Fractured

Filmkritik: Fractured

Horror ohne Monster, so ließe sich das Genre des Thrillers vielleicht umschreiben – einst ein hoch angesehener Zweig des Spannungskinos, der in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung verlor. Nun präsentiert Netflix mit „Fractured“ einen klassischen Vertreter des Genres, das sich auch durch das Werk von Alfred Hitchcock zu voller Größe entwickelte. Und oft den Einzelnen im Kampf gegen das System zeigt. Kann der neueste Netflix-Thriller die Fans von spannenden Thrillern überzeugen?

Ob „Der unsichtbare Dritte“ oder „Der Mann, der zuviel wusste“: Alfred Hitchcock gelangen in seiner goldenen Ära einige der stärksten Thriller, die das Kino bis heute zu bieten hat. Wird der Protagonist wahnsinnig? Oder gibt es wirklich eine Verschwörung, deren Opfer er wurde? Bei Hitchcock stand diese Frage oft im Zentrum seiner Filme. Regisseur Brad Anderson („The Machinist“) wandelt nun mit Fractured auf den Spuren des Meisters – und einiger gelungener Nachahmer wie „Flight Plan“ oder „Breakdown“. Klappt das?

Fractured
Der entscheidende Moment: Ein Hund macht Peri Angst und sie fällt, bevor Ray sich erreichen kann.

Fractured: Die Handlung

Familie Monroe ist auf dem Heimweg vom Thanksgiving-Essen bei den Verwandten, als Tochter Peri (Lucy Capri) auf die Toilette muss. Vater Ray (Sam Worthington), gerade im Streit mit seiner Frau Joanne (Lily Rabe), hält an einer einsamen Tankstelle an. Durch einen dummen Zufall stürzt das Kind bei diesem Aufenthalt in eine Baugrube, genau wie Ray, der noch versucht, sie festzuhalten. Weil Peri nach dem Fall über Schmerzen im Arm klagt, fährt Ray seine Familie zu einem nahe gelegenen Krankenhaus.

Dort behandelt ein freundlicher Arzt seine Tochter. Zur Sicherheit ordnet der ein CT an und Joanne begleitet Peri dorthin, während Ray wieder im Wartezimmer Platz nimmt. Und dort einnickt. Als er wach wird, hat er Stunden verschlafen – und seine Familie ist noch immer nicht zurück. Bald wird klar: Es gibt keine Spuren von Joanne oder Peri, das Krankenhaus behauptet, die beiden seien nie dort gewesen. Für Ray beginnt ein Alptraum, denn schnell steht die Behauptung im Raum, er habe sich aufgrund seiner Kopfverletzung das alles nur eingebildet …

Fractured: Eisiger Thriller

Die Kälte, die im verschneiten Minnesota herrscht, überträgt Anderson gekonnt auf den Film. Wo auch immer Ray um Hilfe bittet, seine Mitmenschen reagieren bestenfalls kühl, oft schroff. Und so hält das gute Drehbuch von Alan B. McElroy („Wrong Turn“-Reihe) lange die Balance zwischen den beiden Möglichkeiten, die der Film bietet. Entweder ist Ray tatsächlich aufgrund seines Unfalls verwirrt und hat seine Frau und seine Tochter nie ins Krankenhaus gebracht. Oder es gibt eine fiese Verschwörung einiger Ärzte und Schwestern dort.

Während andere Vertreter dieser Idee, wie der bereits erwähnte Flight Plan, relativ schnell eine Antwort auf diese Frage geben und danach auf einen spannenden Showdown hinarbeiten, halten Anderson und McElroy dieses zentrale Thema des Films bis ganz zum Schluss offen. Und erzeugen so tatsächlich einen Film mit beträchtlichem Sog, der immer wieder glaubwürdige Haken schlägt und den Zuschauer mal ins eine und mal ins andere Lager kippen lässt.

Fractured
Ein netter Arzt kümmert sich im Krankenhaus um Peri, doch plötzlich sind Joanne und Peri verschwunden, als seien sie nie dort gewesen.

Fractured: Sehenswerter Worthington

Nachdem der australische Schauspieler Sam Worthington mit „Avatar“ seinen großen Durchbruch hatte, war seine Rollenwahl eher mittelmäßig gut. Er spielte im vielleicht schwächsten „Terminator“ mit und war zuletzt oft in Produktionen zu sehen, die gar nicht erst ins Kino kamen, wie „Titan – Evolve or Die“. Dass er dennoch ein guter Schauspieler ist, darf er in Fractured wieder unter Bewies stellen. Denn seine Performance des verzweifelten Ehemanns, der die Zuschauer dennoch mit einem Rest Zweifel ausstattet, ist absolut sehenswert.

Sein Leid, seine Ohnmacht angesichts der fehlenden Beweise, aber auch seine eigenen, immer stärker wachsenden Zweifel an der Geschichte, die er erlebt hat, spiegelt sich sichtbar und ergreifend in seinem Gesicht wieder. Dass er den Zuschauer trotzdem nie ganz auf seine Seite zieht, ist neben dem guten Script auch Worthingtons nuanciertem Spiel zu verdanken. Für den Rest des Casts bleibt daher allerdings auch weit weniger Zeit sich auszuzeichnen. Fractured ist ganz klar eine One-Man-Show.

Angesichts von Debakeln wie „Der Schneemann“ ist der klassische Thriller inzwischen fast zur aussterbenden Gattung im Kino geworden. Und weicht meist in TV-Produktionen aus. Fractured beweist aber eindrucksvoll, dass in diesem Genre noch immer eine Menge Leben steckt, selbst wenn der Film lediglich eine Variation des oft genutzten Themas bietet. Denn Anderson nutzt seine 100 Minuten Laufzeit für einen cleveren, seine Trümpfe perfekt ausspielenden und kalten Thriller, dessen Ende sicher nicht jeder vorhersehen kann.

Fazit:

Mit Fractured beweist Netflix, dass nicht alle Eigenproduktionen Rohrkrepierer sind. Der mit vergleichsweise überschaubarem Budget gedrehte Thriller erfindet die klassische Geschichte vom Helden, der gegen eine scheinbar übermächtige Verchwörung kämpft, zwar nicht neu, varriert sie aber zu einem klugen und vor allem durchgehend spannenden Thriller, der den Zuschauer zum Miträtseln animiert und die Ungewissheit bis zur letzten Minute halten kann. Überaus solides Spannungskino mit einem starken Sam Worthington.

Fractured startet am 11. Oktober 2019 bei Netflix.

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Fractured
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