Ork in Nahaufnahme

Serienkritik: Die Ringe der Macht

Ob es nun die am meisten erwartete Serie des Jahres ist – oder nur die teuerste, ist wohl Ansichtssache. Fast steht, dass „Der Herr der Ringe – Die Ringe der Macht“ bereits seit Monaten mediale Funken sprüht und den vielleicht größten Shitstorm sogenannter Fans über sich ergehen lassen musste, den es in den vergangenen Jahren gab. Den einen ist es zu divers, den anderen nicht nah genug an der Vorlage, die es bei Licht betrachtet nicht einmal gibt. Aber wie sieht es mit wirklichen Fakten zur Serie aus? Benötigt die neue Serie das Vorwissen der Herr der Ringe-Filme? Hat sie überhaupt damit zu tun? Und von welcher Qualität ist sie ganz generell? Diese und andere Fragen beantwortet die Kritik.

Zwei Bäume
Das Geheimnis um die beiden Bäume Laurelin und Telperion bleibt eines – die Serie hat nicht die Rechte an deren Story.

Die Handlung

Der lange Krieg ist vorbei, die Elben haben Morgoth unter großen Opfern geschlagen. Doch Sauron, Morgoths wichtigster Diener, ist entkommen und Galadriels (Morfydd Clark) Bruder schwört, den Hexenmeister zu jagen und auszuschalten. Dieser Schwur kostet ihn das Leben. Und so übernimmt Galadriel seine Rolle und sucht in allen Winkeln Mittelerdes nach Sauron und seinen Orks …

Im Gebiet Rhovanion leben die Haarfoots, aus denen später die Hobbits hervorgehen sollen. Sie wohnen in kleinen nomadischen Stämmen zusammen und sammeln ihre Nahrung in der Natur. Eines Nachts entdeckt die junge Nori (Markella Kavanagh) in den Überresten eines Meteors einen Überlebenden. Doch der seltsame Fremde scheint weder ein Mensch noch ein Elb zu sein …

In den Südlanden westlich von Mordor wohnen Menschen, die im Großen Krieg auf Seiten Morgoths gekämpft haben. Obwohl das Jahrhunderte her ist, bewachen die Elben noch immer das Gebiet aus ihrer Festung heraus, die sie in der Nähe bauten. Doch nun ergeht der Befehl, dass diese Wachen enden soll. Der Elb Arondir (Ismael Cruz Cordova) ist als einziger nicht glücklich darüber, hat er sich doch in die menschliche Heilerin Bronwyn (Nazanin Boniadi) verliebt. Als sich die Zeichen mehren, dass ein neues Übel auftaucht, machen sich die beiden auf den Weg zur Erkundung …

Der Halbelb Elrond (Robert Aramayo) wird von König Gol-Galad (Benjamin Walker) zur Unterstützung des berühmten Elbenschmiedes Celebrimbor (Charles Edwards) in die Gegend von Eregion geschickt, wo auch die Zwergenminen von Khazad-Dum liegen. Einst war Elrond gut mit Durin IV (Owain Arthur), dem Prinzen der Zwerge, befreundet. Und diese Freundschaft soll den Grundstein für neue Beziehungen legen. Doch der Empfang bei den Zwergen fällt eher frostig aus …

Optisch eine Augenweide

Dass Die Ringe der Macht eine große Serie wird, merkt der Zuschauer schon daran, dass gar nicht alle Handlungsstränge in den ersten beiden Episoden der Serie Platz finden. Obwohl die gut einstündigen Folgen alles andere als inhaltsleer sind. Dennoch hat es die Insel Numenor mit ihren Charakteren nicht in den Auftakt geschafft und dürfte erst in Episode drei erstmals zu sehen sein. Doch auch ohne die Insel im Westen bieten die ersten Episoden viel Augenfutter: den hohen Norden von Forodwaith, das spätere südliche Gondor, das Elbenreich Lindon an Mittelerdes Westküste und das Zwergenreich von Khazad-Dum, um nur einige zu nennen. Eine optische Enttäuschung ist nicht dabei, man sieht der Serie die vielen Millionen, die sie gekostet hat, jederzeit an.

Auch im Detail. Ob die Schenke im kleinen Dorf im Süden, die in Bäume geschnitzten Heldenstatuen des Großen Krieges oder die Pflanzen in den Haaren der Haarfoots – überall sind die Bilder bis ins Kleinste auf Goldrand genäht und überbieten sich in optischer Brillanz. Manches ist natürlich Geschmackssache wie die manchmal leicht kitschig wirkenden Plätze der Elben. Insgesamt bietet Die Ringe der Macht aber absolutes Kinoniveau, was die Qualität der Optik angeht. Die dürfen sogar manches Detail zeigen, was die Serie mangels dafür nötige Lizenz gar nicht groß erklären darf. Wer sich in der umfangreichen Historie Mittelerdes nicht so gut auskennt, für den bleiben einige Momente der ersten beiden Folgen daher auch eher böhmische Dörfer.

Die Ringe der Macht
Die Elbin Galadriel ist so etwas wie die Hauptfigur der Serie. Sie sucht nach dem Hexenmeister Sauron.

Nichts für Puristen

Und hier fangen die Probleme für manche Fans auch an. Denn Amazon besitzt die Rechte an der Vorgeschichte zum Zweiten Zeitalter nicht, das Silmarillion wurde nicht freigegeben. Daher können die Showrunner und Autoren der Serie viele Dinge nicht erklären, einfach, weil sie es nicht dürfen. Auf der anderen Seite lauert Warner darauf, dass die Serie auf keinen Fall ihren sechs Filmen zu ähnlich sieht, sodass die Macher von Die Ringe der Macht auch an dieser Front sehr aufpassen müssen, um sich keine Millionenklage zu fangen. J.D. Payne und Patrick McKay traten die Flucht nach vorn an und veränderten einige der bei Tolkien niedergeschriebenen Storys und Beschreibungen, um ihre Serie so zu erzählen, wie sie es für sinnvoll und zielgruppengerecht erachtet haben.

Was den Laien mangels Wissen kaum stört, ficht allerdings weltweit viele beinharte Tolkien-Fans so dermaßen an, dass sie die Serie niederknüppeln, wo immer möglich. Auf den einschlägigen Wertungsportalen sind die Wertungen der Kritiker komplett andere als die der Zuschauer. Die werten zu einem großen Teil entweder mit einer 1 oder einer 10. Beides hat die Serie nicht verdient. Wenn man also das Gejammer über schwarze Elben, bartlose Zwergenfrauen und eine zu kriegerische Galadriel einmal beiseite lässt, gibt es dennoch Dinge, die angesprochen werden müssen.  Denn den beiden ersten Episoden merkt man die Last an, die sie tragen müssen. Das Erschaffen einer für viele Zuschauer komplett neuen Welt – das dauert seine Zeit. Daher glänzen die ersten Folgen noch nicht durchgehend mit Hochspannung.

Die Ringe der Macht
Zwergenprinzessin Disa ist die vielleicht sympathischste Figur der ersten Folgen – und das Objekt des Hasses vieler beinharter Tolkienfans.

Starker Auftakt, aber nicht perfekt

Und auch manche Unterschiede zu Jacksons Filmen sind für Zuschauer deutlich. So sind Jacksons Elben deutlich zurückhaltender und mystischer als die Elben der Serie. Was schlicht daran liegt, dass jetzt viel aus deren Perspektive erzählt wird. Und ein enigmatisch lächelnder, aber ansonsten schweigsamer Charakter das Publikum kaum mitnehmen würde. Payne und McKay haben sicher Respekt vor der Vorlage, halten sich aber nicht sklavisch an die ohnehin wenigen Vorgaben, die aus den Anhängen des Herr der Ringe-Romans zu ziehen sind. Stattdessen bemühen sie sich, die großen vorgegebenen Geschichten des Zweiten Zeitalters schon früh anzulegen. Und neue Charaktere zu etablieren, ohne die eine Serie einfach keine spannenden Momente schaffen kann.

Mit Emotionen können Payne und McKay im Auftakt ihrer Serie gut umgehen. Der geheimnisvolle Fremde, den die Haarfoots finden, verbreitet das unangenehme Gefühl einer möglichen Bedrohung. Der erste Auftritt eines Orks hat ebenfalls das Zeug, den Zuschauern Respekt vor diesen Kreaturen abzunötigen. Überhaupt ist die offen zur Schau getragenen Sorglosigkeit der Elben, obwohl der Zuschauer es doch schon besser weiß, gelungenes Foreshadowing auf kommende Ereignisse. Galadriel ist in ihrer Zerrissenheit zwischen Loyalität zu Bruder und König sehr sehenswert. Und Figuren wie Bronwyn und ihr Sohn Theo oder Halbrand bringen frischen Wind in die Erzählung, kann sich doch vieles mit diesen Charakteren entwickeln, was im Fall von Galadriel oder Elrond eben nicht möglich ist, da deren Schicksal feststeht.

Die Ringe der Macht
Elb Arondir und die menschliche Heilerin Bronwyn fühlen etwas füreinander. Doch Beziehungen zwischen diesen beiden Völkern gehen bei Tolkien selten gut aus.

Wer nur die Filme von Jackson kennt und jetzt die neue Serie sieht, wird Veränderungen bemerken, die unterschiedliche Gründe haben, sich aber in die neue alte Welt Mittelerdes gut einfinden können. Wer vorher noch gar nichts vom Herrn der Ringe kennengelernt hat und dennoch einschaltet, könnte mit vielen Details aber noch Verständlichkeitsprobleme haben. Tolkien-Fans, die auch die Bücher kennen, brauchen die normale Toleranzschwelle, wenn es um die Adaption von geschriebenem Wort in Bilder geht. Und die viele Buchleser ohnehin bereits entwickelt haben, denn viele Romanverfilmungen nehmen noch weit drastischere Änderungen vor, als es hier in der Serie passiert ist.

Fazit:

Der Herr der Ringe – Die Ringe der Macht ist die momentan teuerste Serie der Welt – und das sieht man. Die vielen aufgebauten Drehorte, die Erschaffung Mittelerdes bis ins kleineste Detail, das wirkt bereits auf dem Bildschirm beeindruckend und manchmal fast umwerfend gut. Die ersten beiden Folgen der auf fünf Staffeln ausgelegten Serie bringen die Story aber noch nicht auf Betriebstemperatur, sondern heizen erst den Handlungsofen an, um überhaupt möglichst viele Charaktere einzuführen, ohne dabei zu langweilen. Für Fantasyfans ist die Serie dennoch bereits jetzt ein Leckerbissen. Nur wem veränderte Haut- oder Haarfarben bereits zu viel Abweichung von Tolkiens Werk darstellen, sollte auf den Genuss von Die Ringe der Macht lieber verzichten.

Der Herr der Ringe – die Ringe der Macht startet am 2. September 2022 mit einer Doppelfolge bei Amazon Prime Video, danach folgt jeden Freitag eine weitere (insgesamt acht).

Numenor
Wer sind die denn? Das bleibt für Nichtkenner der Vorlage bis Episode 3 noch ein Geheimnis.