Die jüngere Zielgruppe der Teens und Twens ist für Netflix eine immens wichtige Basis für den Erfolg. Hier gibt es Leute, die normales Fernsehen gar nicht mehr nutzen und ihre gesamte Unterhaltung über Netflix beziehen. Da ist es kein Wunder, dass für diese Zielgruppe beim Streaming-Portal auch viel produziert wird. „The Society“ ist das neueste Beispiel dieser passgenauen Produktionen. Netflix selbst bezeichnet die Serie als neue Version des „Herr der Fliegen“-Motivs. Kann The Society diesen Anspruch tatsächlich halten?
William Golding bekam für seinen Roman Herr der Fliegen 1983 den Literatur-Nobelpreis. Unzählige Schüler dürften dieses Buch im Unterricht besprochen haben. Goldings brillante Analyse des menschlichen Wesens, dessen Zivilisation nur in seinen obersten Schichten steckt, während darunter noch das Tier der Vergangenheit lauert, gilt als einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts. Das kann eine Serie eigentlich nicht wirklich adäquat umsetzen – oder doch?
The Society: Die Handlung
Die Kleinstadt West Ham in Neu-England wird von typischen Teenagern bevölkert. Da ist die engagierte Anführerin Kassandra (Rachel Keller, „Legion“) und ihre kleine Schwester Allie (Kathryn Newton, „Der Sex Pakt“). Der verzogene, reiche Harry (Alex Fitzalan), der aus armen Verhältnissen stammende Will (Jacques Colimon) und viele mehr. Weil es in dem kleinen Ort seit einer Weile merkwürdig stinkt und die Ursache unklar und potenziell gefährlich ist, werden die High-School-Absolventen in Bussen für eine Woche auf eine Freizeit geschickt.
Doch wegen eines Unwetters machen die drei Busse nach einigen Stunden kehrt und bringen die Kids zurück nach Hause. Doch schnell müssen die Teens feststellen, dass kein Erwachsener mehr da ist, die Stadt ist menschenleer. Und alle Straßen hinaus enden im Nichts. Die etwa 200 jungen Leute sind offenbar in einem genauen Abbild ihrer Heimatstadt gefangen. Erste Versuche, die Umgebung zu erkunden, enden tödlich. Und so müssen die Jugendlichen entscheiden, wie es weitergehen soll. Und da gehen die Meinungen weit auseinander …
The Society: Wenig komprimierte Fassung
Goldings Roman ist nur ein dünner Band, in dem er die Geschichte einer gestrandeten Schulklasse von 10-12-jährigen auf wenige Figuren komprimiert. The Society geht hier einen anderen Weg und baut im Lauf der Handlung etwa ein Dutzend Figuren zu wichtigen Handlungsträgern auf. Dementsprechend langsamer geht die Story hier im Vergleich zum Roman voran. Dazu interessiert sich Serienschöpfer Christopher Keyser („Party of Five“) auch für die im Vergleich zur Vorlage erwachseneren Wünsche und Interessen seiner Protagonisten: Drogen und Sex.
Während das bei Golding keine Rolle spielt, macht Keyser diese Inhalte glaubhaft zu den wichtigsten Triebfedern seiner Protagonisten. Und zeigt in den ersten Folgen ausgiebig Sex und Partys, wenn auch recht zurückhaltend, was nackte Haut angeht. Dennoch täuscht die Freigabe der Serie ab 12 Jahren, denn inhaltlich ist The Society auch ohne blanke Busen und expliziter Gewalt recht harter Tobak und für die Altersgruppe sicher nur bedingt geeignet. Die Serie stellt klug Fragen nach dem Verhalten in Notsituationen – und die Antworten sind nicht unbedingt kindgerecht.
The Society: Inhaltlich hart und gut geschrieben
Wie soll das Zusammenleben aussehen? Wer tut was für die Gemeinschaft? Wie werden Verbrechen bestraft? Und wer hat das Sagen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Serie in ihren ersten Folgen, wobei der Story-Arc, der sich durch die Episoden vier bis sechs zieht, inhaltlich fast die Härte eines Horror-Dramas erreicht. Das erinnert an „Chilling Adventures of Sabrina“, die auch deutlich düsterer und härter ausgefallen ist, als man das von einer typischen Teenie-Serie erwarten würde. The Society schlägt da in eine ganze ähnliche Kerbe, verzichtet allerdings im Vergleich zu Sabrina komplett auf Humor.
Der wäre angesichts der düsteren Thematik auch unangebracht. Das ist auch deshalb geschickt, weil dadurch selbst vermeintlich typische Teenie-Soap-Momente von Paaren, die sich finden oder trennen, nie eine oberflächliche Note bekommen, sondern Teil der ständig wachsenden, unangenehmen Atmosphäre sind. Denn wie bei einem Wasserkessel steigt von Folge zu Folge der Druck und der Zuschauer ahnt schnell, dass bei der kommenden Eskalation nicht alle mit heiler Haut davonkommen. Hier haben die Autoren einen guten Job gemacht.
The Society: Starke Schauspieler
The Society funktioniert aber auch deshalb so beeindruckend, weil die Darsteller fast alle eine starke Leistung abrufen. Allen voran Kathryn Newton, die als Allie schnell zum Zentrum des Geschehens wird. Und auf deren Gesicht eine große Bandbreite an Emotionen eindringlich zu sehen sind. Auffällig unpassend ist lediglich Rachel Keller. Allerdings nicht, weil sie schlecht spielt, sondern weil sie, obwohl erst 26 Jahre alt, die Rolle der 18-jährigen Kassandra nicht glaubwürdig verkörpert. Ihre deutlich zu reife Ausstrahlung passt einfach nicht zur Figur.
The Society ist sicherlich kein zweites Herr der Fliegen. Dazu fokussiert sich die Serie nicht stark genug auf Goldings Kernaussage und spielt stattdessen mit vielen anderen Themen, die den Fast-Erwachsenen aber deutlich mehr Glaubwürdigkeit verleihen. Auch wenn die Grundidee durchaus ähnlich ist, entwickelt sich The Society schnell in andere Richtungen und durchleuchtet seine Figuren auch stärker. Hätten die Autoren jetzt noch auf ein paar überflüssige Klischees verzichtet, wäre die Serie sogar noch besser – gut ist sie jetzt schon.
Fazit:
Das könnte ein weiterer Überraschungs-Hit in einem bisher starken Netflix-Serien-Frühling werden! The Society beschäftigt sich klug mit der Frage, was eine auf sich gestellte Gruppe mit den bisher gelernten Regeln macht. Und wie lange sich angesichts einer unsicheren Zukunft eine Gesellschaft aufrecht erhalten lässt. Das ist derart spannend erzählt und gut gespielt, dass die Serie den Zuschauer schon nach wenigen Folgen eisern im Griff hat. Starke Atmosphäre, tolle Jungstars und kluge Fragen machen aus The Society einen echten Hingucker!
The Society startet am 10. Mai 2019 bei Netflix.
Gesehen: Zehn von zehn Folgen