Der britische Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh begann seine Karriere 1989 mit der Verfilmung von William Shakespeares „Henry V.“ und blieb in seinen ersten Jahren dem unsterblichen Barden treu. Nun nimmt sich Branagh einen fast genauso großen Klassiker seiner britischen Heimat vor: Agatha Christie, die Grand Dame der Krimiliteratur und ihren „Mord im Orient Express“.
Natürlich ließ es sich der mitunter als eitel verschriene Branagh es sich nicht nehmen, neben dem Regiestuhl auch noch den der Hauptfigur zu besetzen, der bald 57-jährige spielt den belgischen Meisterdetektiv Hercule Poirot in einem seiner spektakulärsten Fälle. Kann der in Nordirland geborene Brite nach zuletzt eher durchwachsenen Filmen wieder an alte Erfolge anknüpfen?
Mord im Orient Express: Die Handlung
Durch Zufall gerät Detektiv Hercule Poirot in den Orient Express, da er in einer dringenden Angelegenheit von Istanbul nach London muss. Schon früh ist Poirot erstaunt über die illustre Gästeschar, die sich in den Wagen der ersten Klasse tummelt, denkt sich aber zunächst nichts Böses dabei. Erst als der aalglatte Geschäftsmann Ratchet (Johnny Depp) eines Morgens tot aufgefunden wird, mit zwölf Messerstichen ermordet, erwacht in Poirot das Jagdfieber. Durch eine Lawine aufgehalten, muss Poirot mitten im Nirgendwo, ohne Aussicht auf Informationen von außerhalb des Zuges, den Fall lösen. In den sind unter anderem eine reichte Witwe (Michelle Pfeiffer), eine junge Gouvernante (Daisy Ridley), ein Butler (Derek Jacobi) und ein Arzt (Willem Dafoe) verwickelt – oder doch nicht?
Klassisch in jeder Hinsicht
Wer entweder den Roman gelesen oder die berühmte Verfilmung von 1974 gesehen hat, muss sich nicht auf Überraschungen gefasst machen. Mit minimalen Änderungen erzählt Branagh exakt die gleiche Geschichte und ändert nichts an der Idee. Für Kenner des Stoffes ist der Krimiplot also eher uninteressant. Sehenswert ist der Film aber auch für die, denn Branagh entzündet ein zeitloses Feuerwerk des klassischen Erzählkinos. Dabei kann er sich auf drei Säulen verlassen.
Am offensichtlichsten wird das bei der Ausstattung. Die Sets und Kostüme sind so detailverliebt und mit so viel Herzblut geschaffen, dass die 30er vom ersten Moment an lebendig werden. Eine Oscar-Nominierung sollte hier niemanden erstaunen. Dazu liefert Branaghs langjähriger Kameramann Haris Zambarloukos wunderschöne Bilder ab, die mit interessanten Blickwinkeln und edlen, langsamen Kamerafahrten bezaubern.
Und schließlich ist auch Branaghs Starensemble, das im Vergleich zur Version von 1974 locker mithalten kann, in bester Spiellaune und lässt seinen Regisseur nicht hängen. Vor allem Michelle Pfeiffer beeindruckt als burschikose Mrs. Hubbard. Und der Meister selbst gibt den selbstverliebten, arroganten, aber eben auch brillant denkenden Hercule Poirot ebenfalls derart launig, dass er für manche Lacher sorgt. Dass er dennoch gegen die Version von 1974 verliert, liegt an anderen Dingen.
Drehbuch mit Schwächen
Zwar ist Michael Green momentan einer der angesagtesten Drehbuchschreiber Hollywoods, aber leider auch einer mit sehr wechselhafter Qualität. 2017 lieferte er das Sript zu gleich drei Filmen. Während „Logan“ und „Blade Runner 2049“ durchaus gut gerieten, war „Alien: Covenant“ ein Schlag ins Wasser. Ganz so schlimm wie der hoffentlich letzte Alienfilm ist Mord im Orient Express zwar nicht. Aber mit der alten Version hält Green dennoch nicht mit. Viel zu früh streut er Hinweise auf den Täter in die Dialoge, sodass den Neulingen des Stoffes bald klar wird, wie der Hase hier läuft, oder besser, mordet.
Der alte Film deckte seine Karten erst im grandiosen Finale, dem Monolog des großen Detektivs, auf und trifft dann völlig unvermutet auf den Punkt. Green verschenkt diese Möglichkeit durch sein Vorgreifen. Dafür stellt er aber den Konflikt des Detektivs stärker in den Vordergrund, der sich zwischen verschiedenen Möglichkeiten, den Fall abzuschließen, entscheiden muss. Und dem diese Gewissensfrage sichtlich zu schaffen macht. In Sachen Spannung kann es Branaghs Neuauflage nicht mit dem Original aufnehmen. Dafür geht seine Version eventuell mehr zu Herzen als die alte.
Fazit:
Mit Mord im Orient Express findet der Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh nach zuletzt mäßigen Filmen zurück zu alter Form. Klassiker sind deutlich sichtbar einfach sein Ding. Zwar ist die erste große Verfilmung des Stoffes von 1974 einen Hauch spannender als die Neuinterpretation, dafür begeistert der Brite sein Publikum durch exquisite Ausstattung, eine wunderbare Kamera-Arbeit und tolle Schauspielstars, die sich gegenseitig Luft zum Atmen lassen. Auch 2017 lässt sich also noch zeitloses Kino erschaffen.
Mord im Orient Express startet am 9. November in den deutschen Kinos.