Winston Churchill war keineswegs ein beliebter Politiker, als er 1940 zum Premierminister Großbritanniens wurde, um das Land durch die schweren Zeiten des Zweiten Weltkriegs zu führen. Regisseur Joe Wright setzt dabei Gary Oldman als Churchill in „Die dunkelste Stunde“ derart gut in Szene, dass der Schauspieler als sicherster Kandidat auf den Oscar für die beste männliche Hauptrolle gilt. Hat der Film sonst noch etwas zu bieten?
Joe Wright kommt von den historischen Filmen einfach nicht los. Konnte er Anfang der 2000er zuerst mit „Pride and Prejudice“ und danach mit der brillanten Literaturverfilmung „Abbitte“ überzeugen, versuchte er sich danach an Massenmarkt-tauglicheren Stoffen. Aber weder sein Actiondrama „Wer ist Hanna?“, noch seine Version von Peter „Pan“ konnte das Publikum in Scharen anlocken. Läuft es mit Die dunkelste Stunde besser?
Die dunkelste Stunde: Die Handlung
Es beginnt mit einem Rücktritt. Neville Chamberlain (Ronald Pickup), konservativer Premier Großbritanniens, gehen die Ideen aus, wie er sein Land vor den Nazis schützen soll. Seine Partei einigt sich darauf, den unbeliebten, aber von der Opposition akzeptieren Winston Churchill als Nachfolger zu bestimmen. Doch weder König George VI. ist sonderlich begeistert von der Idee, den ruppigen, weitgehend manierenlosen Grantler ins Amt zu heben, noch der Rest der Konservativen.
Und tatsächlich ist Churchill kein sonderlich angenehmer Zeitgenosse. Wie die neue Schreibkraft Elizabeth Nel (Lilly James) bereits an ihrem ersten Arbeitstsag beim neuen Prime Minister feststellen muss. Lediglich seine Frau Clementine (Kristin Scott-Thomas) kann den groben Klotz einigermaßen kontrollieren. Und dennoch schickt sich der verbissene Kämpfer für ein freiheitliches Europa und mit tiefstem Abscheu vor Diktatoren wie Hitler an, sein Volk unter großen Opfern zum Durchhalten aufzufordern …
Die dunkelste Stunde: Die Gary Oldman-Show
Tatsächlich verwundert es nicht, dass außer Gary Oldman kein weiterer Aspekt des Films als Oscar-Anwärter gilt. Zu übermächtig, zu präsent ist der mittlerweile 59-jährige im gesamten Film. Es gibt nur wenige Szenen ohne ihn – und die sind meist nur halb so interessant. Vor allem die Duelle zwischen Oldman und Stephen Dillane („Game of Thrones“) als Staatssekretär Lord Halifax sind kleine Perlen des Films. Denn Churchill stand bei weiten Teilen der konservativen Partei dafür in der Kritik, sich gegenüber dem Dritten Reich in keinster Weise verhandlungswillig zu zeigen. Während Halifax eben diese Gespräche als einzige Chance Großbritanniens sah, den Krieg ohne große Verluste zu überstehen.
Oldman zeichnet seinen Winston Churchill als listigen Politiker und Genussmenschen, der ohne Zigarren und Champagner keine zwei Stunden überleben kann. Aber auch als flammenden Humanisten und Freigeist, dem die Pläne Nazideutschlands beinahe körperliche Schmerzen bereiten. Und der nichts unversucht lässt, um die bei Dunkirk eingeschlossene britische Armee nach Hause zu holen (ein Double-Feature mit Christopher Nolans „Dunkirk“ bietet sich hier an). Vor allem aber zeigen Oldman und Wright den Politiker als Mann mit untrüglichem Gespür dafür, was das Volk denkt und wünscht. In einer der stärksten Szenen des Films fährt Churchill mit der Londoner U-Bahn, um sich seine Ansichten vom einfachen Mann auf der Straße bestätigen zu lassen.
Die dunkelste Stunde: Der Krieg im Kopf
In seiner Inszenierung vermeidet Wright Kriegsbilder fast komplett. Lediglich eine Art Schaubild der Kämpfe in Frankreich lässt er sein Publikum sehen. Die dunkelste Stunde ist weitgehend ein Kammerspiel, das nur selten außerhalb von Räumen angesiedelt ist. Auch Action darf man in diesem Film nicht erwarten, Wrights Film ist reinstes Autorenkino mit viel Dialog und Monolog. Dennoch ist der Film in keinem Moment langweilig oder trocken. Denn Wright gelingt es, auch ohne Bilder den Krieg im Kopf der Zuschauer zu verankern. Schließlich ist jeder Gedanke Churchills nur mit dem einen Ziel beschäftigt – den Krieg nicht zu verlieren.
Traut sich Wright mit seinem Kameramann Bruno Delbonnel doch einmal nach draußen, schafft er pittoreske Bilder von der Schönheit Londons und seiner Einwohner, die manchmal an der Grenze zum Postkartenkitsch sind, aber nochmals optisch unterstreichen, warum Churchill sich dem Schrecken der Nazis nicht beugen will und kann, koste es, was es wolle. Gary Oldman ist es zu verdanken, dass Die dunkelste Stunde den Politiker Churchill nicht überhöht als Genie zeigt, sondern als ganz normalen Menschen. Der dadurch dem Publikum mit all seinen Fehlern auch viel sympathischer ist als eine historische Persönlichkeit.
Fazit:
Gut geschrieben, edel besetzt und die Hauptrolle von Gary Oldman großartig gespielt: Die dunkelste Stunde ist ein wunderbarer Film für Leute, die im Kino lieber wahre Geschichte und Geschichten erleben als fiktive Storys. Zwar nimmt sich Regisseur Joe Wright die eine oder andere Freiheit. Den Geist und die Seele seines Helden fängt er aber so gut ein, dass man Winston Churchill nach zwei Stunden tatsächlich zu kennen glaubt. Und dessen Mammutaufgabe, auch ohne einen einzelnen sterbenden Soldaten zu sehen, gut nachfühlen kann.
Die dunkelste Stunde startet am 18. Januar 2018 in den deutschen Kinos.