Schloss aus Glas

Filmkritik: Schloss aus Glas

Jeannette Walls hatte eine außergewöhnliche Kindheit: Zwischen einem liebevollen, aber alkoholkranken Vater und einer künstlerisch inspirierten Mutter ohne Verantwortungsgefühl verbrachten Jeannette und ihre drei Geschwister eine Zeit mit viel Liebe, aber auch Angst, ständigem Umziehen und bitterer Armut. Walls schrieb darüber ein Buch, dessen Verfilmung „Schloss aus Glas“ jetzt auch in die deutschen Kinos kommt und mit großen Hollywood-Stars aufwarten kann.

Spätestens 2019, wenn sich Brie Larson („Free Fire„) als „Captain Marvel“ ins gleichnamige Superhelden-Universum stürzen wird, dürfte sie auch einem großen Publikum ein Begriff werden, Cineasten kennen sie ohnehin schon. Denn die zierliche Blondine holte sich 2016 den Oscar für ihre Darstellung in „Room“. Für Schloss aus Glas könnte zumindest wieder eine Nominierung folgen, denn der Film bietet hohe Schauspielkunst – nicht nur von Larson.

Schloss aus Glas
Ein neues Heim für die Familie Walls – mal wieder. Die vier Kinder von Rex und Rose Mary sind diese Umzüge schon gewohnt.

Schloss aus Glas: Die Handlung

Die Familie Walls ist sehr speziell. Vater Rex (Woody Harrelson) ist ein hochintelligenter Säufer, der keinen Job lange behält und mit seiner Familie ständig auf der Flucht vor den Behörden ist, von denen er sich verfolgt glaubt. Mutter Rose Mary (Naomi Watts) hält sich für eine begnadete Malerin und kümmert sich lieber um ihr neuestes Werk statt um ihre vier Kinder. Und so müssen Lori, Jeannette, Brian und Maureen nicht nur dauernd umziehen, sondern haben häufig weder ein Dach über dem Kopf noch etwas zu essen. Und doch verspricht ihnen Rex, eines Tages würden sie in einem selbstgebauten Schloss aus Glas wohnen …

Das erzählt der Film in drei Zeitebenen. In der ersten ist Jeannette sieben Jahre alt und himmelt ihren Vater an. Die zweite zeigt die zehnjährige Jeannette, die erste Zweifel hat, ob das Leben an der Seite ihrer Eltern irgendwohin führt. In der dritten ist Jeannette erwachsen und hat sich so weit wie möglich von ihren Eltern entfernt. Und doch gelingt es ihr nicht, sie aus ihrem Leben herauszuhalten, denn die tauchen plötzlich in New York auf – mit unangenehmen Nachrichten …

Schloss aus Glas: Schauspielerkino

Der Film ist eines dieser Projekte, nachdem sich Schauspieler vermutlich alle zehn Finger lecken. Denn unter der Regie des international eher unbekannten Destin Daniel Cretton müssen sie ihr Innerstes nach außen kehren und dürfen die ganz große Gefühls-Klaviatur nutzen, um diese Story zu erzählen. Das tun drei Schauspieler ganz besonders eindrucksvoll. Brie Larson verkörpert die zugleich wütende und tief verletzte Jeannette mit packender Intensität und lässt den Zuschauer spüren, was sie fühlt. Woody Harrelson spielt sich als Vater Rex ebenfalls die Seele aus dem Leib. Die ständige Spannung in ihm, seinen Lieben gerecht zu werden und die Unfähigkeit, seine eigenen, hochgesteckten Ziele zu erreichen, die in immer neuen Alkoholexzessen münden, bringt Harrelson sicher auf die Leinwand. Und schafft es dennoch, ein tragischer Held zu bleiben, dem man nie lange böse sein kann.

Die vielleicht größte Überraschung ist aber die junge Ella Henderson, die die zehnjährige Jeannette spielt. Ihr langsames Erkennen, in was für einer Falle sie sitzt und die daraus folgenden Konsequenzen gehören zu den Szenen des Films, die nachhallen und nicht so leicht aus dem Kopf zu bekommen sind. So ist eine Szene im Freibad, in der Rex seine Tochter immer wieder im Wasser von sich stößt, damit sie schwimmen lernt und ihre Angst besiegt, emotional schon harter Tobak.

Zwar machen auch die anderen Darsteller ihre Arbeit gut, bekommen aber deutlich weniger Platz, je mehr sich der Film auf das Duell zwischen der stärker werdenden Jeannette und ihrem schwächer werdenden Vater fokussiert. Selten wurde im Kino ein Kampf um die eigene Freiheit und die Versöhnung mit der Vergangenheit so eindringlich gezeigt wie hier.

Schloss aus Glas
Auch als Erwachsene haben die Walls-Kinder noch mit den Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen.

Schloss aus Glas: Unsichere Regie

So sehr man Regisseur Cretton dafür loben muss, dass er so viel aus seinen Schauspielern herausholt, so sehr muss man ihn dafür kritisieren, dass er ihren Leistungen nicht vertraut. Denn in einigen Szenen weiß Cretton schlicht nicht, wann es genug ist und überzieht die Dramatik ein kleines Stück. Damit schafft er zwar im ersten Moment noch mehr Intensität, auf Dauer nutzt sich dieses Stilmittel aber ab. Und nimmt so der starken Geschichte einen Teil ihrer Wucht.

Besonders deutlich wird das am Ende des Films, wenn er Szenen der echten Walls-Familie zeigt, die den Zuschauer nicht nur aus dem eben gesehenen Zauber reißen, sondern für eine Art Fremdschäm-Atmosphäre sorgen. Das ist auch deshalb schade, weil Cretton in manchen Szenen genau das richtige Maß findet. Wäre ihm das durchgehend gelungen, auch an ihm wäre die Academy sicher nicht vorbeigekommen. So dürfen sich Larson und Harrelson Hoffnung auf die beste weibliche Hauptrolle und die beste männliche Nebenrolle machen – und das verdient. 

Fazit:

Schloss aus Glas ist ein packendes Familiendrama mit herausragenden schauspielerischen Leistungen und einer nicht immer sicheren Regie. Doch trotz kleinerer Schwächen überzeugt die Romanverfilmung mit emotionalem Tiefgang und glaubwürdigen Figuren. Was angesichts der fast unglaublichen, aber wahren Geschichte auch bitter nötig ist.

Schloss aus Glas läuft ab dem 21. September in den deutschen Kinos.

Schloss aus Glas
Der Kern der Geschichte: Die komplexe Beziehung zwischen Jeannette und ihrem Vater Rex durch die Jahrzehnte.