Voyagers

Filmkritik: Voyagers

William Golding brachte 1954 seinen ersten Roman heraus: „Herr der Fliegen„. Damit schrieb der 1993 verstorbene Schriftsteller nicht nur sein mit Abstand bekanntestes Werk gleich zu Beginn seiner Karriere, er gewann für diesen Roman 1983 auch den Literatur-Nobelpreis. Gehaltvolle Kost also, von der sich Regisseur und Drehbuchautor Neil Burger da inspirieren ließ. Kann „Voyagers“ als Herr der Fliegen im All überzeugen? Oder hat sich Burger mit diesem Projekt deutlich verhoben? Das klärt die Kritik.

Die Handlung

Im Jahr 2063 stellt die Menschheit fest, dass die Erde langfristig nicht mehr zu retten ist. Um die Spezies zu erhalten, schmieden die Regierungen einen ehrgeizigen Plan. Ein Generationenschiff soll 86 Jahre lang durchs All reisen, um einen erdähnlichen Planeten zu erreichen und dort eine Kolonie zu gründen. Die Besatzung für diese Mission wird aus den begabtesten und klügsten Köpfen der Menschheit im Labor zusammengestellt und künstlich zur Welt gebracht. Projektleiter Richard überwacht persönlich die Erziehung der Kinder, bis sie – in seiner Begleitung – endlich losfliegen. Die ersten Jahre verlaufen auch nach Plan und weitgehend ereignislos.

Doch eines Tages stellt Christopher (Tye Sheridan) durch einen Zufall fest, dass ihr Getränk, das sie täglich zu sich nehmen sollen, mit Drogen durchsetzt ist. Diese Chemikalien sollen zu starke Gefühlsregungen und sexuelles Interesse bei den Teenagern unterdrücken und somit die Mission sichern. Doch Christophers Freund Zac (Fionn Whitehead, „Dunkirk„) nimmt die Nachricht anders auf als Christopher: Er verweigert ab sofort das Getränk. Und entwickelt sich sehr bald zum rücksichtslosen Machtmenschen, der gerne die Führung der Mission übernehmen würde. Dazu ist ihm jedes Mittel recht. Nach kurzer Zeit schon müssen Christopher und die junge Sela (Lily-Rose Depp) um ihr Leben fürchten …

Herr der Fliegen mit Variationen

Die Grundidee der Jugendlichen, die ohne Führung durch einen Erwachsenen schnell in archaische Verhaltensweisen zurückfallen und somit die Zivilisation nur ein dünnes Tuch ist, das leicht zerrissen werden kann, wie Goldings zutiefst pessimistischer Roman suggeriert, ist auch in Voyagers klares Leitmotiv. Man täte Neil Burger aber Unrecht, wenn man es als werkgetreue Adaption einordnen würde. Denn ein paar neue Ideen hat Regisseur und Autor schon hinzugefügt. So spielt in Goldings Roman der sexuelle Aspekt keine Rolle, in Burgers Film ist das jedoch eine der stärksten Antriebsfedern für Zacs Verhalten – und das einiger anderer Besatzungsmitglieder.
 
Auch der Aspekt des Spiels, aus dem irgendwann Ernst wird, wenn in Goldings Werk eine Jungenbande plötzlich den Geschmack an Macht und Unterdrückung entdeckt, ist in Voyagers kaum vorhanden, Unterschiede zum berühmten Roman sind also schon da. Dass der Film aber von der Idee Goldings stark beeinflusst sein dürfte, lässt sich kaum abstreiten. Die internationalen Kritiken waren ungnädig, und sicher nicht aus dem Grund, dass sich Voyagers zu nahe am Herr der Fliegen aufhält. Bei Science-Fiction-Filmen sollte einfach das Universum und die Motivation für Handlungen in besonderem Maße glaubhaft sein. Und das hat Burger leider völlig verhauen.
 
Voyagers
Zac ist an Sela interessiert – und macht ihr das auch deutlich.

Fehler im Script

Es geht damit los, dass in der Story immer die Rede davon ist, dass durch den 86 Jahre dauernden Flug erst die dritte Generation von Raumfahrern das Ziel erreichen würde. Tatsächlich ist es für die Jugendlichen an Bord durchaus denkbar, mit knapp 100 Jahren noch zu leben und das Ziel mit eigenen Augen zu sehen. Damit fällt aber genau jene Perspektivlosigkeit als Grund weg, auf dem Burger einen guten Teil seiner aggressiven Verhaltensweisen aufbaut. Zudem stellt sich die Frage, wie die erste Generation an Bord weitere großziehen will, wenn sie über Liebe und Zuneigung nicht das Geringste wissen? Das sind gleich zwei dicke Böcke, die einem erfahrenen Drehbuch-Autor eigentlich nicht unterlaufen sollten.

Und auch das neu erwachte sexuelle Verlangen inszeniert Burger leider mehr als plump. Wenn Zac Sela erst vorsichtig berührt und dann schnell mit den Händen auf ihren Brüsten landet, ist das vielleicht ein Verhalten, dass man einem Fünfjährigen noch abnehmen würde, einem Jugendlichen, der durchaus um gesellschaftliche Konventionen weiß und auch das von Richard verhängte Berührungsverbot kennt, dürfte sich nicht derart danebenbenehmen, um sich „ein Weibchen zu erobern“. Das Thema Sex ist Burger leider ziemlich entglitten. Dennoch ist Voyagers keine totale Katastrophe. Das liegt am gelungenen, kalten Look des Sets, aber auch an den Schauspielern.
 
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Der Alltag der Jugendlichen ist alles anderes als abwechslungsreich.

 Abgesehen von der Kontaktszene ist Fionn Whitehead ein ziemlich glaubwürdiger Soziopath, der vielleicht etwas schnell zum Fiesling wird, den aber überzeugend spielt. Auch Tye Sheridan meistert seine Rolle des vernünftigen und zurückhaltenden Christopher recht ordentlich. Lediglich Lily-Rose Depp wirkt den ganzen Film über, als habe sie das blaue Getränk, das Gefühle unterdrückt, nie abgesetzt. Ihr Spiel bleibt durchgehend so kühl und unbeteiligt, dass sie als Schwachpunkt des Films gelten muss. Den Machtkampf zwischen Vernunft und Instinkt inszeniert Burger allerdings spannend genug, dass Voyagers ordentlich unterhält, wenn man über die vielen Fehler nicht nachdenkt.

Fazit:

Einigermaßen spannend ist Voyagers durchaus geworden und auch die Variation von Goldings Herr der Fliegen ist im Prinzip eine schöne Idee. Und die beiden männlichen Hauptdarsteller geben sich alle Mühe, ihren Figuren Leben einzuhauchen. Das gelingt Regisseur und Drehbuchautor Neil Burger bei seinem Film aber nur bedingt. Lässt sich der coole, blaustichige Look des Films noch als Gegenstück zu den aufbrechenden Emotionen der Protagonisten deuten, sind die inhaltlichen und logischen Schwächen im Script nicht mehr zu verzeihen. Spannend findet man Voyagers wohl dann, wenn man über diese dicken Fehler nicht weiter nachdenkt. Wer sich nur unterhalten lassen will, bekommt mit Voyagers keinen wirklich schlechten Film zu sehen, der aber viel vorhandenes Potenzial verschenkt.

Voyagers startet am 30. April 2021 bei Amazon Prime.

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Der Kampf der beiden Alpha-Männchen um die Macht hat auch Auswirkungen auf die anderen Mitglieder der Gemeinschaft.