Das Privileg

Filmkritik: Das Privileg – die Auserwählten

Horror aus Deutschland! Als das zuletzt ein Markenzeichen für Qualität war, gab es in Deutschland gerade die Weimarer Republik. Seit beinahe 100 Jahren zählen die deutschen Filmemacher nicht mehr zu den wichtigen Köpfen, wenn es um eines der ältesten Genres geht, das Kino hervorgebracht hat. Umso lobenswerter ist jeder Versuch, wieder einmal einen Horrorfilm in Deutschland zu drehen und zu versuchen, das Genre wiederzubeleben. Gerade Netflix hat in den vergangenen Jahren viel für das Ansehen von Horror, Sci-Fi- oder Fantasy-Themen aus Deutschland in der Welt getan, denn „Dark“ hat viele Zuschauer weltweit beeindruckt. Doch dann kam ein Rohrkrepierer: „Freaks – du bist eine von uns„. Wo reiht sich „Das Privileg – die Auserwählten ein? Top oder Flop?

Max Schimmelpfennig
Trotz seiner psychischen Probleme geht Finn gern zur Schule. Schließlich trifft er da Samira.

Die Handlung

Als Kind muss Finn mit ansehen, wie seine große Schwester Anna an der nahe gelegenen Talsperre in den Tod stürzt, nachdem sie vorher eine Art Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Inzwischen ist Finn (Max Schimmelpfennig) 18, aber immer noch in Behandlung bei einer Psychologin (Nadeshda Brennecke), die ihm Tabletten aus eigener Forschung verschreibt, um seine Alpträume und sein Schlafwandeln unter Kontrolle zu halten. Denn abgesehen von seinen psychischen Problemen ist Finn ein ganz normaler Teenager. Von fern himmelt er Samira (Tijan Marei) auf seiner Schule an, seine beste Freundin ist die lesbische Punkerin Lena (Lea von Acken) und mit seiner Zwillingsschwester Sophie (Milena Tscharnke) hat er ein gutes Verhältnis.

Doch eines Abends ändert sich alles. Nur eine Nacht nach einer wilden Party,  bei der Finn auch Drogen geschluckt hat, sieht er seine Eltern und Sophie, die mit einer alten Frau im Wohnzimmer der Villa ein seltsames Ritual abhalten. Doch bevor er eingreifen kann, schlägt etwas ihn nieder. Als er erwacht, scheint alles in bester Ordnung zu sein und seine Eltern führen seine Beobachtungen auf die Drogen in seinem Körper zurück. Doch Finns Misstrauen wächst. Hat seine Familie ein Geheimnis, von dem er nichts weiß? Warum hat sich Sophie nach dieser Nacht so stark verändert? Und welchen Einfluss hat das Pharma-Unternehmen, bei dem sein Vater arbeitet, auf die ganze Gemeinde? Je mehr Finn und Lena herausfinden, desto mehr packt sie die blanke Angst …

Viel Handlung, wenig Sinn

Das Privileg – die Auserwählten will vieles sein: Teenie-Horror zum Beispiel, denn die Darsteller spielen fast alle noch Schüler. Außerdem soll es um eine böse Macht gehen, ob die nun wissenschaftliche, oder okkulte Gründe hat. Und schließlich darf auch noch ein wenig Story sich mit der Frage nach der eigenen Herkunft und den tatsächlichen Gefühlen der eigenen Familie gegenüber befassen. Klingt nach ganz schön viel Inhalt – und das ist auch eines der Probleme des Films vom Regie-Duo Katharina Schöde und Felix Fuchssteiner. Hier ist deutlich zu viel Story für einen Film enthalten, und die einzelnen Aspekte vertragen sich untereinander auch nicht sonderlich gut. Das führt zu klassischen Szenen, in denen die Figuren sich auf eine bestimmte Art verhalten müssen, damit die ganze Story nicht über ihnen zusammenstürzt. Selbst wenn diese Handlung überhaupt nicht einleuchtend ist.

Spätestens, wenn sich der Zuschauer zum dritten Mal fragt, warum eine Figur jetzt nicht nachfragt oder sich mit einem Halbsatz abspeisen lässt, dann merkt er: diese Story funktioniert nicht sonderlich gut. Das wirkt sich ganz besonders negativ auf die Spannung aus. Denn nach dem durchaus gut gemachten Auftakt, wenn man von den mäßigen Special-Effects einmal absieht, passiert über gefühlte 45 Minuten eigentlich gar nichts mehr. Das Script hört nicht auf, mögliche Horrorszenarien einzuführen und verschiedene Richtungen weiterzuentwickeln, statt sich um eine Storyline vernünftig zu kümmern. Und so weiß der Zuschauer auch nach einer Stunde noch nicht so recht, wohin das Ganze nun führen soll. Das wäre nicht schlimm, wäre dieses Verwirrspiel wenigstens aufregend.

Horst Janson
Finn hängt sehr an seinem Großvater, dem eine schwierige OP bevorsteht.

Horror braucht Spannung

Leider holen Fuchssteiner und Schöde aus der großen Auswahl an möglichen Schrecken nur ein Minimum heraus. Kaum eine Szene nach dem Beginn baut noch Spannung auf, meist verläuft sich eine Andeutung von Thrill nach ein paar mäßigen Dialogen im Sande. Und wenn dann endlich eine Aufklärung kommt, ist die den meisten Zuschauern bis dahin vermutlich egal. Denn auch der wenig originelle Schluss rettet diesen Fehlversuch von einem Horrorfilm nicht mehr. Dazu erinnert Das Privileg zu sehr an ein Puzzle, bei dem die Teile von verschiedenen Motiven stammen. Was die Regisseure und Schauspieler auch versuchen, daraus lässt sich kein stimmiges Bild zusammensetzen.

Dazu kommen einzelne Schauspieler-Leistungen, die ebenfalls wenig überzeugend ausfallen und angesichts des Genres schlicht nicht passen. Neben Hauptdarsteller Max Schimmelpfennig überzeugt Lea van Acken als toughe Punkerin noch am ehesten, einige andere wirken seltsam steif und abwesend, selbst wenn das die Story gar nicht vorschreibt. Und schließlich runden die Effekte, die nicht an internationalen Standard heranreichen, das maue Gesamtbild ab. Ob das ganze Projekt nun zu viel gewollt hat oder ob Das Privileg auch mit weniger Storyfinten mäßig ausgefallen wäre, lässt sich nur vermuten. So ist es jedenfalls kein Aushängeschild für deutsches Genre-Kino.

Milena Tscharntke
Finns Zwillingsschwester Sophie wirkt nach einem nächtlichen Erlebnis nicht mehr wie sie selbst.

Dennoch ist es erfreulich, dass sich deutsche Produzenten und Regisseure überhaupt an solche Stoffe heranwagen, auch wenn diesmal das Ergebnis (noch) nicht überzeugen kann. Wenn beim nächsten mal ein besseres Drehbuch vorliegt, kann es ja mit ordentlichem Horror aus Deutschland doch noch was werden. Und die Verpflichtung des inzwischen 86-jährigen Schauspieler-Urgesteins Horst Janson darf man den Machern auch hoch anrechnen.

Fazit:

Leider kann Das Privileg – die Auserwählten das selbst gesteckte Ziel eines spannenden Horrorfilms kaum je einmal einlösen. Zu langweilig und mit unwichtigen Nebenplots vollgestopft ist die Handlung, zu mäßig die Tricks, zu unterschiedlich die schauspielerische Leistung. Der Film wirkt wie ein Sammelsurium von Szenen, die in anderen Filmen gut funktioniert haben, hier aber nicht zur Entfaltung kommen, weil sie sich gegenseitig im Weg stehen. Seine größte Sünde ist aber das fast völlige Fehlen von Spannung oder Grusel-Momenten. Lediglich der Anfang gerät recht ordentlich, danach ist bei diesem missglückten Horror-Experiment die Luft schon raus. Schade. Bliebt zu hoffen, dass es einen weiteren Versuch gibt – und der besser wird.

Das Privileg – die Auserwählten startet am 9. Februar 2022 bei Netflix.

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