diskurs darüber, was Wahrheit tatsächlich ist und wie schwer es ist, sie zu finden, hat offenbar auch Ridley Scott und sein Drehbuch-Team aus Matt Damon, Ben Affleck und Nicole Holofcener inspiriert, denn auch The Last Duel erzählt die gleiche Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven. Im Gegensatz zu Kurosawa positioniert sich Scott allerdings deutlich, wessen Version die richtige ist.
Und so entwickelt der Brite aus der historischen Tatsache, dass sich die beiden Ritter 1396 im letzten Gottesurteil Frankreichs gegenüberstanden, einen deutlichen Kommentar zu aktuellen Diskussionen über das Verhalten von Männern gegenüber Frauen. Auch wenn so manche geschichtliche Tatsache dem Zuschauer sauer aufstoßen dürfte, so war die Vergewaltigung kein Verbrechen gegen die Frau, sondern eine Art Sachbeschädigung gegenüber ihrem Ehemann, zeigt der Film doch auch klar in unsere Gegenwart mit den Harvey Weinsteins und Jeffrey Epsteins dieser Welt. Dazu spielt Scott virtuos mit dem Begriff Wahrheit. Und zeigt mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der drei Blickwinkel das ganze Ausmaß einer zutiefst frauenfeindlichen Welt des 14. Jahrhunderts.

Welche Erzählung ist die Wahrheit?
So unterscheidet sich die Schlüsselszene des Films, die in Le Gris‘ und in Marguerites Geschichte vorkommt, in den beiden Versionen überhaupt nicht. Und das Publikum sieht zweimal eine Vergewaltigung. Obwohl nur eine Figur das auch so wahrnimmt – Le Gris ist sich keiner Schuld bewusst. Das Bild, das der Zuschauer von Jean de Carrouges erhält, wenn der Film aus seiner Sicht beginnt, erhält bereits in der zweiten Story leichte Risse, die sich mit der Erzählung aus der Perspektive seiner Frau noch vertiefen. Wenn Jacques Le Gris‘ Geschichte beginnt, ist das Publikum bereits durch die Erzählung seines Vorgängers voreingenommen und zieht das Gesehene daher stärker in Zweifel als in Story eins. Ridley Scott wollte hier offenbar kein Risiko eingehen und bezeichnet Marguerites Version der Ereignisse daher auch simpel als „die Wahrheit“.
Das ist vielleicht eine der wenigen Schwächen des Films. Denn hätte sich Scott getraut, auch die letzte der drei Version unter Vorbehalt zu zeigen und sie dementsprechend ambivalent einzuschätzen, die Verunsicherung des Publikums, was nun stimmt und was nicht, wäre sicherlich noch stärker gewesen. Dieses Aspekt verschenkt Scott zugunsten der klaren #metoo-Statements von The Last Duel. Und das ist nun wirklich keine schlechte Sache.
Auch optisch eine Wucht

Es wäre aber unfair, den Film nur auf seine starke Aussage zu beschränken. Wie fast immer in Scotts Filmen sind auch die handwerklichen Aspekte wichtig. So kann Scott als Meister des Lichts einmal mehr die Tageszeit einer Szene nur durch die Beleuchtung zeigen. Dazu findet Kameramann Dariusz Wolski starke Bilder für das düstere Mittelalter. Und dass Scott Schlachten und Kämpfe brillant inszenieren kann, weiß jeder, der Gladiator oder „Königreich der Himmel“ gesehen hat. Das nur wenige Minuten dauernde Duell tut schon beim Zusehen weh. Zudem hat Scott mit Matt Damon, Adam Driver, Ben Affleck und vor allem Jodie Comer eine exzellente Besetzung, die den Rollen Leben verleihen und den Zuschauer gerade dann besonders faszinieren, wenn sie ihre dunklen Seiten offenbaren.
Fazit:
The Last Duel ist starkes, erzählendes Kino, dass auf jeder Ebene überzeugt. Die Schauspieler sind erstklassig, die Bilder des Films beeindruckend und die Story, aufgeteilt in drei Perspektiven, packend und emotional erzählt. Das Drehbuch, das aktuelle Themen in ein historisches Gewand kleidet, die zweite Zusammenarbeit von Damon und Affleck als Autoren, überzeugt ebenfalls. Lediglich über die Laufzeit von 150 Minuten lässt sich diskutieren. Mit 15 Minuten weniger wäre der Film sicher nicht schlechter gewesen. Zudem lässt The Last Duel in seinen Perspektiv-Wechseln die Ambivalenz des großen Vorbilds Rashomon etwas vermissen, weil die nicht zur gewünschten Aussage passt. Das lässt sich angesichts der großen Qualität von Scotts neuestem Werk aber gut verschmerzen.
