Cruel Summer Plakat
Amazon Prime Studios

Serienkritik: Cruel Summer

Das erste Rätsel dieser Serie stellt sich gleich zu Beginn. Obwohl die Serie bei Amazon Prime startet und als Amazon-Original etikettiert ist, lief „Cruel Summer“ von April bis Juni 2021 beim US-Kabel-TV-Sender Freeform. Und dieser Sender gehört zum Disney-Konzern. Warum also, so fragt sich der thrillerbegeisterte Zuschauer womöglich, läuft die Serie dann nicht bei Disney+? Eine Begründung dafür ist nicht bekannt, anzunehmen ist aber, dass Disney+ die Serie offenbar für den deutschen Markt nicht haben wollte. Warum das so ist, darüber lässt sich hingegen nur spekulieren. Liegt es an der Qualität, die eventuell nicht gut genug für Disney ist? Oder am zu prekären Inhalt? Das klärt die Kritik.

Cruel Summer
1993: Jeanette und ihre Mutter treffen auf die Familie Wallis.

Die Handlung

Die texanische Kleinstadt Skylin im Jahr 1993: Jeanette Turner (Chiara Aurelia) feiert Geburtstag. Wie jedes Jahr weckt sich ihr Vater Greg (Michael Landes), später trifft sie sich mit ihren Freunden Mallory (Harley Quinn Smith) und Vince (Allius Barnes), um zu feiern. Im der Mall fällt ihr Kate Wallis (Olivia Holt) auf, die mit ihrem Freund Jamie (Froy Gutierrez) unterwegs ist und als eines der schönsten Mädchen der Stadt gilt. Die beiden jungen Frauen, die sich nur flüchtig kennen, tauchen ein paar Nettigkeiten aus …

Der gleiche Tag im Jahr 1994: Jeanette wird von ihrem Freund Jamie geweckt. Mittlerweile gehört sie zu den beliebtesten Kids in der Schule und freut sich auf ihre Geburtstagsfeier. Mallory und sie reden allerdings nach einigen Vorfällen kein freundliches Wort mehr miteinander. Nach dem Verschwinden von Kate Wallis vor knapp einem Jahr hat sich Jeanettes Leben komplett geändert …

Der gleiche Tag im Jahr 1995: Jeanette ist eine der verhasstesten Personen des ganzen Landes. Ihre Familie hat die Krise nicht unbeschadet überstanden, die junge Frau erst recht nicht. Immer wieder sieht sie sich ein Video an, in dem sie mit eines ungeheuren Verbrechens angeklagt wird. Doch ihre Anwältin macht ihr Mut, sie dürfe auf keinen Fall aufgeben. Das ist aber für Jeanette, die alles verloren hat, alles andere als einfach …

Komplexer Plot, top erzählt

Bei einem Thriller, erst recht bei einer Serie (Staffel 1 ist zehn Episoden lang), kommt es neben der Handlung auch sehr stark auf die Art des Erzählens an, um Spannung zu erzeugen. Oft ist entscheidend, wann das Publikum welche Informationen erhält, um aus einer Story das Maximum herauszuholen. Die Grundidee von Cruel Summer, die Geschichte über drei Jahre zu dritteln und alle Drittel tageweise zu erzählen, sorgt genau für die interessante Herangehensweise, die die Serie so gut macht. Das liegt zu einem guten Teil auch an der großartigen Arbeit des Cutter-Teams, das mit tollen Schnitten die Wechsel zwischen den drei Zeitebenen extrem dynamisch in Szene setzt. So fließende Übergänge muss ein Kreativ-Team erst einmal hinbekommen.

Allerdings schaffen die Autoren hier erst die Möglichkeiten für die gute Arbeit der Cutter. Die Hauptidee, die Geschichte zweiter junger Frauen unheilvoll zu vermengen, ist dabei nicht unbedingt neu. Auch der Mikrokosmos einer Kleinstadt, deren Geheimnisse meist früher oder später ans Tageslicht kommen, haben Thriller-Fans schon häufiger gesehen. Aber die Story in drei Teilen zu erzählen und dabei sowohl in den drei Zeitebenen als auch in den Erzählperspektiven hin und her zu springen, das haben die Zuschauer noch nicht so oft erlebt. Und ist bei Cruel Summer auch ein wichtiger Grund für die gute Qualität der Serie. Denn neben dem Schnitt sorgen auch die unterschiedliche Optik der Hauptfiguren in drei verschiedenen Jahren und die gute Inszenierung dafür, dass der Zuschauer immer weiß, in welchem Jahr er sich gerade befindet.

Olivia Holt
Schon am Vortag treffen sich die beiden Mädchen, die sich nur flüchtig kennen, in der Einkaufsmall.

Spannung über Realismus

Allerdings ist die Serie mit zehn Episoden etwas zu lang geraten. Denn sie vermag die Spannung nicht über die gesamte Zeit aufrechtzuerhalten. Nicht jede Nebenhandlung ist wirklich interessant und manche wichtige Figur erscheint erst relativ spät prominent in der Handlung, um wichtige Hinweise auf das tatsächliche Geschehen nicht zu früh wegzugeben. Hin und wieder wirkt das, als würden die Autoren die Story absichtlich so hinbiegen, dass bestimmte Fakten erst spät offenbart werden – und das geht manchmal auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Spannung ist in Cruel Summer deutlich wichtiger als Realismus. Und so muss das Publikum mit der einen oder anderen wenig plausiblen Wendung leben.

Schauspielerisch hingegen gibt sich Cruel Summer keine Blöße. Olivia Holt, bislang hauptsächlich aus der Marvel-Serie „Cloak and Dagger“ bekannt, spielt die behütete und beliebte Kate als Engel mit dunklen Momenten sehr stark. Und die noch recht unbekannte Chiara Aurelia meistert die zweite Hautfigur der naiven Jeanette ebenso gut wie ihre Kollegin. Vor allem die Entwicklung dieser beiden Figuren über drei Zeitebenen spielen Holt und Aurelia sehenswert. Und einen wirklichen Ausfall gibt es auch bei allen anderen Rollen nicht. Ein guter Thriller braucht einen starken Cast – und den hat Cruel Summer ohne Zweifel.

Nicht nur für Teenager

Chiara Aurelia
1994: Jeanette ist inzwischen beliebt und umgestylt, ihre Freundschaft zu Mallory und Vince aber leidet.

Eine reine Teenager-Serie ist die erste Staffel allerdings nicht, denn auch die Eltern der Hauptfiguren haben eigene Storys. Dennoch ist die Zielgruppe der Serie klar: Wer Serien wie „Pretty Little Liars“, „Panic“ oder „Big Sky“ mochte, der wird auch hier sicher zufrieden sein. Zwar ist die Kleinstadt Skylin alles andere als ein Twin Peaks, dafür ist die Handlung aber deutlich einfacher zu verstehen. Der Erfolg gibt den Serienmachern Recht: Eine zweite Staffel ist bereits bestellt und wird die Story um Jeanette und Kate weitererzählen. Nötig wäre das nicht gewesen, die Story endet rund.

Fazit:

In Dickicht der Thriller-Serien muss man schon etwas Besonderes bieten, um noch aufzufallen. Im Fall von Cruel Summer ist das die ungewöhnliche Erzählweise. Die Story spielt innerhalb der gleichen zehn Tage im Jahr 1993, 94 und 95 und baut die Story so geschickt auf, dass die Serie über weite Teile der zehn Episoden wirklich spannend ist. Auch wenn wirklich unerwartete Wendungen innerhalb der Geschichte ausbleiben. Dazu ist das Ganze von Olivia Holt und Chiara Aurelia stark gespielt, so dass die Schicksale der beiden jungen Frauen wohl kaum jemanden kalt lassen dürften. Eine eher konventionelle Handlung, stark gespielt und originell erzählt – das können sich Thrillerfans gut ansehen. Warum Disney+ verzichtete, bleibt ein Rätsel.

Cruel Summer startet am 6. August 2021 bei Amazon Prime.

Cruel Summer
1993: Kate ist mit Jamie zusammen, dem Mädchenschwarm der Schule. Ein Jahr später gehört sein Herz Jeanette.