Bandersnatch

Serienkritik: Black Mirror: Bandersnatch

Mit einer einzelnen Episode in Spielfilmlänge meldet sich die innovative Serie „Black Mirror“ auf Netflix zurück. „Bandersnatch“ geht der Frage nach, was Realität ist, und ist nicht Teil einer neuen Staffel (die kommt 2019), sondern ein interaktives Experiment, an deren Höhepunkt der Zuschauer sogar Teil der Handlung zu sein scheint. Wie gut ist die neue Folge?

Philip K. Dick gehört nicht nur zu den bekanntesten Science-Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts, so basieren Filme wie „Blade Runner“ und „Minority Report“ sowie die Serie „The Man in the High Castle“ auf seinen Büchern, sondern hat sich auch immer wieder mit der Frage nach Realität und Illusion beschäftigt. Dafür bekam er 2017 mit „Electric Dreams“ sogar eine eigene Anthologie-Serie, die nur auf seinen Kurzgeschichten basiert. Bandersnatch ist zwar nicht von ihm, verbeugt sich aber vor dem großen Visionär und hätte ihm bestimmt gefallen. Worum geht’s?

Bandersnatch
Programmierer Stefan will sein Lieblingsbuch zu einem Computerspiel machen.

Black Mirror: Bandersnatch: Die Handlung

1984, England. Ein junger Spielprogrammierer namens Stefan (Fionn Whitehead) möchte das Spielebuch Bandersnatch seines Idols Jerome F. Davies für den Computer umsetzen. Dazu wendet er sich an die Firma Tuckersoft, bei der mit Colin Ritwell (Will Pulter) bereits ein Starprogrammierer arbeitet. Stefan soll sich entscheiden, ob er das Spiel lieber mit einem Team bei Tuckersoft fertigstellen möchte oder zuhause im stillen Kämmerlein weiterprogrammiert. Und hier endet bereits die feste Handlung der Episode.

Denn ab hier übernimmt der Zuschauer immer wieder kurz das Kommando und muss Entscheidungen für Stefan treffen. Je nachdem, was er entscheidet, sieht er dann andere Fortsetzungen. Insgesamt sollen für den 90-Minüter gut fünf Stunden Material an Möglichkeiten zur Verfügung stehen, darunter auch mehrere Enden.

Black Mirror: Bandersnatch: Vom Zuschauer zum Macher

Daher ist es wenig sinnvoll, sich über die Qualität der Handlung auszulassen, da viele Zuschauer vermutlich ein ganz anderes Seherlebnis und eine abweichende Story bekommen werden. Spannender ist es auch, über das interaktive Experiment an sich zu sprechen. Denn das ist bald Teil der Handlung. Stefan fühlt sich irgendwann ständig beobachtet und von fremden Mächten manipuliert. Und er fragt in den leeren Raum hinein, wer da über ihn bestimmt. In diesem Moment bekommt der Zuschauer erneut die Möglichkeit, die Handlung in eine von zwei Richtungen zu drehen.

Und somit wird er spätestens dann vom mehr oder weniger unbeteiligten Zuschauer zum aktiven Schicksal von Stefan, den er beispielsweise ins Gefängnis oder ins Grab bringen kann. Auch sonst wird in Bandersnatch ausgiebig über die Möglichkeit verschiedener Realitäten gesprochen und selbst Rückschritte in der Zeit, um Entscheidungen nachträglich zu ändern, sind kein Tabu. Denn genau das kann auch der Zuschauer tun. Und immer wieder taucht auch der Name Philip K. Dick als Poster oder in anderer Form auf – natürlich kein Zufall.

Bandersnatch
Bei Tuckersoft trifft Stefan nicht nur Firmenboss Tucker und Spiele-Genie Colin, sondern der Zuschauer muss hier auch erste wichtige Entscheidungen fällen.

Black Mirror: Bandersnatch: Was ist real?

So ist die Lieblingsfrage des Autors – Was ist Realität? – auch hier zentrales Thema, obwohl die Handlung nicht auf einer Geschichte Dicks basiert. Inspiriert hingegen ist sie eindeutig vom bereits 1982 verstorbenen Schriftsteller. Denn in vielen Szenen schimmert immer wieder kurz eine mögliche andere Realität durch und bald fragt sich nicht nur der Protagonist, sondern auch das Publikum, welche der verschiedenen Stränge der Story denn nun real sind – und ob überhaupt eine.

Dass Stefans Geschichte dabei durch manche Entscheidungen des Zuschauer schnell zu einem Ende kommen und danach zu einem bestimmten Punkt zurückspringen, bei dem man sich dann anders entscheiden kann, ist ebenfalls Teil dieses Spiels mit Schein und Sein. Und dieses perfide Balancieren mindestens einer Metaebene im gesamten Plot ist in Bandersnatch auch spannender als die Story selbst. Denn die gibt bei Licht betrachtet gar nichts so viel her, auch wenn der eine oder andere Twist durchaus überraschend kommt.

Die Interaktivität selbst ist bei aller Auswahl schließlich endlich, mehr als fünf Stunden Material gibt es nicht. Irgendwann hat der geduldige Zuschauer also alles gesehen, was sich Regisseur David Slade („Hard Candy“, „30 Days of Night“) und Autor Charlie Brooker, der bereits etliche Black Mirror-Episoden schrieb, ausgedacht haben. Das seltsame Gefühl, über das Schicksal einer Figur entschieden zu haben, bleibt dagegen länger haften – und ist im TV echtes Neuland – und eine spannende Erfahrung.

Fazit:

Bandersnatch besticht nicht unbedingt durch eine originelle Story, sondern durch die coole Idee, den Zuschauer zum Entscheider und später auch Mitwisser diverser unerfreulicher Handlungsverläufe zu machen. Was bisher nur sehr guten Videospielen gelang, klappt hier erstmals auch im Fernsehen. Und macht Bandersnatch inhaltlich nicht zur besten, aber zu innovativsten Black Mirror-Episode bisher. Diesen Trip sollte jeder Sci-Fi-Fan einmal ausprobieren – Nachwirkungen inklusive.

Black Mirror: Bandersnatch startet am 28. Dezember 2018 bei Netflix.

Bandersnatch
Wie wird Stefans Geschichte um sein Spiel Bandersnatch wohl ausgehen? Das entscheidet der Zuschauer.