Olivia Colman
Netflix

Filmkritik: Frau im Dunkeln

Die Schriftstellerin Elena Ferrante ist eine interessante Persönlichkeit. Die fast 80-jährige hat mit der „Neapolitanischen Saga“ nicht nur einen Weltbeststeller geschrieben. Sondern sich auch ganz bewusst dafür entscheiden, unter dem Pseudonym anonym zu bleiben. Offenbar hat Ferrante in der US-Schauspielerin Maggie Gyllenhaal einen Fan. Denn die hat sich für ihr Regie-Debüt einen Roman der Autorin als Quelle für „Frau im Dunkeln“ ausgesucht, den sie mit Olivia Colman, Dakota Johnson, Jessie Buckley und Ed Harris auch noch edel besetzen konnte. Nun ist der Film auf Netflix zu sehen und dort wirkt der Arthouse-Film aufgrund seines Anspruchs ein wenig deplatziert. Worum es geht und wie gut er ist, verrät die Kritik.

Dakota Johnson
Die auffallend hübsche, junge Mutter Nina erinnert Professorin Leda an ihre eigene Vergangenheit.

Die Handlung

Die Professorin Leda Caruso macht einen Arbeitsurlaub auf der griechischen Insel Spetses, wo sie sich für den Sommer eine kleine Wohnung gemietet hat. Der Amerikaner Lyle (Ed Harris), der dort schon lange lebt, ist ihr beim Einzug behilflich und bemüht sich auch später immer wieder um die 48-jährige, die ihm nicht wirklich signalisiert, ob sie an Anschluss interessiert ist oder nicht. Deutlicher wird Leda hingegen beim britischen Studenten Will (Paul Mescal), der auf der Insel während der Semesterferien jobbt. Doch der findet die junge Nina (Dakota Johnson) spannender, die mit ihrer Großfamilie in der Nähe lebt und sich um ihre Tochter kümmert, während ihr Mann Toni (Oliver Cohen-Jackson) unterwegs ist.

Leda fühlt sich durch den Anblick Ninas und deren Umgang mit ihrer Tochter sehr in ihr eigenes Leben vor 20 Jahren erinnert, als sie (Jessie Buckley) von ihren Töchtern Bianca und Martha häufig genervt war und Schwierigkeiten hatte, ihnen genug Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Das änderte damals in einer schmerzlichen Entscheidung, die auch mit einem Literaturprofessor (Gylenhaal-Gatte Peter Sarsgaard) zu tun hatte und Leda in ein Gefühlschaos stürzte, mit dem sie auch 20 Jahre später noch zu kämpfen hat …

Arthouse-Kino statt leichter Unterhaltung

Auch wenn der Trailer durchaus nicht so ganz eindeutig darin ist, dem Zuschauer zu zeigen, um was für eine Art Film es sich bei Frau im Dunkeln handelt, so sollten Fans von Thrillern oder Krimis um diese Neuheit auf Netflix einen Bogen machen. Denn es gibt weder eine spannende Handlung, noch ein Verbrechen. Stattdessen begleitet Regisseurin und Drehbuch-Autorin Maggie Gyllenhaal ihre Hauptfigur durch eine Zeit, in der die ein erstes Resümee zieht. Und sich an die Entscheidungen ihres Lebens erinnert, denen sie ihre momentane Situation zu verdanken hat. Die Beziehung zu ihren beiden Töchtern ist nicht so, wie Leda sich das wünscht und sie weiß, bei wem sie die Schuld suchen muss.

Gyllenhaal inszeniert diese Phase des emotionalen Chaos mit feiner Klinge. Auffällig oft umschwirrt die Kamera gerade zu Beginn des Films die Figuren so dicht, dass kaum zu erkennen ist, um wen es sich gerade handelt. Der Prozess einer langsamen und kathartischen Auflösung der Leda wird so auch optisch immer wieder aufgenommen und von Olivia Colman gewohnt beeindruckend gespielt. Denn schließlich wird klar, dass nur Leda und Nina diese ganz besondere Nähe erfahren, die anderen Charaktere bekommen mehr Abstand. Und das ist sinnvoll, denn Leda sieht in Nina so viel von ihrem jüngeren Selbst, dass durch die Begegnung immer wieder Erinnerungen an ihr Leben als Mutter mit zwei kleinen Mädchen an die Oberfläche gelangen.

Ed Harris
Der alte Lebenskünstler Lyle bemüht sich um Leda.

Stark gespielter Reinigungsprozess

In denen brilliert Jessie Buckley als junge Leda nicht nur mit einem erstaunlich erotischen Auftritt. Sondern auch mit einem faszinierenden Balance-Akt zwischen der nicht immer geliebten Mutterrolle bei von ihr als anstrengend empfundenen Kindern. Und der wachsenden Zuneigung für einen Mann, der von ihrem Intellekt beeindruckt ist. Eine Anerkennung, die bei Leda deutlich körperlichere Reaktionen hervorruft als ihr zunächst bewusst ist. Und die schließlich ihr Gesellschaftsbild und ihre Rolle darin wieder auf Null stellt.

Gyllenhaal lässt ihre beiden Protagonistinnen erst spät wirklich miteinander reden, wenn sie längst erzählt hat, wo die beiden Frauen stehen und was sie bewegt. Dementsprechend knapp fallen die Dialoge aus. Denn das Gesagte bildet zu diesem Zeitpunkt nur noch die Essenz dessen, was der Zuschauer bereits weiß. Ratschläge von Leda kann Nina, der ihre Tochter auch langsam über den Kopf wächst, daher auch kaum erwarten. Denn das Geflecht aus Lust und Schuld, mit dem sich Leda in diesem Urlaub urplötzlich auseinandersetzen muss, kann die sonst so wortgewandte Professorin kaum in Worte fassen. Olivia Colman kann es aber spielen und lässt nur durch ihre Mimik den Charakter der Leda entstehen.

Jessie Buckley
Doch Leda muss sich mit lange verdrängten Gefühlen aus ihrer Zeit als junge Mutter herumschlagen.

Das alles ist aber auf einen flüchtigen Blick nicht sonderlich spannend oder fesselnd. Frau im Dunkeln ist bewusst spröde und ruhig erzählt und beschäftigt sich doch deutlich mit großen Themen des Lebens. Daher verlangt er vom Publikum viel Aufmerksamkeit, Interesse an der schlanken Story und dem großen Gefühl, dass sich nur selten offen zeigt. Hin und wieder nimmt Netflix solche Filme ins Programm, wenn es darum geht, bei den internationalen Preisverleihungen auf sich aufmerksam zu machen. Das gelangt manchmal sehr gut – oft gehen die Netflix-Produktionen aber doch leer aus. Zwei golden Globe-Nominierungen hat Frau im Dunkeln schon bekommen – für Gyllenhaal und Colman. Und das geht auch absolut in Ordnung.

Fazit:

Frau im Dunkeln ist anspruchsvolles Arthouse-Kino, das sich trotz scheinbarer Urlaubs-Leichtigkeit mit schweren Themen beschäftigt. Und seine Protagonistin über ihr bisheriges Leben und ihre Entscheidungen reflektieren lässt. Darf eine Frau noch ihrer Lust nachgeben, wenn sie Mutter ist? Müssen die Kinder immer an erster Stelle stehen? Und wie wird man mit der Schuld fertig, die man durch frühere Entscheidungen auf sich geladen hat? Maggie Gyllenhaals Regie-Debüt gibt hier keine einfachen Antworten. Was den Film trotz überschaubarer Handlung für Fans von Arthouse-Kino dann auch so spannend macht.

Frau im Dunkeln startet am 31. Dezember 2021 bei Netflix.

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Frau im Dunkeln
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