Wind River

Filmkritik: Wind River

Treffen sich zwei Superhelden! Beide gut! In Taylor Sheridans Regiedebüt „Wind River“ gehen zwei „Avengers“ auf Mördersuche. Elizabeth Olsen (Scarlett Witch) und Jeremy Renner (Hawkeye) jagen als FBI-Agentin und Wildhüter den Killer einer jungen amerikanischen Ureinwohnerin. Können die beiden auch ohne Superkräfte überzeugen?

Obwohl er zum ersten Mal selbst Regie führt, ist Taylor Sheridan kein Unbekannter in Hollywood. Denn der Amerikaner hat neben dem Drehbuch zu Wind River auch die Scripts für „Sicario“ und „Hell or High Water“ verfasst. Und die Handlung diesmal aus dem Süden der USA in den hohen Norden Wyomings verlegt. Hat der herausragende Autor auch als Regisseur Talent und sein eigenes Drehbuch entsprechend umgesetzt?

Wind River
Auf der Jagd nach drei Berglöwen, die im Reservat Vieh reißen, findet Cory mehr als nur eine tote Kuh.

Wind River: Die Handlung

Als Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) eine junge Frau tot im Niemandsland des kargen Indianerreservats findet, ist er aus mehreren Gründen alarmiert. Zum einen kennt er die Tote. Zum anderen lief die hier aufgewachsene Natalie offenbar barfuß und nur wenig Kleidung durch die Eiseskälte. Das legt nicht nur für Cory den Verdacht nahe, dass sie ermordet wurde. Das FBI schickt die unerfahrene Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) nach Wyoming, um sich den Fall anzusehen. Und die ist clever genug, sich den wortkargen, aber sehr kompetenten Cory als Unterstützung zu sichern.

Gemeinsam beginnen sie die Ermittlungen und stoßen bald auf erste Verdächtige. Vor allem Cory ist mit Feuereifer dabei, denn er verlor vor ein paar Jahren seine eigene Tochter auf ganz ähnliche Weise – und Natalie war damals deren beste Freundin. Als eine zweite Leiche auftaucht, entwirren sich die Fänden langsam zu einem grausamen Bild von Mord und Vergewaltigung. Jane und Cory geraten bald in die Schusslinie …

Wind River: Kein Krimi von der Stange

Schon mit seinen früheren Drehbüchern hat Taylor Sheridan gern festgefahrene Genres verlassen und Mischungen verschiedener Einflüsse präsentiert, die den Zuschauer häufig überraschten. So wandelt sich Sicario vom fast dokumentarischen Kampf gegen mexikanische Drogenbanden zum sehr persönlichen Rachefeldzug. Hell or High Water scheint die Geschichte zweier beinharter Brüder zu erzählen, die als eiskalte Gangster Karriere machen – nur dass sie so beinhart gar nicht sind, und für ihre Überfälle gute Gründe haben. Und auch Wind River ist nicht der klassische Krimi, den Sheridan uns zu Beginn vorgaukelt.

Denn Held Cory ist weit mehr als nur ein Wildhüter. Seine tragische Geschichte erzählt Sheridan mit genau der Beiläufigkeit und Zurückhaltung, die das Publikum neugierig macht. Dazu zeichnet Sheridan ein tristes Bild der Menschen im Reservat. Und zeigt sie irgendwo zwischen längst belächelten Traditionen und dem vergeblichen Kampf, irgendwo in der modernen, amerikanischen Gesellschaft einen angemessenen Platz zu finden. Am Ende des Films informiert ein kurzer Text passenderweise darüber, dass es für amerikanische Ureinwohner als einzige Bevölkerungsgruppe keine Vermissten-Datei gibt. Die Ureinwohner Amerikas sind nach wir vor nicht von öffentlichem Interesse.

Wind River
Die junge FBI-Agentin Jane Banner hat nicht vor, den Fall durch Dienst nach Vorschrift zu verderben. Sie will den Killer unbedingt erwischen.

Wind River: Spannung statt Moralpredigt

Aber wer frühere Storys von Taylor Sheridan kennt, der weiß: Er erzählt seine Geschichten nicht als moralinsaure Arthouse-Filme mit erhobenem Zeigefinger. Stattdessen interessiert er sich mehr für die Figuren, die in den entsprechenden Verhältnissen zurechtkommen müssen. Und so entwirft er auch bei Wind River glaubwürdige Charaktere, die sich nicht so einfach in Klischee-Schubladen packen lassen, sondern spielt klug mit den Schablonen im Kopf der Zuschauer. Er zeigt einfache Leute, die der harten Natur ihren Lebensunterhalt abringen und trotz der trostlosen Kälte das Beste aus der Situation machen. Sheridan entwirft Figuren, die sich viel stärker als Teil eines Ganzen verstehen, als das in einer Großstadt wohl der Fall wäre.

Für ein Debüt macht Sheridan als Regisseur einen guten, wenn auch keinen herausragenden Job. Nicht in jeder Szene sitzt jeder Schnitt perfekt und manchmal wirken Überleitungen etwas ungelenk. Besonders bei Actionsequenzen kann Sheridan noch zulegen. Dennoch gelingen ihm – auch dank seines Kameramannes Ben Richardson – beeindruckende Bilder der stillen Berge Wyomings und der besonderen Atmosphäre des dünn besiedelten Gebiets. 

Wind River: Renner als Rückgrat

 Zusammengehalten wird der Film jedoch von Jeremy Renner, der als Wildhüter mit detektivischen Fähigkeiten seine Rolle von der ersten Szene an mit Leben füllt. Die kaputte Ehe, die durch den Tod der Tochter zerschmettert wurde. Der stille Schmerz, den er jeden Tag mit sich herumträgt. Die Selbstsicherheit und Ruhe, die er bei allem ausstrahlt, was er tut. Das macht die Figur des Cory Lambert sehr viel spannender und vielschichtiger als einen typischen Thrillerhelden.

Denn im Gegensatz zu kaputten Ermittlern wie etwa im Film „Der Schneemann„, der sogar mit ähnlicher Optik arbeitet, kokettiert Renner nicht mit diesen seelischen Narben. Renner und Sheridan definieren den Helden der Geschichte nicht darüber, sondern verpassen der Figur dadurch lediglich mehr Facetten. Und machen deutlich: Auch ein emotional gar nicht involvierter Cory hätte wohl genauso gehandelt wie der im Film.

Und so bezieht Wind River seine Spannung auch nicht aus dem Krimiplot, der kaum Wendungen aufweist und stattdessen eher auf ein realistisches Szenario setzt. Sondern aus dem guten Zusammenspiel seines Ensembles, des frischen Settings der winterlichen Einöde und der Western-Attitüde, die Sheridan seinem Plot verpasst. Allerdings muss man sich als Zuschauer auch auf das spröde Werk einlassen, denn hier geht es meist eher subtil als plakativ zu.

Fazit:

Taylor Sheridan hat in seinem Regiedebüt noch Luft nach oben, was die Inszenierung betrifft. Als Autor hat er aber mit Wind River sein vielleicht reifstes Werk abgeliefert, voller Zwischentöne und gerade durch seine Ruhe immer wieder packend und emotional. Wer sich auf einen Neo-Western-Thriller mit kragen Bildern einlassen kann, bekommt einen guten Film, der eigentlich die eine oder andere Nominierung bei den Oscars verdient gehabt hätte.

Wind River startet am 8. Februar 2018 in den deutschen Kinos.

Wind River
Cory leistet dem trauernden Vater von Natalie Gesellschaft. Denn er weiß, wie sich der Verlust einer Tochter anfühlt.