Book of Henry

Filmkritik: The Book of Henry

Was tut ein junges Genie, wenn er ein großes Unrecht aus nächster Nähe beobachtet? Eine ganze Menge! „Jurassic Word“-Regisseur Colin Trevorrow erzählt in „The Book of Henry“ die Geschichte vom hochintelligenten Henry mit zwei angesagten Kinderstars und einer erfahrenen Schauspielerin. Kann sich das Drama sehen lassen?

Böse Zungen behaupten, der in den USA gefloppte The Book of Henry sei Schuld daran, dass Colin Trevorrow die Regie von Star Wars IX abgeben musste. Belastbare Aussagen dazu gibt es natürlich nicht, aber der Film kam tatsächlich weder bei Publikum noch bei Kritikern gut an. Haben beide Gruppen Recht?

The Book of Henry
Wird die junge Christina tatsächlich von ihrem Stiefvater missbraucht? Susan merkt nichts davon.

The Book of Henry: Die Handlung

Der elfjährige Henry Carpenter (Jaeden Lieberher, „ES„) ist ein echter Überflieger. Während sein jüngerer Bruder Peter (Jacob Trembley, Oscar-Nominierung für „Room“) ein ganz normales Kind ist, kann die alleinerziehende Mutter Susan (Naomi Watts, „Gypsy„) ihrem Älteren schon lange nicht mehr das Wasser reichen. Henry verdient mit Aktienhandel nicht nur das Geld für die Familie, er löst auch so gut wie alle Probleme seiner Familie, der Mitschüler und der Nachbarschaft. Nur gegen das furchtbare Schicksal seiner Mitschülerin Christina, die im Nachbarhaus lebt, findet er kein Mittel. Deren Stiefvater Glenn (Dean Norris, „Breaking Bad“) missbraucht das Mädchen regelmäßig, ist aber als Sheriff der Stadt fast unangreifbar. Und weder die Schulrektorin noch das Jugendamt wollen eingreifen, da Beweise fehlen. Henry muss sich also etwas Anderes überlegen. Und seine Lösung fällt recht radikal aus …

The Book of Henry: Schlechtes Timing

Gute Schauspieler, eine ergreifende, emotionale Story und lebendige Figuren – was kann da denn schief gehen? Leider eine ganze Menge. Trevorrow und sein Drehbuchschreiber Greg Hurwitz legen den emotionalen Höhepunkt in die Mitte des Films statt ans Ende, damit fängt das Dilemma an. Alles, was danach folgt, fasst das Publikum längst nicht mehr so stark an wie dieser Moment, sodass das Interesse der Zuschauer an der weiteren Handlung merklich abebbt. Den dramaturgischen Kniff, eine wichtige Figur aus der Handlung zu nehmen, haben  in mehr als 100 Jahren Film nur wenige Werke überzeugend hinbekommen – und The Book of Henry gehört nicht dazu.

Dazu kommt, dass dem Zuschauer auch immer mehr unglaubwürdige Plot-Twists zugemutet werden, je länger der Film läuft. So scheint Henry im späteren Verlauf nicht nur in die Zukunft sehen, sondern auch Gedanken lesen zu können. Das wirkt angesichts der glaubhaften ersten Hälfte häufig leider albern statt packend. Die moralischen Fragen, die der Film aufwirft, werden ebenfalls nicht sonderlich glaubwürdig oder nachvollziehbar erzählt und lassen den Zuschauer zunehmend kalt. The Book of Henry hat das Problem, eine Geschichte erzählen zu wollen, die als Film einfach nicht funktioniert.

The Book of Henry
Henry ist ein unglaublich kluger Junge – verfügt aber trotzdem erst über die Lebenserfahrung von elf Jahren. Das bringt Probleme mit sich.

The Book of Henry: Gutes Schauspiel

Schade eigentlich, denn die Schauspieler erledigen ihre Aufgabe in den meisten Fällen sehr gut. Für die Freundschaft zwischen Henry und Peter findet Hurwitz glaubhafte und anrührende Szenen, auch Mutter Susan schreibt er ein paar starke Momente auf den Leid, die Naomi Watts dankend annimmt. Was Trevorrow und Hurwitz aber überhaupt nicht gelingt, ist eine emotional Bindung zum Opfer Christina aufzubauen, weil sie derart wenig zeigen und vieles nur andeuten, dass die Botschaft zwar den Kopf, aber nicht den Bauch erreicht. Und auch der Twist, der die Story letztlich auflöst, ist zwar gut zu verstehen, aber nicht wirklich nachzuempfinden.

Mit The Book of Henry zeigt sich wieder einmal, wie wichtig ein Autor ist, der eine gute Idee sauber ins Ziel bringt. Hurwitz scheitert an vielen kleinen und ein paar großen Baustellen und Trevorrow muss sich den Vorwurf machen lassen, diese Schwächen nicht bemerkt zu haben. So erzeugt der Film sehr viel weniger Emotionen, als das Thema gebraucht hätte. Und lässt den Zuschauer in der Rolle des Beobachters, statt ihn zum Verbündeten zu machen.

Fazit:

Regisseur Colin Trevorrow verschenkt gute Schauspieler in einem Plot, der ab der Mitte zerfasert und auseinanderfällt, da ihm das emotionale Zentrum abhanden kommt. So funktioniert The Book of Henry weder als Coming-of-Age-Film noch als Kindesmissbrauchs-Drama vernünftig, da er beide Erzählstränge nie wirklich in Einklang bringt. Und auch die Botschaften, die der Film vermittelt, wirken deutlich zu undifferenziert und simpel für seinen Anspruch. Zudem gehört der emotionale Höhepunkt eines Films ans Ende und nicht in die Mitte. Das war nix, Herr Trevorrow!

The Book of Henry läuft ab dem 21. September in den deutschen Kinos.

The Book of Henry
Kann Susan Christina gegen deren Stiefvater Glenn verteidigen?