Von Zeit zu Zeit finanziert Netflix Produktionen, die am ehesten in den Bereich Independent-Film passen würden. Und ohne den Streaming-Dienst möglicherweise nie entstanden wären. Für die Macher ist es toll, ihr Budget zu bekommen, für Netflix ist das Risiko aufgrund geringer Kosten eher gering. Und manchmal, wie im Fall von „Horse Girl“, kauft man sich mit dem Projekt gleich noch einen Star dazu ein. Hier ist es Alison Brie, die neben der Hauptrolle auch den Co-Autoren-Job fürs Drehbuch übernahm. Was ist dabei herausgekommen?
Mit „Mad Men“ begann ihre Karriere, mittlerweile ist die 37-jährige Schauspielerin mit „Glow“ bei Netflix Star ihrer eigenen Serie. Und in „Bojack Horseman“ war sie lange Jahre als Sprecherin dabei. Also keine ganz große Überraschung, dass ihr Haus- und Hof-Streaming-Dienst ihr Projekt Horse Girl finanzierte. Denn der schräge Mix aus vielen verschiedenen Genres hätte es bei einem großen Hollywood-Studio wahrscheinlich sehr schwer gehabt. Hat sich die Investition für Netflix gelohnt? Ist Horse Girl eine kleine Perle? Oder ist die Muschelschale leer?
Horse Girl: Die Handlung
Sarah (Alison Brie) ist ein stilles Mädchen. Mit ihrer Kollegin Joan (Molly Shannon) aus dem Bastelladen verbindet sie eine zarte Freundschaft, die jedoch streng auf die Öffnungszeiten beschränkt bleibt. Und Mitbewohnerin Nikki (Debby Ryan) ist auch keine Stütze. So verbringt Sarah die meiste Freizeit entweder auf einer Farm in der Nähe, auf der sie Kinder beim Reiten zusieht. Oder sie sitzt vor dem Fernseher und bastelt etwas, während sie die Serie „Purgatory“ schaut, eine Krimi-Serie mit übernatürlichen Inhalten.
Eines Tages stellt Sarah fest, dass sie offensichtlich schlafwandelt, denn sie findet sich an Orten wieder, die sie gar nicht kennt. Immer häufiger wird sie von Gedächtnislücken gequält oder kann sich auf ihre Wahrnehmung nicht mehr verlassen. Doch dann glaubt sie, den Grund für all diese unheimlichen Vorgänge entdeckt zu haben. In einer Nacht erwacht sie und liegt neben zwei wildfremden Menschen auf einer Art OP-Tisch – in einem Alien-Raumschiff! Wurde Sarah tatsächlich Opfer einer Entführung durch Außerirdische – oder ist sie schlicht verrückt?
Horse Girl: Lynch lässt grüßen
Alles fängt ganz harmlos an. Zu Beginn scheint Horse Girl ein Film zu sein, der eine schüchterne junge Frau dabei begleitet, wie sie aus ihrem Schneckenhaus langsam herauskommt – oder auch nicht. Wenn das auch nie wirklich spannend ist, so spielt Alison Brie ihre Rolle doch interessant genug um dranzubleiben. Doch dann beginnt die Handlung, zuerst in sehr kleinen Schritten, eine andere Richtung einzuschlagen. Langsam zieht Regisseur und Mitautor Jeff Baena dem Publikum damit den scheinbar sicheren Boden unter den Füßen weg.
Denn von möglicher Beziehung und Emanzipation wechselt die Story immer stärker zu wilden Theorien, mit denen Sarah ihre nächtlichen Ausfälle und Gedächtnislücken erklärt. Und immer, wenn der Zuschauer ihre Ideen als Quatsch abtut, liefert der Film einen Hinweis darauf, dass Sarah vielleicht doch nicht verrückt ist und sich diese Sachen gar nicht einbildet. Und je länger Horse Girl läuft, desto mehr erinnert er in seiner scheinbaren Sinnlosigkeit, aber auch seiner Kompromisslosigkeit, an Werke von Regisseur David Lynch.
Horse Girl: Was ist Realität?
Netflix selbst vermerktet den Film als schwarzhumorigen Psycho-Thriller. Das kann man sicherlich so sehen, mit Filmen wie „Scream“, dem Inbegriff eines schwarzhumorigen Psycho-Thrillers, hat Horse Girl aber nicht das Geringste gemeinsam. Durch seine immer schräger werdenden Szenen und Handlungssträngen entzieht sich der Film mehr und mehr gängigen Einordungsmöglichkeiten. Den erfahrenen Köpfen Brie und Baena darf man wohl unterstellen, dass dahinter eine Absicht steckt. Und der Zuschauer selbst entscheiden soll, was er glaubt.
Dabei sind die Grenzen zwischen Realität irgendwann nicht mehr zu fassen. Hat Sarah wirklich Sex mit ihrem Lieblingsstar aus ihrer favorisierten Serie? Kann doch nicht real sein, oder? Aber warum zeigt die nächste Szene dann wieder etwas, was durchaus passiert sein kann? Baena spielt mit diesem Thema in der letzten halben Stunde des Films sehr gekonnt, dürfte Zuschauer, die nur einen netten Film für zwischendurch suchen, aber dennoch nachhaltig verprellen. Denn Horse Girl verlangt viel Aufmerksamkeit und gibt nur bedingt etwas zurück.
Dass Filme immer auch Geschmackssache sind, liegt auf der Hand. Aber hier haben Brie und Baena absichtlich vieles offen gelassen und Platz für Interpretationen geschaffen. Ein passendes Publikum wird das sehr zu schätzen wissen und viel Spaß an dem Film haben. Eine besonders große Gruppe Netflix-Nutzer wird das erfahrungsgemäß aber nicht sein. Kühles, intellektuelles Kino, dass sich kaum greifen lässt und deutlich macht, wie wenig der Zuschauer hier seinen Sinnen vertrauen kann. Ebenso wenig wie die Protagonistin des Films.
Fazit:
Mit Horse Girl legen Regisseur Jeff Baena und sein Star Alison Brie, mit der er auch das Drehbuch verfasste, einen sperrigen Trip hin, der sich an Werken von David Lynch orientiert und wenig bis gar nichts von dem erklärt, was er zeigt. In kühlen Bildern und fast dokumentarisch anmutender Kamera legt Baena eine Psyche frei, die entweder völlig verrückt ist oder tatsächlich eine außergewöhnliche Erfahrung gemacht hat. Wer Spaß an Spurensuche und versteckten Hinweisen hat, für den könnte Horse Girl der richtige Film sein. Eine gute Wahl für Zuschauer, die sich einfach ein wenig unterhalten lassen wollen, ist er definitiv nicht.
Horse Girl startet am 7. Februar 2020 bei Netflix.
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