Blinded By The Light

Filmkritik: Blinded By The Light

Seit „Bohemian Rhapsody“ sind Musikfilme extrem angesagt, spielte der Film doch bei Produktionskosten deutlich unter 100 Millionen satte 900 Millionen Dollar ein. Aber Musikfilm ist nicht gleich Musikfilm. War der Queen-Film eine freie Biographie, wurde aus „Rocketman“ ein kreischbuntes Musical. Und „Yesterday“ bediente sich lediglich bei der Musik der Beatles, erzählte aber nichts über die Band. Nun kommt „Blinded By The Light“ – und zeigt eine Coming of Age-Story mit Musik von Bruce Springsteen. Macht das Laune?

Seinen Spitznamen „The Boss“ verdiente sich Bruce Springsteen zu Beginn seiner Karriere, als er seine Musiker jeden Abend nach der Show in Bar bezahlte – wie früher ein Chef seine Arbeiter. Der bald 70-jährige gilt seit Jahrzehnten in den USA als das Sprachrohr der Underdogs und Außenseiter – und begeistert seine Fans auch live mit Konzerten, die nicht selten vier Stunden dauern. Im Kinofilm Blinded By The Light, der nach einer wahren Geschichte entstand, hilft Springsteens Musik einem jungen Pakistani im England der späten 80er Jahre.

Blinded by the light
Javeds Leben im England der späten 80er ist alles andere als einfach.

Blinded By The Light: Die Handlung

Der junge Javed (Viveik Kalra) hat kein einfaches Leben. Als Kind pakistanischer Einwanderer sieht er sich im südostenglischen Luton mitten in der Thatcher-Ära nicht nur von nationalistischen Schlägern bedroht. Auch sein Vater Malik (Kulvinder Ghir), ein traditionell lebender Muslim, hat wenig Verständnis für Javeds Wünsche wie die Erlaubnis, auf eine Party seines Kumpels Matt (Dean-Charles Chapman, „Game of Thrones“) zu gehen. Oder seiner Leidenschaft zu frönen – dem Schreiben. Javed scheint dazu verdammt, ein totaler Looser zu werden.

Doch dann ändern zwei Begegnungen sein Leben. Zuerst stellt seine neue Lehrerin Miss Clay (Haley Atwell, „Peggy Carter“ im MCU) sein Talent fest und setzt alles daran, Javed zu fördern. Und dann gibt ihm sein Mitschüler Roops (Aaron Phagura), ein indischer Sikh, ein Tape des US-Rockmusikers Bruce Springsteen, von dem Javed noch nie gehört hat. Doch als er ein paar Tage später nach einem Streit mit seinem Vater die Kassette in seinen Walkman packt und auf Play drückt, eröffnet sich Javed plötzlich eine neue Welt. Da singt ihm jemand aus der Seele …

Blinded by The Light: Sing It Like Springsteen!

Die indisch-stämmige Regisseurin Gurinder Chadha erzählt 17 Jahre nach ihrem großen Erfolg „Kick It Like Beckham“ wieder eine Geschichte, die eng mit asiatischen Einwanderern in England zu tun hat. Doch während sie sich im Fußball-Film mit der Beschreibung kultureller Unterschiede und ihrer Beilegung beschäftigt, geht sie in Blinded By The Light deutlich weiter. In einen Film, der deshalb fast aus allen Nähten platzt, packt sie neben der persönlichen Story von Javed auch noch die späten 80er Jahre hinein – mit allen Aspekten, die diese Zeit in England prägte.

So nimmt die Regierungszeit Margaret Thatchers, in der die konservative Premierministerin fast die gesamte Industrie Großbritanniens vernichtete und damit eine Massenarbeitslosigkeit beim kleinen Mann auslöste, breiten Raum ein. Denn die Verzweiflung der kleinen Leute ist allgegenwärtig. Allerdings auch ihr Wille, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Selbst wenn Chadha nicht mit jedem Stilmittel richtig liegt, um das zu zeigen – so wirkt eine Musical-Szene arg deplatziert – trifft sie im Kern doch meist den richtigen Ton, um diese Zeit lebendig werden zu lassen.

Blinded by the light
Doch als sein neuer Kumpel Roops Javed die Musik von Bruce Springsteen näher bringt, verändert sich Javeds Leben.

Blinded By The Light: Uncool in einer coolen Zeit

Neben der Politik spielt aber auch die Kultur dieser Zeit eine große Rolle. Ob die Mode, die Frisuren oder die Musik – jüngere Kinozuschauer werden das eine oder andere Mal sicher denken, Chadha würde hier optisch übertreiben – was sie nicht tut. Denn die Regisseurin fängt diese ganz besonderen Jahre vollendet ein und lässt die coolen 80er lebendig werden. Was auch nötig ist, um klar zu machen, wie unfassbar uncool Javed zu dieser Zeit war, als er begann, Bruce Springsteen zu hören. Denn der erdige Rocker aus New Yersey stand im harten Kontrast zu neuer elektronischer Musik.

Dass Chadhas Hommage an die Zeit so gut funktioniert, liegt auch an seinen Darstellern. Viveik Kalra spielt Javed mit der stillen Verzweiflung, die man diesem Charakter abnimmt und nachfühlt und in Kulvinder Ghirs Gesicht lässt sich minutiös ablesen, wie sehr das traditionelle Weltbild des pakistanischen Vaters sich angesichts der neuen Situation, in der er plötzlich nicht mehr für seine Familie sorgen kann, Stück für Stück in Luft auflöst. Und die Regisseurin findet sogar noch Platz, um die Probleme der Frauen in der Familie zu beleuchten.

Blinded by the light
Javed wird selbstbewusst, kommt sogar mit der klugen und politisch aktiven Eliza zusammen.

Blinded By The Light: Sensible Coming of Age-Story

Den alltäglichen, von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragenen oder akzeptierten Rassismus fängt Blinded By The Light ebenfalls gekonnt ein. Und zeigt anhand der Familie von Javeds Freundin Eliza (Nell Williams), welchen geringen Stellenwert die „Pakis“ in Großbritannien hatten. Dennoch verliert der Film nie seine positive Grundstimmung. Auch deshalb macht es sehr viel Spaß, Javed dabei zuzusehen, wie er vom schüchternen Jungen unter der Fuchtel altmodischer Wertevorstellungen zum jungen Mann mit eigener, brillanter Stimme wird.

Ähnlich wie bei Yesterday spielt das Leben Springsteens für diesen Film keine große Rolle. Doch im Unterschied zum Beatles-Film ist die Musik des Rockers viel stärker präsent. Und hat auf die Stimmung des Films daher auch einen viel größeren Einfluss. Und dass die Story auf wahren Begebenheiten beruht und der echte „Javed“, der in Wirklichkeit Sarfraz Manzoor heißt, auch am Drehbuch mitschrieb, macht Blinded By The Light nochmal sympathischer. Die Musik von Springsteen sollte man aber mögen, um hier den vollen Spaß zu haben.

Fazit:

Blinded By The Light ist eine sensibel und mit viel Wärme erzählte Coming of Age-Geschichte, die den Zeitkolorit der späten 80er Jahre im Süden Englands nahezu perfekt einfängt. Und sich dennoch nie den düsteren Momenten der Story ergibt. Die durchweg sympathischen Darsteller, allen voran der furios aufspielende Viveik Kalra, erzählen die Story wunderbar rührend und entkernen dabei gleichzeitig ein paar von Bruce Springsteens größten Songs. Ein Film über einem Poeten, dem ein anderer Poet dabei hilft, gehört zu werden. Ein toller Film!

Blinded By The Light startet am 22. August 2019 in den deutschen Kinos.

Doch Javeds Vater macht seinem Sohn das Leben durch das Pochen auf alte Traditionen sehr schwer.