Sergio

Filmkritik: Sergio

Er war lange für die Vereinten Nationen in vielen Krisengebieten der Welt unterwegs – Sergio Vieira De Mello. Nachdem Filmemacher Greg Barker dem Diplomaten bereits 2009 einen Dokumentarfilm widmete, setzte er dem Leben Sergios nun auch ein fiktionales Denkmal, dass sich dennoch eng an die wahre Geschichte hält. Für wen diese filmische Biographie interessant sein könnte und welche Fragen nach dem Sehen des Films offen bleiben, verrät die Kritik.

Bei berühmten Persönlichkeiten der Weltpolitik ist ein Film über ihr Lebenswerk kein einfaches Unterfangen. Wie viel von der privaten Person gehört in so einen Film? Welche besondere Leistung sollte die Story auf jeden Fall zeigen? Und welche Teile eines Lebens spart man aus, weil sie möglicherweise nicht spannend genug zu erzählen sind? Nachdem Greg Barker bereits vor gut zehn Jahren die Arbeit des brasilianischen UN-Diplomaten Sergio Vieira De Mello in einer Doku zeigte, hat er nun ein Drehbuch verfasst und gleich selbst verfilmt, das die Story anders erzählt. Lohnt sich der Film?

Sergio
Sergio und seine Carolina sein die Hauptfiguren des Films.

Sergio: Die Handlung

Eine Explosion, Chaos, Tote und Verletzte. Und mittendrin liegt der UN-Chefdiplomat Sergie Vieira De Mello (Wagner Moura, „Narcos“), seit einigen Monaten im Irak, um den Militäreinsatz der USA zu überwachen und dem Land den erhofften Neustart zu ermöglichen. Eine Bombe hat das Hauptquartier der UN getroffen und der verschüttete Sergio lässt sein Leben noch einmal an sich vorüberziehen. Seine beiden Söhne, zu denen er kein sonderlich gutes Verhältnis hat. Seine junge Frau Carolina (Ana de Armas, „Knives Out“), die er in Ost-Timor kennenlernte.

Und seine Einsätze in Kambodscha, Ost-Timor und dem Irak, wo der Shooting-Star der UN und als Nachfolger von Kofi Annan gehandelte Diplomat Menschen helfen und Leid beenden will. Nicht immer gelingt ihm das so, wie er sich wünscht – und doch kann Sergio auf einige Erfolge zurückblicken. Doch immer wieder kehren seine Gedanken zu seiner Frau zurück, die draußen nach ihm sucht. Wird Sergio den Anschlag auf die UNO überleben und wieder in die Arme seiner Frau zurückkehren? Oder bedeutet sein Einsatz in Bagdad seinen Tod?

Sergio: Spannendes Leben, wenig spannend verfilmt

Greg Barkers Film lebt von der Spannung, ob Sergio es lebend aus den Trümmern schafft oder nicht. Wer sich also an die wahren Ereignisse von 2003 nicht mehr erinnert, sollte lieber nicht googlen, um sich diese Spannung nicht zu nehmen. Mehr an Aufregung hat der Film nicht zu bieten. Unnötig kompliziert springt Barker in seiner Erzählung von verschiedenen Stationen in Sergios Leben zu anderen hin und her, ohne dass sich ein richtiger roter Faden ausmachen ließe. Und stellt dabei den Privatmann Sergio deutlich mehr in den Vordergrund als den Diplomaten.

Und das ist schade, denn gerade die Begegnungen Sergios mit Machthabern, Rebellenchefs oder Handlangern der Mächtigen sind die interessantesten Momente im ganzen Film – leider auch die seltensten. Wenn Sergio feststellt, dass er mit dem Chef der roten Khmer gemeinsam in Paris studierte oder er mit dem Rebellengeneral auf Ost-Timor über eine Entschuldigung Indonesiens für 24 Jahre Besatzung verhandelt, dann würde man davon gern mehr sehen. Doch dafür hat Barker seiner Ansicht nach wohl schon den Dokumentafilm gedreht. In Sergio geht es um Liebe.

Sergio
Im strömenden Regen Ost-Timors kommen Sergio und Carolina sich näher.

Sergio: Viel Platz für die Liebe

Denn die Love-Story zwischen Sergio und Carolina nimmt im Film einen breiten Raum ein. Und kommt zwar in schönen Bildern, aber auch ab und zu ein wenig kitschig daher. Eine Sex-Szene in schummrigem Licht. Erste Kontakte im strömenden Regen. Das driftet immer wieder in seichte Gewässer ab, die das eigentlich deutlich tiefergehende Leben Sergios nicht verdient hat. Dass der Zuschauer dennoch dranbleibt, liegt denn auch weniger am Geschehen selbst, sondern mehr an den starken Schauspielern.

Wagner Moura spielt Sergio als zwar beherrschten, aber doch leidenschaftlichen Politiker, dem seine Aufgaben mehr Berufung als Beruf sind. Und die meist großartige Ana de Armas überzeugt auch in der Rolle von Sergios großer Liebe einmal mehr. Auch ohne viel Text vermittelt sie die komplexen Gefühle, die sie angesichts einer so schwierigen Liebe empfindet, in jeder ihrer Szenen. Allerdings bleibt da wenig Raum für andere Rollen. Und so ist Clemens Schick als Bodyguard ebenso Beiwerk wie Bradley Whitford („Get Out“) als zwielichtiger US-Agent.

Greg Barker mag ein sehr guter Dokumentarfilmer sein, als Spielfilm-Autor und Regisseur hat er aber noch Luft nach oben. Die wirklich interessanten und für das Publikum relevanten Momente in Sergios Karriere erzählt Barker ohne Finesse oder eine spannenden Inszenierung nach, hakt sie ab wie auf einer Checkliste. Zudem fehlt durch die nicht chronologische Erzählung oft die Klarheit, in welchem Abschnitt von Sergios Leben der Zuschauer jetzt gerade ist. Immerhin stellt Barker seinen Helden nicht auf einen Sockel und macht so den Menschen hinter dem Amt sichtbar.

Fazit:

In seinen knapp zwei Stunden interessiert sich Regisseur und Drehbuchautor Greg Barker leider deutlich mehr für die Liebesgeschichte zwischen Sergio und Carolina als für die Arbeit, die den Diplomaten so berühmt machte. Dem Publikum dürfte es genau umgekehrt gehen. Zumal die wenigen Szenen, in denen Sergio mit den Verantwortlichen einer Krise verhandelt, die besten des ganzen Films sind. Es ist Wagner Moura und Ana de Armas zu verdanken, dass der weitgehend spannungsarme Film zumindest ein paar berührende Momente aufweisen kann.  

Sergio startet am 17. April 2020 bei Netflix.

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