Ben Affleck, Tye Sheridan
Amazon Studios

Filmkritik: Tender Bar

George Clooney hat sich seit seinen Anfängen als Schauspieler längst von seinem Image als Schönling emanzipiert und gilt seit vielen Jahren als etablierter Künstler in Hollywood. Vor allem als Produzent anspruchsvollerer Filme hat sich der Schauspieler einen Namen gemacht. Aber auch früh in seiner Regiekarriere schon eine Oscar-Nominierung eingeheimst (für „Good Night and Good Luck“). Doch diese Serie hielt nicht. War sein Film „Monuments Men“ von 2014 noch halbwegs erfolgreich, so floppten die Nachfolger allesamt – bei Publikum und Kritikern. Nun ist sein neuestes Werk bei Amazon Prime Video zu sehen: „Tender Bar“. Wie gut ist die Verfilmung das autobiographischen Romans von JR Moehringer geraten? Das verrät die Kritik.

Christopher Lloyd
JRs Großvater braucht eine Weile, um mit seinem Enkel warm zu werden.

Die Handlung

JR (Daniel Ranieri) ist noch jung, als seine Mutter Dorothy (Lily Rabe) mit ihm zurück in ihr Elternhaus zieht, weil sie pleite ist. JRs Vater, nur „die Stimme“ genannt, weil er Radio-DJ ist, hat die Familie sitzen lassen und zahlt keinen Unterhalt. Während es für seine Mutter eine persönliche Niederlage darstellt, zurück zu ihrem alten Vater (Christopher Lloyd) ziehen zu müssen, findet JR es toll. Denn neben vielen Cousins und Cousinen lebt auch sein Lieblingsonkel Charlie (Ben Affleck) im Haus. Und der arbeitet nicht nur in einer Bar namens „The Dickens“ nach dem englischen Schriftsteller. Sondern dient JR auch als moralischer Kompass fürs Leben. Onkel Charlie hat stets den richtigen Rat für ihn und erklärt ihm anhand von Regeln und No-Gos seinen Platz in der Welt.

Als junger Mann schafft es JR (jetzt Tye Sheridan) tatsächlich, trotz seiner Herkunft aus einer armen Familie, auf der Eliteuniversität von Yale angenommen zu werden. Dort findet er nicht nur neue freunde und lässt sich sein Herz brechen, er muss auch entscheiden, was er nun mit seinem Leben anfangen will. Soll er auf seine Mutter hören und Anwalt werden? Oder doch lieber auf seinen Onkel Charlie und seine eigene, innere Stimme, die ihm beide sagen, dass er zum Schriftsteller geboren ist? JRs Kampf um diese Frage hat er zwar schnell beantwortet, mit der Umsetzung ist das aber so eine Sache: Wer sagt einem, wann man Schriftsteller ist?

Dicht an der Handlung, weit weg vom Gefühl

Es gibt verschiedene Arten von Literaturverfilmungen. Manche versuchen, sich dicht an der Vorlage zu halten und die Geschichte des Romans oder der Kurzgeschichte möglichst genau wiederzugeben. Andere wiederum entfernen sich inhaltlich von der Handlung und bemühen sich mehr darum, die Essenz des Werkes auf die Leinwand oder den Bildschirm zu transportieren, um die Emotion einzufangen, die der Autor zwischen die Buchdeckel presste. Und ganz wenigen Filme gelingt beides. Um die Spannung nicht über Gebühr steigen zu lassen: George Clooneys Adaption von Tender Bar zählt in die erste Kategorie, hat den wichtigen Teil der zweiten Variante aber nicht geschafft. Wer das Buch geliebt hat, wird die Gründe dafür im Film kaum wiederfinden.

Denn hier geht es nicht nur um eine etwas merkwürdige Art des Erwachsenwerdens in einer Familie, die aus einem John Irving-Roman stammen könnte. Sondern auch um all die kleinen Weisheiten und wundervollen Formulierungen, mit denen Moehringer sein jüngeres Ich die Welt entdecken lässt. Und die kommen im Drehbuch des eigentlich erfahrenen Autoren William Monahan („The Departed“) nicht ausreichend zur Geltung. Ebenso wenig wie die titelgebende Bar, die im Film bestenfalls eine Nebenrolle spielt, während sie im Buch JRs zentrale Anlaufstelle ist. Auch Charlies Stammgäste, die im Roman zu einem nicht unerheblichen Teil von JRs Bildung beteiligt sind, finden im Film im Vergleich dazu kaum statt. Hier setzt Monahan die Schwerpunkte deutlich anders als in der Vorlage, trifft aber nur selten dabei wen richtigen Ton.

Lily Rabe
JRs wichtigster Halt ist seine Mutter Dorothy, die von JRs Vater verlassen wurde.

Verschenkte Stars

Das betrifft auch die Schauspieler. Denn viele der Rollen sind im Vergleich zum Buch einfach zu klein, um ihre Wirkung zu entfalten. In den wenigen Szenen, die er bekommt, kann Christopher Lloyd den spleenigen Großvater nicht wirklich zum Leben erwecken. Auch Lily Rabe bleibt blass, weil sie einfach nicht viel zu tun bekommt. Und Tye Sheridan verleiht der Rolle des JR zu wenig Ecken und Kanten, um wirklich emotional beim Publikum anzukommen. Leidglich Ben Affleck als unerschütterliche Brandmauer gegen jeglichen schlechten Stil und Verteidiger von Coolness und Wahrhaftigkeit, trifft genau den lakonischen Ton, den die Figur auch im Roman vor sich herträgt wie eine Fackel. Und das ist zu wenig, um aus einem tollen Buch auch einen guten Film zu machen.

Clooney agiert als Regisseur gewohnt zurückhaltend und macht so nicht viel falsch, kreiert aber auch keine wirklich emotionalen Momente mit dieser Herangehensweise. Und wenn man ihm unterstellt, den Roman vorher gelesen zu haben, dann hätte er erkennen müssen, dass das Drehbuch diesem großartigen Buch schlicht nicht gerecht wird. Weil Tender Bar als Film eigentlich keine nennenswerten Höhepunkte aufweist und stattdessen wie ein langer ruhiger Fluss vor sich hin mäandert. Zudem hebt Clooney die 70er und 80er, in denen die Story spielt, unnötigerweise auf eine Art Podest. Obwohl die Zeit für die Handlung selbst gar nicht so wichtig ist. Moehringer erlebte das zwar in diesem Zeitraum. Aber der Film vermittelt den Eindruck, dass dieser Fakt essentiell sei – und das ist er sicher nicht.

Ben Affleck
JRs Lieblingsplatz ist die Bar seines Onkels Charlie, in der der Junge groß wird.

Tender Bar ist deshalb noch kein schlechter Film. Kein Schauspieler ist wirklich schlecht, keine Szene wirklich mies. Aber wenn die Essenz eines Romans in einer Adaption nicht wenigstens hin und wieder aufleuchtet, dann bleibt der Film dunkler, als er sein dürfte. Und genau das muss man Clooneys Adaption bescheinigen.

Fazit:

Mit Tender Bar liefert Regisseur und Produzent George Clooney eine leider nur mittelmäßige Adaption eines großartigen Buches ab. Zwar liegt ein Teil des Charmes in der Sprache von Autor JR Moehringer, aber das Drehbuch des Films schafft es viel zu selten, den emotionalen Kern der Vorlage zu treffen und den Zuschauer wirklich ins Leben des jungen JR mitzunehmen. Während der Leser zum Komplizen und Freund des Protagonisten wird, bleibt der Zuschauer nur Zuschauer. Wer das Buch nicht kennt, wird möglicherweise dennoch einen netten Abend haben, denn richtig schlecht ist hier nichts. Kenner des Romans dürften an Tender Bar aber in dieser Form nur wenig Freude empfinden,

Tender Bar startet am 7. Januar 2022 bei Amazon Prime Video.

Tender Bar
Charlie erweist sich für JR als perfekter Ratgeber. Denn er ist zwar nicht reich, aber unglaublich belesen und weise.