Horror hat viele Facetten. Bei manchen Filmen schieben die Effekte-Macher Überstunden und der Regisseur zeigt alles, was sich irgendwie zeigen lässt, um das Publikum zu schockieren, zu erschrecken oder einzuschüchtern. Bei anderen steht die Optik differenzierter im Vordergrund und es geht mehr um Stimmungen als um Monster oder Blutbäder. Hin und wieder ist auch das Budget entscheidend, was ein Film zeigen kann – oder eben nicht. Der irische Horrorfilm „A Dark Song“ könnte zu diesen Filmen gehören, die sich kein großes FX-Team leisten konnten. Deshalb geht Regisseur Liam Gavin in seinem Debüt andere Wege. Lohnt es sich, da mitzugehen? Das klärt die Kritik.
Die Handlung
Die junge Sophia (Catherine Walker) hat den Tod ihres Sohnes nie verwunden, ihr ganzes Dasein kreist noch immer um ihn. Deshalb sucht sie schon lange in alten Schriften nach Möglichkeiten, durch Rituale wieder Kontakt zu ihm aufnehmen zu können. Schließlich findet sie den Spezialisten Joseph Solomon (Steve Oram), der für eine große Summe bereit ist, sie in einem langwierigen und nicht ungefährlichen Ritual anzuleiten und ihr den Kontakt zu ihrem Schutzengel zu ermöglichen. Ihn will sie dann um die Chance bitten, noch einmal mit ihrem Sohn reden zu können. Zu diesem Zweck mietet Sophia ein großes, abgelegenes Haus in der Provinz und macht sich mit Solomon auf den Weg dorthin.
Nachdem sie genug Vorräte für viele Monate besorgt hat, beginnt Solomon mit den Vorbereitungen. Rituelle Reinigungen von Körper und Geist stehen dabei ebenso im Fokus wie sich ständig wiederholende Handlungen, um die Umgebung für ihr Vorhaben zu präparieren. Für Sophia bedeutet das eine Zeit voller Entbehrungen und Erniedrigung, weil Solomon von ihr bedingungslosen Gehorsam verlangt. Doch auch nach Wochen gibt es noch keinerlei Anzeichen darauf, dass Sophia irgendwann Erfolg haben könnte. Die Stimmung zwischen den beiden wird täglich kühler, denn auch Solomon hat seine Zweifel. Er glaubt, dass Sophia ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hat und sie den Engel aus einem anderen Grund beschwören will, als sie behauptet …
Lange Wartezeit kein Qualitätsurteil
Schnell ist anders. Fast fünf Jahre brauchte A Dark Song, bis er den Sprung von Irland nach Deutschland schaffte, wo er jetzt einen Kinoeinsatz bekommt und in einigen Wochen auf Blu-Ray erscheint. Liegt das an seiner schlechten Qualität, wie manch ein Horrorfan sicherlich denken mag? Eher nicht. Manchmal gibt es Gründe, die nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gelangen, und mit dem Film selbst gar nicht so viel zu tun haben. So wurde vor einigen Jahren der wirklich gute Horrorfilm „The Autopsy of Jane Doe“ in Deutschland nicht einmal im Kino gezeigt, obwohl der Film heute bei Fans Kultstatus besitzt und auch ganz objektiv absolut keine Gurke ist. Das trifft auch für A Dark Song zu.
Vorstellbar ist aber, dass manch ein Verleiher mit dem deutlich erkennbar untypischen Horrorfilm nicht viel anfangen konnte, was Marketing oder Platzierung angeht. Denn Liam Gavins Film lässt sich nicht so einfach in eine Schublade stecken. Das liegt sicher auch an der kargen Optik. Viel mehr als ein leeres Haus mit schmucklosen Räumen bekommt der Zuschauer über weite teile des Films nicht zu sehen. Gavin konzentriert sich stattdessen auf das dynamische Verhältnis zwischen seinen Protagonisten, die ihm das mit guten Leistungen vor der Kamera danken. Vor allem Catherine Walker ist als von Trennungsschmerz übermannte Sophia absolut sehenswert.
One-Woman-Show mit Unterstützung
Und ihr Charakter steht auch im Zentrum des ganzen Films, der durchaus Raum für Interpretationen bietet. So lässt sich die Handlung auf verschiedene Arten lesen. Gibt es das alte, verlassene Haus wirklich? Oder steht es nur als Metapher für Sophias Innenleben? Beschwören sie und Solomon wirklich Dämonen und Engel oder stehen diese Wesen nur für unterschiedliche Aspekte von Sophias Geist? Existiert Solomon überhaupt oder ist er nur der rationale Teil von Sophias Verstand, der sie davor bewahren soll, wahnsinnig zu werden? Oder ist doch jede einzelne Szene genau so gemeint, wie sie gedreht wurde und es gibt gar keinen Meta-Aspekt in diesem Film? Das lässt sich alles auf unterschiedliche Art und Weise interpretieren.
Und das macht A Dark Song auch ohne spektakuläre Bilder, Gewaltorgien oder Jump-Scares zu einer sehenswerte Reise ins Dunkel einer gebrochenen Seele. Denn Gavin gelingt es, ohne viel zu zeigen, nur durch die Dialoge der beiden Charaktere, eine Spannung aufzubauen, die sich langsam steigert. Allerdings läuft das auf einer durchaus subtilen Ebene ab und dürfte den Fan von aktuellem Mainstream-Horror kaum abholen. Daher ist der Film in erster Linie auch Zuschauern zu empfehlen, die sich gern ein wenig Abseits vom Unterhaltungskino herumtreiben und auch Filme sehen möchten, die sich nicht nebenbei sehen lassen. Denn A Dark Song kann dann nicht nur durch kleine Twists bestechen, sondern auch durch ein Finale, dass man so schnell nicht vergessen wird, unabhängig davon, wie man es findet.
Fazit:
A Dark Song ist das Regiedebüt des Iren Liam Gavin, der auch das Drehbuch schrieb, und ein in mehr als einer Hinsicht ungewöhnlicher Horrorfilm. Gavin bietet in seiner übersichtlichen Handlung nicht nur mehr als eine Möglichkeit der Interpretation an, er erzeugt eine Menge Spannung auch aus purer Erwartungshaltung der Zuschauer. Denn die Frage, ob das alles ein Hirngespinst ist oder die Protagonisten wirklich ein Tor in einer andere Daseinsebene öffnen, das dürfte dafür empfängliche Zuseher bei der Stange halten. Wer sich auf viele Jump-Scares und sterbende Teenager bei einem Horrorfilm freut, ist hier aber falsch. A Dark Song geht deutlich mehr in den Arthouse-Bereich und hat mit Mainstream-Kino nicht so viel am Hut.
A Dark Song startet am 7. Oktober in ausgewählten Kinos.