Der seltsam anmutende Titel „CODA“ ist eine Abkürzung und steht für „Child of Deaf Adults“, also ein Kind tauber Eltern. Im Januar 2021 lief der Film, das Remake eines französischen Films aus dem Jahr 2014, auf dem berühmten Sundance-Filmfestival. Und wurde dort von Apple für die kolportierte Summe von 25 Millionen für den eigenen Streamingdienst Apple TV+ eingekauft. Nun startet der Film über eine junge Frau mit tauber Familie endlich. Hat Apple da einen guten Deal gemacht und sich eine echte Perle aus dem Wasser von Massachusetts gezogen? Oder ist CODA völlig überschätzt und ein Film, den keiner braucht? Die Antwort liefert die Kritik.
Die Handlung
Ruby (Emilia Jones, „Locke and Key„) ist 17 Jahre alt und hat schon jede Menge Verantwortung. Weil sowohl ihr Vater Frank (Troy Kotzur), ihre Mutter Jackie (Marlee Matlin) und ihr großer Bruder Leo (Daniel Durant) gehörlos sind, muss sie als diejenige, die hören kann, viele Dinge für die Familie regeln. Zum Beispiel frühmorgens vor der Schule mit Vater und Bruder raus aufs Meer vor Gloucester, Massachusetts, fahren, um Fisch zu fangen, das Familiengeschäft seit Generationen. In der High School ist Ruby daher eine krasse Außenseiterin und hat lediglich eine Freundin, die freundliche Gertie (Amy Forsyth). Von normalen Aktivitäten wie andere Teenager kann Ruby hingegen meist nur träumen. Aber weil sie ihren Mitschüler Miles (Ferdia Walsh-Peelo, „Sing Street“) ziemlich süß findet und Singen ihr Hobby ist, meldet sie sich wie er zum Chor an.
Nach Startschwierigkeiten mit dem strengen Lehrer Bernardo Villalobos (Eugenio Derbez) wird bald klar, dass Ruby ein außergewöhnliches Talent fürs Singen besitzt. Leider etwas, das ihre Eltern und ihr Bruder nie verstehen können. Und so versucht die 17-jährige, sich zwischen ihrem Hobby, dem langsam an ihr interessierten Miles und ihren Verpflichtungen für die Familie, die sich nicht nur finanziell gerade in schwerem Fahrwasser befindet, zu zerreißen. Natürlich geht das nicht lange gut …
Nicht originell, aber sehr authentisch
So richtig originell und frisch ist die Story von CODA nicht, das lässt sich bereits daran ablesen, dass der Film ein Remake ist. Aber manchmal geht es eben nicht nur um die Geschichte, sondern auch darum, wie sie erzählt und gespielt ist. Und hier leisten die Regisseurin Sian Heder, die auch das Drehbuch schrieb, und ihr Cast Erstaunliches. Denn CODA schlägt den Zuschauer ab der ersten Minute in seinen Bann. Und entlässt ihn daraus die folgende 110 Minuten auch nicht mehr. Das gelingt Heder durch den hohen Grad an Glaubwürdigkeit und Authentizität, die sie in den Film packt. Das beginnt bei Rubys Familie, deren Darsteller alle tatsächlich taub sind und deshalb so glaubhaft eine Familie von Gehörlosen spielen können. Und die Marlee Matlin gegen den Willen der Produzenten durchdrücken musste.
Obwohl Ruby im Mittelpunkt des Geschehens steht, gibt Heders Drehbuch auch den anderen Familienmitgliedern interessante Nebenhandlungen, sodass sie nie zu Stichwortgebern verkommen, sondern eigene Charaktere werden können. So sind die Eltern nach vielen Jahren noch immer scharf aufeinander und bringen Ruby deshalb manchmal in peinliche Situationen. Leo hingegen leidet darunter, dass seine Eltern immer alles Wichtige Ruby überlassen. Und ihm nicht zutrauen, mit Problemen fertig zu werden. Ruby hingegen, die ohnehin nie eine normale Kindheit hatte, droht unter der Last der Verantwortung für die Familie und ihr eigenes leben und ihre Träume zu zerbrechen. Gerade diese kleinen Dramen, die so alltäglich sind, dass sie fast jeder kennt, fängt Heder fast schmerzhaft dicht ein und berührt deshalb so sehr.
Ein neuer Star in Sicht
Das liegt zum großen Teil an Emilia Jones. Die mittlerweile 19-jährige spielt die Rolle der Ruby so leicht und dabei doch so intensiv, dass der Zuschauer in jeder Szene mit ihr fühlen kann. Sie hält mühelos den Film zusammen. Und ist sowohl im Zusammenspiel mit ihren Kollegen als auch allein vor der Kamera absolut sehenswert. Gerade weil sie in vielen Szenen so uneitel agiert, bleibt ihre Performance im Gedächtnis. Und im großen Finale, bei dem Joni Mitchells Klassiker „Both Sides Now“ eine wichtige Rolle spielt, dürfte sie manch einen Zuschauer zu Tränen rühren. Keine Frage, Emilia Jones dürfte zu den kommenden Stars in Hollywood zählen, wenn sie weiterhin solche Leistungen abliefert. Ein nettes Wiedersehen gibt es auch mit Ferdia Walsh-Peelo, der seit Sing Street im Kino abgetaucht und nur in „Vikings“ dabei war.
Heder mischt in ihrem Script gekonnt eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte mit interessanten Figuren, eingebettet in einen glaubwürdigen Mikrokosmos der amerikanischen Küsten-Kleinstadt. Mit dem Gesangslehrer Bernardo oder den Eltern von Ruby erschafft Heder auch echte Typen, die aber stets so zurückgenommen agieren, dass sie den Zuschauern nie auf die Nerven gehen. Ganz im Gegenteil: Zwischen Vater und Tochter spielen sich ein paar der schönsten Szenen des gesamten Films ab. Dass Heder ganz nebenbei einen Blick auf den Alltag von Gehörlosen wirft und aufzeigt, wie wichtig wenigstens ein funktionierendes Paar Ohren für eine Familie sein kann, ist ein weiterer Aspekt, der CODA so sehenswert macht.
Fazit:
CODA ist ein echter Glücksfall. Ein Film, den man nicht nur sieht, sondern auch fühlt. Stark geschrieben und inszeniert, grandios gespielt und immer nah an der Realität, erzählt Regisseurin Sian Heder die Geschichte einer 17-jährigen, die zwischen Pflichtgefühl und eigenen Träumen fast zerrissen wird. Das ist nie peinlich, immer anrührend und ganz schon oft auch witzig. Würden alle Remakes so aussehen wie dieses, Hollywood dürfte gern häufiger auf bereits verfilmt Stoffe zurückgreifen. Leider bildet CODA die überaus gelungene Ausnahme.
CODA startet am 13. August 2021 bei Apple TV+.