Das Entwicklerstudio Firaxis glänzte im vergangenen Jahrzehnt mit Civilization 6 und X-COM Enemy Unknown sowie X-COM 2. Nun hat sich das Studio von Legende Sid Meier erstmals an einem Lizenzspiel versucht und mit Marvel’s Midnight Suns gleich die angestammten Genres verlassen. Ist das gut gegangen?
Als Firaxis erstmals ankündigte, ein Spiel mit Marvels Superhelden zu veröffentlichen, war das Interesse groß. Und so gut wie alle Fans gingen davon aus, dass Midnight Suns eine Weiterentwicklung der X-COM-Idee sein würde: Ausgewählte Helden ziehen gegen Gegner in den Kampf und setzen ihre speziellen Fähigkeiten rundenbasiert ein, um letztlich zu siegen. Obwohl sie damit nicht völlig falsch liegen, ist Midnight Suns aber doch deutlich anders ausgefallen als vermutet.
Die Handlung des Spiels
Zu Beginn einer Partie erschafft der Spieler einen neuen Superhelden: Hunter. Er oder sie, das steht dem Spieler frei, ist das Kind einer mächtigen Dämonin namens Lilith, die nach Jahrhunderten wieder auftaucht, mächtige Wesen wie Venom oder Sabretooth unter ihren Bann zwingt und mit ihnen und der Verbrecher-Organisation Hydra versucht, einen uralten, bösen Gott in unsere Dimension zu rufen. Hunter hat das bereits einmal gestoppt und dafür mit dem Leben bezahlt. Doch nun holt Sarah, eine mächtige und unsterbliche Hexe, die Hunter einst aufzog, ihren Schützling zurück ins Leben, um erneut gegen die eigene Mutter zu kämpfen.
Dazu versammelt Hunter im Lauf des Spiels zwölf Helden um sich, die sich zu den titelgebenden Midnight Suns zusammenschließen und ebenfalls gegen Liliths Schergen antreten. Je mehr sich Hunter mit jedem einzelnen Helden anfreundet, desto stärker werden dessen Fähigkeiten, bis sie am Ende sogar eine spezielle Rüstung und eine legendäre Fähigkeit freischalten können – wenn sie die entsprechende Aufgabe schaffen. Ein Großteil der Handlung spielt in der Abtei, einem altehrwürdigen Gebäude, das inmitten einer kleinen Taschendimension vor Liliths Augen versteckt liegt. Und in dessen Umgebung Hunter etliche Rätsel lösen kann, um Ausrüstung und andere nützliche Dinge zu finden.
Der Ablauf
Nachdem die Story mit langen Einführungen der Figuren und des Plots gestartet ist, gibt es den immer gleichen Ablauf. Hunter erwacht und kann dann verschiedene Dinge tun, bevor es zur Mission des Tages kommt. Der Spieler kann in der Höllenfeuerschmiede neue Karten entdecken, die in der Regel als Beute der Vortagsmission (Gamma-Helixe) von Tony Stark geöffnet werden. Und die während der Missionen zum Einsatz kommen. Es können neue Werkzeuge gebaut werden, die allerdings vorher erforscht werden müssen. Das dauert zwar stets nur einen Tag, allerdings sind die meisten Forschungen mit Leistungen verknüpft. So muss der Spieler etwa eine bestimmte Anzahl Missionen mit Spider-Man gespielt oder eine bestimmte Menge Karten für Wolverine verbessert haben, um die Forschung freizuschalten.
Danach lassen sich im Hof Karten verbessern, wenn man zwei oder mehr von der gleichen Sorte besitzt und später auch modifizieren, wenn man die entsprechende Forschung geschafft und das Werkzeug dafür gebaut hat. Außerdem gibt es ein tägliches Training mit einem Helden, dass etliche nützliche Funktionen aufweist: Die Freundschaft wächst und verschiedene Belohnungen gibt es noch obendrauf. Im War Room können Helden dann auf Missionen geschickt werden, die meist Karten als Entlohnung abwerfen, X-Com 2-Spieler kennen dieses Prinzip bereits als verdeckte Aktionen der verschiedenen Fraktionen. Hier ist es simpler gehalten.
Mission Possible – einmal am Tag
Sind die morgendlichen Möglichkeiten erschöpft, muss sich der Spieler dann für eine von mehreren Missionen entscheiden, die das Spiel an der Spiegeltafel anbietet. In Lila eingefärbt sind die Handlungsmissionen, die die Story weitererzählen und im Lauf der Zeit die Anzahl an Helden vergrößern, die zur Verfügung stehen. Beliebte Marvel-Charaktere wie Spider-Man oder Wolverine müssen so erst freigespielt werden, bevor sie zum Team stoßen. Alternativ kann der Spieler aber auch eine Mission wählen, die nicht zur Story gehört, aber fette Beute verspricht.
Das können neben den Gamma-Helixen, aus denen Stark die Karten birgt, auch Infospeicher sein, in denen Infos (Währung im Spiel) sowie in der Regel zwei Heldenmissionen für den War-Room stecken. Dazu gibt es kosmetische Belohnungen wie Farbpaletten für die Kostüme oder Augen, und einfach Credits, die im Spiel ebenfalls benötigt werden, zum Beispiel für das tägliche Training mit einem Helden. Und natürlich sammeln die Helden Erfahrungspunkte und steigen so Stufe um Stufe auf. Das macht sie allerdings nur stärker und gibt ihnen mehr Gesundheut, neue Fähigkeiten sind über den Level-Up nicht zu haben.
Ist die Mission gewonnen (sie kann beliebig oft neu begonnen werden, falls sie nicht gut läuft), kehrt Hunter mit den zwei Mitstreitern zurück in die Abtei und kann den Abend sowohl mit freundschaftlichen Aktivitäten verbringen, die später noch genauer beleuchtet werden, oder in der Umgebung Rätsel lösen, wobei dieses Rätsel meist darin besteht, welchen von vier Zaubersprüchen, die der Spieler hier freischalten kann, an dieser Stelle wohl der richtige ist. Auch dazu später mehr. Am Ende des Tages lohnt sich noch ein Gang durch die gesamte Abtei, weil jeden Abend irgendwo Credits, Heldenpunkte oder andere nützliche Währungen versteckt sind, die der Spieler einsammeln kann. Das ist ebenso öde wie nützlich, denn oft fehlen nur wenige Credits für Forschung oder Training, die am Abend zuvor hätten gesammelt werden können. Ist schließlich alles erledigt, was das Spiel zu bieten hat, geht Hunter schlafen – und ein neuer Tag beginnt.
Nicht alles typisch Firaxis
Auch wenn erfahrenen X-Com-Spielern manches vielleicht bekannt vorkommt: mit Marvel’s Midnight Suns begibt sich Firaxis auf neues Terrain. Allerdings erfinden sie das Rad nicht neu, sondern borgen sich bereits bewährte Spielmechaniken für ihr Spiel aus. Das beginnt mit den Karten. Die Fähigkeiten der Helden wie Spider-Man oder Blade stehen nicht einfach so zur Verfügung, sondern befinden sich in einem Kartendeck mit acht Karten, die der Spieler vor einem Kampf aussuchen kann. Die sind zu Beginn gewöhnlich (weiß), im Verlauf des Spiels lassen sich für alle Helden aber auch seltene (blau), epische (lila) und sogar legendäre (orange) Karten freispielen, die dann ins Deck integriert werden können. Allerdings gibt es klare Vorschriften.
Alle drei Kartenarten (Angriff, Skill, Heldentat) müssen vorkommen, höchstens vier Heldentaten sind erlaubt. Bei drei Helden im Kampf hat der Spieler also insgesamt 24 Karten zur Verfügung, die sich nach Möglichkeit in ihren Fähigkeiten ergänzen oder gegenseitig stärken sollten. Dennoch spielt bei Midnight Suns natürlich der Glücksfaktor eine entscheidende Rolle. Das beste Deck nützt wenig, wenn ausgerechnet die wichtigsten Karten für einen guten Start in den Kampf nicht dabei sind. Und auch durch mehrfaches Nachziehen einfach nicht kommen wollen. Das kennen X-Com-Spieler bereits, wenn der wichtige Schuss mit 96% Trefferchance danebengeht und der Gegner damit eine weitere Runde für Gegenangriffe erhält.
Karten mit Bonus
So sind Wechselwirkungen verschiedener Heldenkarten schwer zu planen. Dazu kommen unterschiedliche Zusatzfähigkeiten der Karten, die sich ebenfalls nur mühsam aufeinander abstimmen lassen. Einfach nutzbar sind dabei Vorteile wie Schnell, was bedeutet, dass die aufgewendete Aktion zum Ausspielen der Karte (standardmäßig drei pro Spielrunde) zurückerstattet wird, wenn der Spieler mit dieser Karte einen Gegner K.O schlägt (gestorben wird hier marveltypisch eher selten). Auch Blocken oder Heilen sind einfach zu verstehen und tun das, was die Worte suggerieren. Komplexer wird es bei Fähigkeiten wie Nachziehen.
Das bedeutet, wird die Karte durch Nachziehen ausgetauscht, wird sie besser – ist aber vermutlich erst einmal wieder im Stapel und taucht erst später wieder auf. Auch Berserker, mit dem Gegner dazu gebracht werden, alles in der Nähe anzugreifen, sind zweischneidige Angelegenheiten. Wenn Hunter plötzlich im Fokus eines Gegners steht, der in die Nähe kam, erhöht das kaum die Siegchancen.
Die Tücken des Kampfes
Natürlich kann der Spieler auch nicht immer alles ausspielen, was er möchte, denn manche Karten müssen bezahlt werden – mit Heldenpunkten und/oder Aktionen. Manche Karten geben dem Spieler diese Punkte beim Ausspielen, kosten also meist nur eine Aktion, andere brauchen diese Heldenpunkte, um ins Spiel gebracht werden zu können. Besonders die mächtigen Angriffe sind teuer und benötigen daher die richtigen Karten als Vorbereitung. Es ist diese Balance aus den richtigen Karten im richtigen Moment, die eine erfolgreiche Spielrunde ausmacht. So lassen sich Gegner markieren, die beim K.O ebenfalls die Aktion dafür zurückgeben. Mit guten Kombis aus Markieren und Umhauen kann ein Spieler in einer Runde eine Menge Feinde besiegen – wenn die passenden Karten vorhanden sind.
Grundsätzlich unterscheiden sich die Helden in ihren Fähigkeiten deutlich voneinander. Reine Schadensausteiler wie Blade oder Ghost Rider kämpfen neben unterstützenden Helden wie Nico oder Magik. Und einige Charaktere wie Captain America können auch als Tank fungieren, also die Wut von Gegnern auf sich ziehen und den Schaden einstecken. Manche Helden verfügen noch über Zusatz-Währungen wie beispielweise Ghost Rider, der Seelen von besiegten Gegnern sammelt, die seine Lebensenergie erhöhen. Hauptheld Hunter verfügt über eine bunte Palette an Fähigkeiten, kann etwa gleichzeitig Gegnern Schaden zufügen und Freunde heilen, sich selbst als Tank aufbauen oder mächtige Schläge austeilen.
Ausmanövriert?
Auch wichtig: Die Nutzung von Umgebung und Fähigkeiten, die keine Karten brauchen. So kann ein Held mit freien Heldenpunkten auch ohne Karte eine Kiste auf Gegner schleudern oder ihn gegen einen Stromkasten schubsen. Das kostet allerdings ein Manöver, mit denen sich Helden von einem Ort zum anderen bewegen lassen. manch Superhelden kämpfen aus der Entfernung, andere müssen dicht an die Gegner heran, um ihr Können einzusetzen. Das ist bei der Planung, wenn welche Aktion sinnvoll ist, durchaus wichtig, um beispielsweise Nahkämpfer aus einerm Explosionsradius zu holen, bevor man die auslöst. Oder sie in einen Heilradius zu bugsieren, bevor man die entsprechende Karte spielt.
Die richtige Gruppenzusammenstellung je nach Mission ist also wichtig. Die Aufgaben sind jedoch tückisch. Währen das Erreichen mancher Ziele zum sofortigen Sieg führt, legen andere Missionen noch nach und erwarten vom Spieler beispielsweise nach dem Sicherstellen von Ausrüstung noch den Sieg über alle Gegner. Hier sollte man wissen, welche Anforderungen eine Mission stellt, um das Team richtig zusammenzustellen.
Was Helden können
Und hier offenbaren sich leichte Mängel im Design. Denn ein Held ist einer Mission ohnehin fest zugewiesen, erkennbar am Symbol über der Aufgabe. Es ist aber sehr sinnvoll, Hunter immer mitzunehmen, da sich am Level dieses Helden die anderen orientieren. Andere Superhelden werden bei manchen Gelegenheiten an Hunters Stufe angeglichen, daher sollte Hunter immer den höchsten Level aufweisen. Das bedeutet aber, dass lediglich noch ein Platz frei ist, wenn der Spieler eine Mission bestückt. Und die Wahl wird durch andere Umstände noch eingegrenzt. So ist es nicht sinnvoll, verletzte Helden mitzunehmen.
Und auch Teammitgliedern, die an diesem Tag auf Heldenmission sind, fallen für den Kampf aus. Zusätzlich erhalten Helden nach Ausbau einer Kampftherapie, die Verletzte an einem Tag heilt, auch noch unterschiedlich starke Kampf-Boni. Einige davon will der Spieler vielleicht für die nächste wichtige Handlungsmission aufheben und nicht für eine Standardaufgabe verschwenden – und wieder wird das Feld der möglichen Begleiter kleiner. Das macht die Zusammenstellung eines optimalen Teams manchmal so gut wie unmöglich. Was schade ist, denn das Spiel bewertet die Leistung des Spielers unter anderen daran, wie schnell eine Mission gewonnen wird. Ist gerade kein derber Schadensausteiler zur Hand, wird es kaum die Höchstwertung (drei Sterne) geben.
Pimp your Team!
Midnights Suns gibt dem Spieler dafür aber viele Möglichkeiten an die Hand, das Team besser zu machen. Bereits früh sehr stark: der allgemeine Freundschaftslevel. Hier ist das Maximum Level 8, aber schon vorher bekommt das Team einen Kombo-Heldenangriff (als freie Karte, die automatisch ins Deck gemischt wird), der es in sich hat. Der allgemeine Level steigt mit jeder Anhebung der Beziehungen zu irgendeinem Helden. Aber jeder Superheld hat zu Hunter auch ein eigenes emotionales Verhältnis. Erreicht das Level 5, kann der Held mit einer besonderen Aufgabe ein neues Kostüm freischalten, aber vor allem eine legendäre Spezialfähigkeit bekommen.
Um hier schnell erfolgreich zu sein, braucht es allerdings eine sehr koordinierte Vorgehensweise und ein Geflecht aus Zusammen Abhängen, Zuflucht nutzen, Komplimente machen, Buch- und Werkstattclub beitreten, Geschenke verteilen und in den Dialogen mit dem Helden stets den richtigen Ton treffen. Was auf den ersten Blick wie ein nettes Zusatzfeature wirkt, ist also tatsächlich ein essenziell wichtiger Teil des Spiels, um Helden zu verbessern. Und erinnert deutlich an Dragon Age: Inquisition.
Heilsalbe und Hightech-Drohne
Neben der Freundschaft steht auch die schnöde Ausrüstung im Mittelpunkt. Das Team kann je nach Forschungsstand und Auftrag zwei bis vier Kampfgegenstände mit in die Mission nehmen. Die lassen sich in Artefakten und magischen Kisten auf dem Grundstück erbeuten, aber nach entsprechender Forschung auch selbst herstellen. Und können, bei einer Mission gut eingesetzt, nicht nur den Unterschied zwischen schnellem oder langsamem Erfolg, sondern sogar zwischen Sieg oder Niederlage ausmachen. Kann ein Held beispielsweise bei vielen geschwächten Gegnern einen starken Block aufbauen, alle Gegner provozieren und dann kontern, kann der Kampf nach dieser Aktion bereits gewonnen sein.
Die Rezepte kann Hunter erforschen lassen und auf dem Grundstück finden, später im Spiel steht auch ein Zauberkessel zur Verfügung, um unterstützende Tränke zu brauen, denn die Möglichkeiten stammen sowohl von Marvels bekannten High-Tech-Helden wie Tony Stark als auch von magischen Superhelden wie Doctor Strange oder Bluthexe Nico. Die Story selbst stellt sogar die Magie in den Mittelpunkt, denn Dämonen und alte Götter haben hier Hochkonjunktur – und da sind die Zauberer nun einmal die Experten.
Pimp your Abtei!
Firaxis hat neben den nützlichen Dingen im Spiel auch jede Menge rein kosmetische Inhalte ins Spiel gebracht. So lässt sich Hunters Zimmer komplett neu gestalten, Und auch die Kleidung im Kampf und in der Abtei lässt sich fast beliebig umfärben, unterschiedliche Looks gibt es ohnehin. Warum die Entwickler hier so extrem fleißig waren, bleibt unklar, denn der klassische Fan des Studios dürfte diesen Barbie- und Ken-Aspekt eher wenig goutieren. Was bei Spielen wie Spider-Man oder der Batman-Arkham-Reihe cool war, verkommt hier schnell zum unnützen Feature. Jeder Held hat ein paar coole legendäre Kostüme wie ein Blade im Mittelalter-Look oder ein futuristischer Captain America. Aber 15 T-Shirts in 20 verschiedenen Farben braucht kein Mensch.
Das gilt auch für das Rätselraten rund um die Abtei. Die trägt nicht nur wenig zum Hauptstory bei, sondern ist auch ausgesprochen langweilig. Als eine Art Adventure im Spiel ist die Schnitzeljagd zu anspruchslos. Zudem sind die gefundenen Schätze in den meisten Fällen kosmetischer Natur und daher nicht notwendig. Wer Jagd auch Achievements machen will, kommt aber nicht daran vorbei. Denn viele Sammlungen, die es im Spiel gibt, können nur hier abgeschlossen werden. Tagebuchseiten von Wanda oder Tarotkarten liegen hauptsächlich in der Natur rings um die Abtei herum. Immerhin finden sich hier auch Reagenzien für Tränke, die zumindest einen nützlichen Effekt haben, aber das Meiste, was dieser Aspekt des Spiels zu bieten hat, ist nicht sonderlich gelungen.
Schwierigkeit wie Diablo?
Auch beim Schwierigkeitsgrad hat sich Firaxis leicht vergaloppiert. In einem rundenbasierten Strategiespiel, das nicht unerheblich vom Glück abhängt, gleich acht verschiedene Anforderungsprofile einzubauen, klingt zwar reizvoll, ist aber letztlich kaum spielbar. Die acht Stufen bei Civ 6 sind gelungen, ebenso wie die vier bei X-Com 2, die man mit dem Iron-Man-Modus nochmals verschärfen kann. Hier fragt sich der Spieler aber zurecht: Wie soll ich mit den gleichen Karten doppelt so starke Gegner besiegen? Denn so viel qualitativer Unterschied zwischen einem Experten und einem Anfänger – das gibt das Spielprinzip kaum her. Bestimmt gibt es Spieler, die sich an „Ultimativ 3“ heranspielen, ob das wirklich noch Spaß macht, ist eine andere Frage.
Natürlich ist in einem etwaigen zweiten Durchlauf (das Spiel bietet sowohl ein Neues Spiel+ als auch eine Wiederholung auf gleichem oder verändertem Schwierigkeitsgrad an) einiges einfacher, weil man die Stärken und Schwächen der gegnerischen Einheiten kennt – aber ohne Kartenglück ändert dieses Wissen gar nicht so viel. Klar kann man Decks optimieren – aber eben nur bis zu einem gewissen Grad. Mit mindestens 40 Stunden Spielzeit, wobei der Spieler dann kaum etwas anderes als die Handlungsmissionen spielt, fällt Marvel’s Midnight Suns auch ganz schön lang aus, um es mal eben mehrfach durchzuspielen.
Story nur Durchschnitt
Zumal auch die Geschichte keine Bäume ausreißt. Zwar sind vor allem für Comicfans viele Anspielungen im Spiel enthalten. So sind echte Kenner der Helden beispielsweise in Sachen Geschenkauswahl für die Figuren klar im Vorteil. Wer weiß, welcher Held Verbindungen nach Madripoor hat, wird den entsprechenden Fotoband sicher dem richtigen Adressaten in die Hand drücken, auch wenn manche optimal Beschenkte wie etwa für Captain Marvel #1 doch auf der Hand liegen. Aber es finden sich immer wieder in Dialogen und auch auf Kampfkarten nette Hinweise auf das Marvel-Universum, das hier allerdings eindeutig nicht das MCU aus dem Kino und Disney+ meint. Sondern den Originalfiguren aus den Comics die Ehre erweist.
Das kann aber über die schleppende Erzählung einer wenig originellen Bedrohung durch ein böses Wesen nicht hinwegtäuschen. Was bei Civ 6 unnötig war und bei X-COM 2 recht gut gelungen ist, funktioniert bei Midnight Suns nur bedingt – packendes Storytelling.
Grafisch kein Hingucker
Auch die Optik, ohnehin noch nie die große Stärke von Firaxis, gibt keinen Anlass zu Jubelarien. So wirkt das zu Beginn eingeblendete Unreal-Engine-Logo fast wie Ironie, weil man sich unwillkürlich fragt, welche Version der Engine wohl gemeint ist – nach aktuellen sieht es nicht aus. Immerhin sind die Kämpfe selbst nett animiert. Und vor allem die Kombos oder Spezialfähigkeiten liebevoll in Szene gesetzt – samt passendem Comiclook. Ausflüge in die Natur hingegen wirken wie ein Spiel von 2010, was die ohnehin mäßige Rätselabteilung dort nicht attraktiver macht. Die Charaktere selbst weisen ebenfalls keine signifikante Steigerung im Vergleich zu X-COM 2 auf, das 2016 erschienen ist. Zwar war die Optik nie das entscheidende Kriterium für die Qualität eines Firaxis-Spiels, etwas mehr als hier hätte es dann aber doch gern sein dürfen.
Fazit:
Marvel’s Midnight Suns bietet ein wechselhaftes Bild. Das actionreiche Kämpfen über Kartendecks ist gelungen und macht auch nach 30 Stunden immer noch Spaß. Das komplexe System aus verschiedenen Möglichkeiten, die Figuren zu verbessern, ist ebenfalls reizvoll. Die weiteren Aspekte des Spieldesigns haben aber ihre Macken. So ist das wichtige Freundschaftssystem reichlich langwierig und der Rätselparkour außerhalb der Abtei ganz schon langweilig. Immerhin sind die zahlreichen Anspielungen für Marvel-Comicfans wirklich nett. Da gibt es viel zu entdecken und das Wissen hilft sogar beim Freunde werden mit Wolverine und Co..
Aber weder Story noch Optik ziehen hier die Wurst vom Teller. Insgesamt gehört Marvel’s Midnight Suns daher zu den schwächeren Spielen, die Firaxis in der vergangenen Dekade herausbrachte – an die herausragenden Dauerbrenner X-COM 2 und Civilization 6 kommen die Kämpfe der Marvel-Superhelden nicht ganz heran. Wer sich in das durchaus anspruchsvolle Karten-Kampfsystem versenkt und mit einem Glücksfaktor leben kann, dürfte dennoch auf seine Kosten kommen. Der erhoffte große Wurf ist das Spiel aber nicht geworden.