Ballon

Filmkritik: Ballon

Nicht jeder weiß, dass Michael „Bully“ Herbig schon früher immer wieder aufs dramatische Fach geschielt hat, auch wenn Millionen Fans ihn als Comedian lieben. Mit „Ballon“, der den atemberaubenden Fluchtversuch zweier Familien aus der DDR in den Westen thematisiert, macht der 50-jährige als Regisseur nun endgültig ernst. Kann der Film mit Bullys lustigen Erfolgen mithalten und sein Publikum erneut begeistern?

Die Nation kennt ihn als umwerfend lustige Winnetou-Parodie oder wilde Kaiserin. Doch Michael Herbig, den viele nur unter seinem Spitznamen Bully kennen, hat offenkundig auch andere Ambitionen – er möchte sich als Regisseur ernsthafter Filmstoffe einen Namen machen. Und dazu hat er sich ein ganz besonderes Kapitel deutsch-deutscher Geschichte vorgenommen: den Versuch, per Heißluftballon etwa 60 Kilometer weit aus der DDR über die Grenze nach Bayern zu fliehen. Wie schlägt sich Bully hier?

Ballon
Die Familien Wetzel und Strelzyk halten es in der DDR nicht mehr aus und planen eine waghalsige Flucht.

Ballon: Die Handlung

Thüringen 1979: Doris (Karoline Schuch) und Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) haben gemeinsam mit dem befreundeten Paar Petra (Alicia von Rittberg) und Günter Wetzel (David Cross) beschlossen, dass ihre Kinder nicht länger in der DDR aufwachsen sollen. Und wagen mit einem selbstgebauten Heißluftballon einen Fluchtversuch. Der endet nur wenig Meter vor der Grenze, weil dem Ballon die Luft ausgeht. Mit Mühe und Not können die Familien unentdeckt wieder nach Hause gehen, doch die Reste des Ballons werden bald gefunden.

Und nun hat die Stasi in Form des beinharten Oberstleutnants Seidel (Thomas Kretschmann) die Jagd auf die potenziellen Republikflüchtlinge aufgenommen. Nach einigem Hin und Her beschließen Peter und Günter, einen neuen, noch besseren Ballon zu bauen und die Flucht ein zweites Mal zu versuchen. Aber die Schlinge der Staatssicherheit zieht sich immer enger um die Wetzels und die Strelzyks. Und dass Strelzyk-Sohn Frank (Jonas Holdenrieder) sich ausgerechnet in die Tochter (Emily Kutsche) des örtlichen Stasi-Mannes verliebt, ist auch nicht hilfreich …

Ballon: Dramatischer als die Realität

Schon 1980 fand Disney den Stoff so spannend, dass ein Film dazu entstand: „Mit dem Wind nach Westen“. 2018 hält sich Herbig mit seinem Ballon zwar etwas genauer an die Fakten, überhöht aber ebenfalls bestimmte dramatische Momente deutlich. Dass kann man ihm vorwerfen, andererseits tun das fast alle Filme, die sich mit wahren Ereignissen beschäftigen. Und in Bullys Fall spricht die dadurch erreichte Qualität dafür, dass diese kleinen Abweichungen von der Realität in Ordnung sind. Denn Ballon ist ein richtig guter, spannender Film geworden.

Herbig verzichtet zwar nicht völlig auf gängige Klischees über die allgegenwärtige Stasi und den totalen Überwachungsstaat, in dem man nichts und niemandem trauen darf. Aber er legt den Fokus klar auf die beiden Familien und ihre internen Kämpfe um die richtige Vorgehensweise beim Fluchtversuch. Und treibt so die Spannung nach oben, selbst bei Zuschauern, die über den Ausgang des gefährlichen Abenteuers Bescheid wissen. Allein das beweist schon, mit welchem Können der ehemalige „Bullyparade“-Star seinen Film gedreht hat.

Ballon
Als der erste Versuch scheitert, setzt sich Stasi-Offizier Seidel auf die Spur der Familien.

Ballon: Tolle Schauspieler

Neben Herbigs zurückhaltender, aber sehr effektiver Inszenierung liegt die Qualität des Films aber auch an seinen Darstellern. Die Familien Wetzel und Strelzyk sind dem Zuschauer bereits nach wenigen Minuten grundsympathisch, ohne dass Herbig sie jemals in irgendeinen wie auch immer gearteten Heldenstatus erhebt. Und das auch nicht jeder Stasi-Mitarbeiter ein Monster war, zeigt das Script in Form des Nachbarn, der dort arbeitet und zwar mitunter ein wenig nervt, aber doch eigentlich ein netter Kerl ohne böse Absichten ist.

Und selbst beim undurchsichtigen Seidel, den Thomas Kretschmann angenehm ambivalent anlegt, kann man sich nie sicher sein, wie er trotz Pflichterfüllung tatsächlich über die Fluchtwilligen denkt – und ob er wirklich böse wäre, wenn sie ihm entwischen würden. Dazu findet Herbig auch die richtigen Bilder, wenn es dann tatsächlich in den zweiten Versuch geht. Ob der Ballon tatsächlich über die Grenze kommt oder nicht, das weiß der Zuschauer ebenso wenig wie die Flüchtlinge im Ballon. Und schon zu Beginn baut er mächtig Spannung auf, wenn Frank vor der ersten Flucht noch einen Abschiedsbrief an die Nachbarstochter in den Briefkasten wirft – und später alles versucht, ihn noch rechtzeitig zurückzuholen.

So erzählt Herbig mit mitunter sogar leichter Hand eine eigentlich düstere und tatsächlich sehr fesselnde Geschichte um den Freiheitswillen der Menschen. Und die Opfer, die sie dafür zu bringen bereit sind. Ohne seine Story mit zu viel politischen Statements auszubremsen, gelingt dem erfolgsverwöhnten Regisseur auf neuem Gebiet ein großer Wurf.

Fazit:

Mit Ballon präsentiert Michael Bully Herbig einen stark erzählten und für Nichtkenner der tatsächlichen Geschehnisse auch extrem spannenden Film. Mit tollen Schauspielern entwirft der Regisseur einen echten, nie aufgesetzt wirkenden Ausschnitt des DDR-Alltags. Und erliegt der Versuchung nicht, hier mit allzuviel Schwarz-Weiß-Malerei die Größe seiner wahren Geschichte zu verderben. Ein starkes Stück Zeitgeschichte, unterhaltsam und sehenswert aufgearbeitet.

Ballon startet am 27. September 2018 in den deutschen Kinos.

Ballon
Gelingt die Flucht aus der DDR im zweiten Versuch?